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Ausstellung im Landtag beschäftigt sich mit einem Tabuthema

(sr). Antisemitismus gehörte zum großen Tabu in der DDR. Das er trotzdem alltäglich war, zeigt jetzt eine Ausstellung, die noch bis zum 19. September beim Landtag im Schweriner Schloss zu

  • Veröffentlicht September 4, 2013

SAMSUNG CSC(sr). Antisemitismus gehörte zum großen Tabu in der DDR. Das er trotzdem alltäglich war, zeigt jetzt eine Ausstellung, die noch bis zum 19. September beim Landtag im Schweriner Schloss zu besichtigen ist. Vieles, was jetzt 76 Jugendliche unter Anleitung von Fachkräften in acht ostdeutschen Städten zusammengetragen haben, sind schockierende Tatsachen.

Seit dem 20. August gastiert im Schweriner Schloss die Ausstellung „,Das hat´s bei uns nicht gegeben‘- Antisemitismus in der DDR“, zusammengestellt von der Amadeu-Antonio-Stiftung.

Diese Ausstellung belegt eindrucksvoll, dass es trotz des von der DDR-Staatsführung immer wieder beschworene Mythos vom Antifaschismus, auch einen Antisemitismus von staatlicher Seite gegeben hat. Auf den ersten Blick mag das erst einmal verwundern. Auf den zweiten Blick hingegen, könnte hier einer der Schlüssel dafür liegen, woher der rasant wahrgenommene Anstieg des Rechtsextremismus nach der Wende in den neuen Bundesländern herkommen könnte. Mag es auch nicht die einzige Erklärung sein, so ist es aber sicherlich ein Teilaspekt eines komplexes Phänomens.

Stasi-Mitarbeiter rauben Zahngold

SAMSUNG CSCSo findet man in der Ausstellung beispielsweise folgende Geschichte dokumentiert. Im November 1970 kommen drei ehemalige KZ-Häftlinge des KZ´s Sachsenhausen nach Jamlitz im Südosten des heutigen Bundeslandes Brandenburg. Sie wollen abklären, inwieweit die Möglichkeit besteht, hier, wo früher eine Außenstelle ihrer Peinigungsstätte bestand, eine Gedenkstätte einrichten zu können. Ohne es zu ahnen, stoßen sie bei der DDR-Führung aber in ein Wespennest. Von 1945 – 1947 führte nämlich der sowjetische Geheimdienst NKWD an dieser Stelle das Lager weiter. Insassen waren nun aber wirkliche oder vermeintliche Nazis. Mehr als 3.000 starben in diesem „Speziallager 6“ und wurden anonym verscharrt. Ein Thema, über das in der DDR natürlich nicht gesprochen wurde.

Dorfbewohner erzählen den drei Abgesandten nun aber von einem großen Massengrab mit KZ-Opfern, die im Februar 1945 von der SS dort abgeschlachtet wurden. Die Behörden sehen sich nun zum Handeln genötigt: 577 Tote, überwiegend jüdische Zwangsarbeiter, werden exhumiert. Doch dann passiert das Unglaubliche: Ein Mitarbeiter der Generalstaatsanwaltschaft verfasst einen Vermerk: „Die Opfer weisen zum Teil viel Zahngold auf. Dieser Faktor darf bei einer Umbettung nicht ganz unbeachtet bleiben.“

Das Ministerium für Staatssicherheit berücksichtigt diesen Vermerk. Den weitgehend verwesten Leichen entnehmen die die Männer das Zahngold und äschern die Leichen dann, entgegen den jüdischen Begräbnisritualen, ein. Das Gold erhält eine „Abteilung Finanzen“.

