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„Aktion Kornblume”: Der „verschwiegene” 3. Oktober des Jahres 1961

Schw­erin, 04.10.2016 (rm). Es war der 3. Okto­ber 1961, als von der Bezirk­sleitung der SED und der Staatssicher­heit der DDR aus  Schw­erin her­aus der Befehl umge­set­zt wurde, den Gren­zstreifen zur

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  • Veröffentlicht Oktober 4, 2016

Schw­erin, 04.10.2016 (rm). Es war der 3. Okto­ber 1961, als von der Bezirk­sleitung der SED und der Staatssicher­heit der DDR aus  Schw­erin her­aus der Befehl umge­set­zt wurde, den Gren­zstreifen zur Bun­desre­pub­lik mit der Aktion „Korn­blume“ zu „säu­bern”.  653 Bürg­er aus dem heuti­gen Land­kreis Lud­wigslust waren im Jahr 1961 von dieser Maß­nahme betrof­fen. Der heutige Stadtvertreter und Stadthis­torik­er, Ralph Mar­ti­ni, gehörte als Kind zu den Zwang­sum­ge­siedel­ten. In seinem  Gast­beitrag über den „vergesse­nen 3. Okto­ber 1961“ berichtet er darüber.

Von Ralph Mar­ti­ni

 zwangsevakuierung

Aktion Kornblume jährte sich zum 55. Mal

 

Mit zwei großen Aktio­nen hat­te  die DDR am 3. Okto­ber 1961  im Gren­zge­bi­et nach West­deutsch­land, im Sinne des Sys­tems poli­tisch unzu­ver­läs­sige Per­so­n­en, von Haus und Hof ver­trieben. 1952 in der Aktion „Ungeziefer“ und am drit­ten Okto­ber 1961 in der Aktion „Fes­ti­gung“ oder „Korn­blume.“ Die Umsied­lung tausender DDR Bürg­er gegen ihren Willen jährt sich zum 55. Mal.

 

Die Enteignung beginnt um sechs Uhr morgens

 

Som­mer­lich warm war der dama­lige Dien­stag, der 3. Okto­ber 1961. Die Aktion begann pünk­tlich um sechs Uhr mor­gens. Die Häuser der betrof­fe­nen Fam­i­lien wur­den von Polizei, Armee, Kampf­grup­pen und Staatssicher­heit abgeriegelt. Eine Flucht in den West­en ist nach dem Mauer­bau am 13. August nicht mehr zu befürcht­en. Die Räumkom­man­dos klopften an Fen­ster und Türen, den Bewohn­ern wird eröffnet dass sie ihre Sachen zu pack­en haben und ihre Heimat in weni­gen Stun­den zu ver­lassen haben. Sofort wird mit dem Ver­laden der Möbel begonnen. Sorgfalt zählt nicht, Schnel­ligkeit ist ange­sagt. Mil­itär­wa­gen wer­den zum Trans­port ver­wen­det. Mit­tags ist alles ver­laden. Die Aktion war in den Augen der DDR- Oberen ein voller Erfolg, die Zwang­se­vakuierung von 3.273 Men­schen aus dem Grenzbere­ich erfol­gre­ich.

 

Wer wurde „umgesiedelt“, wer war das „Ungeziefer“?

 

Wer  waren die auf diese Weise Zwang­se­vakuierten und warum mussten ger­ade sie ihre Heimat ver­lassen? In ein­er Geheimen Ver­schlusssache der Regierung der DDR vom 1. Sep­tem­ber 1961 unter der Num­mer B 3/1 –17/61 ste­ht unter anderem:

“Ausweisung von Per­so­n­en aus dem Gren­zge­bi­et der West­gren­ze der DDR

1a. Aus dem Bere­ich der fünf Kilo­me­ter Sper­rzone und des 500 m Schutzstreifens sind auszuweisen, Per­so­n­en die durch ihre reak­tionäre Ein­stel­lung den Auf­bau des Sozial­is­mus hin­dern, sowie Per­so­n­en die ihrer Ein­stel­lung nach und durch ihre Hand­lun­gen eine Gefährdung für die Ord­nung und Sicher­heit im Gren­zge­bi­et darstellen, Aus­län­der und Staaten­lose. Die in enger Gemein­schaft leben­den Ange­höri­gen sind mit auszuweisen.“ Unter Punkt 5 lesen wir: “…diese Per­so­n­en sind zu erfassen, alle über die Per­son vor­liegende Unter­la­gen sind sofort zu übersenden.…“.

Die Evakuierten wur­den also bis zum Ende der DDR über­prüft und ohne ihr Wis­sen waren sie bis 1990 im Blick­feld der Staatssicher­heit.

 

Zu einem großen Teil Familien mit vielen Kindern

 

653 Bürg­er aus dem heuti­gen Land­kreis Lud­wigslust waren 1961 von dieser Maß­nahme betrof­fen. In deutsch­er Gründlichkeit gliederte die SED und die Stasi sog­ar die soziale Zusam­menset­zung der Betrof­fe­nen auf. So waren aus dem dama­li­gen Kreis Hagenow 29 Per­so­n­en Fachar­beit­er, 20 Per­so­n­en ohne Beruf- haupt­säch­lich Bauern und 135 Kinder.

 

Penible und jahrzehntelange Detailüberwachung und Diffamierung

 

Es existieren Doku­mente über die Verän­derung der Woh­nungs­größe für die Aus­ge­siedel­ten. Die zugewiese­nen Woh­nun­gen waren zumeist in einem erbärm­lichen Zus­tand, ohne Wasseranschluss‑, ohne Verbindung an die Kanal­i­sa­tion. Viele dieser Häuser waren jahre­lang unbe­wohnt, dementsprechend war ihr Zus­tand.

 

SED: „Das sind Asoziale und Kriminelle.“

 

Die neuen Bewohn­er wur­den meis­tens von der Dorf­bevölkerung gemieden. Die Neuzuge­zo­gen seien „Asoziale” und „Krim­inelle”, ließ die örtliche SED- Führung die Bevölkerung glauben. Die öffentliche Pro­pa­gan­da der DDR hat­te ganze Arbeit geleis­tet. Die Schw­er­iner Volk­szeitung (SVZ), das Organ der Bezirkleitung der SED, schrieb am 5. Okto­ber 1961 unter der groß gehal­te­nen Über­schrift. „Unzu­ver­läs­sige Per­so­n­en aus dem Gren­zge­bi­et ent­fer­nt. …die Bevölkerung erkan­nte sehr schnell welche Per­so­n­en einen neuen Wohn­raum zugewiesen beka­men”.

 

Das zeigte sich in den  Ein­wohn­erver­samm­lun­gen. Aus dem Gren­zge­bi­et wur­den solche Per­so­n­en ent­fer­nt, die durch ihre Ver­gan­gen­heit und ihr gegen­wär­tiges Auftreten Unsicher­heits­fak­toren darstellen. Unverbesser­liche Ele­mente, oft mit den demokratis­chen Geset­zen (gemeint sind die in der DDR) in Kon­flikt gekom­men, ver­ließen das Gren­zge­bi­et. Die Bevölkerung hat­te sich schon vorher von solchen Per­so­n­en dis­tanziert. Trotz­dem bezo­gen sie als gle­ich­berechtigte Bürg­er an einem anderen Ort einen geeigneten Wohn­raum und wer­den ein­er neuen friedlichen Arbeit nachge­hen.

Selb­st in die Wahl des Arbeit­splatzes mis­chte sich die Staatssicher­heit ein.

 

Spitzel immer in der Nähe

 

In den Akten ste­ht: “Der Ein­satz der zugewiese­nen Per­so­n­en ist so zu steuern, dass diese in fortschrit­tliche Abteilun­gen eingewiesen wer­den und die Sta­tion­ierung unser­er IM berück­sichtigt wird.“ Waren keine Informellen Mitar­beit­er vor Ort, bekam der Betr­e­f­fende die Arbeitsstelle nicht oder die Stasi ver­suchte ihn in eine Woh­nung einzuweisen, wo ihre Zuträger in der Nach­barschaft wohn­ten.

 

Letzte DDR-Regierung plante Entschädigung, Bundesrepublik nahm Beschluss zurück

 

Als im Herb­st 1989 der Zusam­men­bruch der DDR begann, waren die Zwangsaussied­lun­gen aus dem Gren­zge­bi­et aus dem Gedächt­nis in Ost und West ver­schwun­den. Doch bere­its Ende Novem­ber melde­ten sich die ersten Betrof­fe­nen beim Min­is­teri­um des Innern der DDR um Wiedergut­machung für jahre­lange Benachteili­gun­gen ein­fordern. Die let­zte freigewählte Volk­skam­mer der DDR ver­ab­schiedete am 6.September 1990 eine Reha­bil­i­ta­tion und eine Wiedergut­machung. Das Gesetz sprach von Unrecht­mäßigkeit­en und Ver­let­zun­gen der Men­schen­rechte. Es war vorge­se­hen diese Bevölkerungs­gruppe zu reha­bil­i­tieren und zu entschädi­gen. Zunächst also gute Aus­sicht­en für die Aus­ge­siedel­ten, doch das Gesetz galt nur vier Wochen. Die Bun­desregierung im nun­mehr vere­inigten Deutsch­land, über­nahm den Geset­zes­text nicht, weil ange­blich die Rechts­grund­la­gen die zur Zwang­se­vakuierung geführt hat­ten, in der Kürze der Zeit nicht umfassend ermit­telt wer­den kon­nten?

 

Am 4. Novem­ber 1992 ver­ab­schiedete der Deutsche Bun­destag das erste SED-Unrechts­bere­ini­gungs­ge­setz. Sein Inhalt ist die Reha­bil­i­tierung und Entschädi­gung von Opfern rechtsstaatlich­er Entschei­dun­gen der DDR- Staat­sor­gane. Da die Zwangsaussied­lun­gen und auch die Enteig­nun­gen in der Regel ohne gerichtliche Entschei­dun­gen ver­fügt wur­den, kam das SED- Unrechts­bere­ini­gungs­ge­setz für die Betrof­fe­nen meist nicht zur Anwen­dung. So ungerecht es für die Evakuierten auch ist, wieder sind sie durch die Maschen des nicht sehr eng geknüpften Net­zes gefall­en.

 

 

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