Ausflug in die Vergangenheit sensibilisiert für Gegenwart

SAMSUNG CSCDie hier dokumentierte Geschichte macht fassungslos und ist nur eines der vielen Beispiele, die in der Ausstellung gezeigt werden.  Die Ausstellung bewegt und sicherlich ist es gut, dass hier einmal der vermeintlich antifaschistische Mythos der DDR beleuchtet wird. In diesem Zusammenhang muss es auch nicht als Provokation missverstanden werden, dass das ehemalige SED-Blatt „Neues Deutschland“ Medienpartner der Ausstellung  ist. Das Volk der Antifaschisten in der DDR gab es, das zeigt die Ausstellung, nicht. Es wird also wirklich Zeit, sich mit diesem Erbe auseinanderzusetzen. Neben dem Blick in die Vergangenheit, sensibilisiert diese Ausstellung aber auch für das Thema Rassismus und Antisemitismus in der Gegenwart.

Landtagsvizepräsidentin Gajek
Landtagsvizepräsidentin Silke Gajek

Das sieht auch die Landtagsabgeordnete der Grünen und Landtagsvizepräsidentin, Silke Gajek. „Ich finde es wichtig, dass die Wanderausstellung „Das hat es bei uns nicht gegeben – Antisemitismus in der DDR“  der Antonio-Amadeo-Stiftung im Landtag Mecklenburg-Vorpommern zu sehen ist.  Sie kann dazu beitragen, dass sich Menschen – egal ob jung oder alt – mit einem noch heute stark tabuisierten Thema auseinandersetzen.

Auch nach fast einem ¼ Jahrhundert fehlt eine konkrete Aufarbeitung von Antisemitismus und Rechtsextremismus in der ehemaligen DDR, denn offiziell durfte es so etwas nicht geben und wurde deshalb staatlich verordnet totgeschwiegen.

Die Ausstellung ist bestens dazu geeignet, eigene Vorurteile oder Erlebnisse zu reflektieren und latenten, heute noch immer oder wieder existierenden Antisemitismus und Rassismus besser zu erkennen und diesem entschieden zu entgegnen.“, sagt sie gegenüber Schwerin-Lokal.

SPD-Landtagsabgeordneter Julian Barlen
SPD-Landtagsabgeordneter Julian Barlen

Auch der Projektleiter des Internetportals ENDSTATION RECHTS und Sprecher der SPD-Landtagsfraktion für Strategien gegen Extremismus, Julian Barlen, begrüßt diese Ausstellung:

„Die Ausstellung widmet sich einem wichtigen Thema. Ziel ist es, den Mythos einer DDR ohne Antisemitismus kritisch zu hinterfragen und Anspruch und Wirklichkeit einer Staatsdoktrin zu untersuchen. Dabei zeigt die Ausstellung eindrucksvoll, dass eine gesellschaftlich verordnete Tabuisierung nicht zum Abbau von extremistischen Einstellungen führt. Im Gegenteil, eine fehlende Aufarbeitung schürt Vorurteile und verfestigt bestehende Denkstrukturen und Handlungsweisen, die sich in Hass und Gewalt entladen können.

Mit der Ausstellung wird auch ein wichtiger Beitrag zur Arbeit gegen heutigen Rechtsextremismus und Antisemitismus geleistet. Sie kann somit zur Aufklärung beizutragen und zur Stärkung demokratischer Einstellungen führen. Ich hoffe deshalb, dass viele Besucherinnen und Besucher des Schlosses die Gelegenheit zum Besuch im ‚Pferdestall‘ nutzen.“

Möglichkeit der Auseinandersetzung nutzen

SAMSUNG CSCDiese Ausstellung stimmt nachdenklich und sollte daher noch viel mehr beachtet werden. Wer sich mit dem noch größtenteils als Tabu behandelte Thema auseinandersetzen möchte, der sollte sich diese Ausstellung nicht entgehen lassen.  

Interessierte können sich die Ausstellung im ehemaligen Pferdestall des Schweriner Schlosses montags bis freitags zwischen 10 und 18 Uhr anschauen. Zutritt erhalten Besucherinnen und Besucher über die Landtagspforte. Der Eintritt ist frei.

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Redaktion

der digitalen Tageszeitung Schwerin-Lokal. Kontakt: redaktion@schwerin-lokal.de

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