Neue Kunst auf dem Schweriner Dreesch:
Bauarbeiterstatue der WGS enthüllt
Die Hintergründe zur neuen Bauarbeiterstatue auf dem Dreesch lesen sich wie eine Detektivgeschichte. Gestern, mehr als sechs Jahre nach der Idee dazu, wurde sie Quartier am Monumentenberg enthüllt.

Foto: maxpress
Es liest sich beinahe wie eine Detektivgeschichte: Zwei einzelnen Bauarbeiter-Skulpturen aus den 1970er-Jahre wurde durch einen Aufruf in der hauspost 2019 Leben eingehaucht: Wer waren die Männer? Wie hießen sie? Wer erinnert sich? Zahlreiche Zuschriften brachten Infos für die WGS, die eine Neuauflage anstrebte. Mehr als fünf Jahre später bringt jetzt ein neues Kunstwerk von Sven Schöning die beiden zusammen, in ganz neuer Form – und in Bronze statt Beton: An der Ecke Friedrich-Engels-Straße/Anne-Frank-Straße steht der eine, der andere kniet davor. Die beiden detailliert ausgearbeiteten Figuren erschaffen einander mit Kelle und Beitel – für den Schöpfer des Kunstwerks eine deutliche Hommage an ehrliche Arbeit, die Qualität des Handwerks und die 1970er-Jahre, in denen die Beiden ihren Fleiß in die neuen Wohnbauten auf dem Dreesch gesteckt haben. Gestern wurde die Skulptur gemeinsam vom Künstler, Overbürgermeister Rico Badenschier und WGS-Geschäftsführer Kristian Meier-Hedrich enthüllt.
Im Oktober 2019 fragte die hauspost im Auftrag der WGS „Wer kennt diesen Mann aus Beton?“ und zeigte das Foto einer Statue, die einst vor dem Bauarbeiter-Café in der Friedrich-Engels-Straße gestanden hatte. Plötzlich war sie weg. Einige Schweriner erzählten, dass sie von Vandalen zerstört worden sei. Andere sprachen von Verwitterung. Das Schicksal des Bauarbeiters war ungeklärt, doch bald brachten zahlreiche Zuschriften Licht ins Dunkel. Und das war gut so, denn die WGS hatte vor, die Skulptur wiederzubeleben, in neuer Form. Für eine Neuauflage wollte sie mehr über den Mann mit dem prüfenden Blick erfahren.

Zahlreiche Zuschriften nach Aufruf
Ob das Modell der Statue hätte erahnen können, für welche Furore es im neuen Jahrtausend sorgen würde? Wahrscheinlich nicht. Zahlreiche Mails und Briefe brachten Infos, die sich als Fakten bewahrheitet haben. Dazu kamen schöne Geschichten, die vielleicht nicht real sind.
Zuerst schien die Sache eindeutig: Karin Weinreich meldete sich via Facebook und erkannte ihren ehemaligen Verlobten Norbert in der Statue wieder. Oft hätten sie gemeinsam im Bauarbeiter-Café gesessen und er habe die Statue nach seinem Abbild stolz präsentiert. Lediglich an die Schreibweise seines Nachnamens erinnerte sie sich nicht genau. „Heinat“, schrieb sie, aber auch „Heinert“ sei möglich. Claus Eggers ergänzte diese Spur. Er sei mit „Norbert Heinert“ zur Schule gegangen, habe gemeinsam die Lehre gemacht und später in derselben Brigade am Bau des Lederwarenwerks in Schwerin Süd gearbeitet. Zur Entstehung der Statue sagte er: „Damals wurde vor der ehemaligen Poliklinik ein Monument errichtet. Das brachte die Brigade auf die Idee, beim selben Künstler eine weitere Statue zu beauftragen.“ Da Norbert Heinert durch einen Arbeitsunfall gerade nicht einsetzbar gewesen sei, habe er Modell gestanden. Der Künstler soll die Form erstellt, die Kollegen den Mann dann selbst in Beton gegossen haben.
Künstlername schließlich geklärt
„Eine schöne, nostalgische Geschichte“, sagte 2019 dazu Gästeführer Helmut Völtz. „Es wäre toll, wenn es wirklich so gewesen wäre!“ Er zweifelte allerdings grundsätzlich daran, dass ein Künstler sein Werk aus den Händen gäbe. Klar war für ihn wiederum der Name des Bildhauers: Helmut Hartung aus Dresden. Das bestätigten weitere Zuschriften und die Broschüre „Plastik in Schwerin“ von 1981. Hier waren tatsächlich zwei Statuen von Helmut Hartung abgebildet – der langhaarige Bauarbeiter vom Dreesch und ein weiterer, der vor der Poliklinik gestanden hatte. Allerdings: Die Dreescher Statue wurde 1975 und damit ein Jahr vor der Statue an der Poliklinik aufgestellt. Die Geschichte, dass aufgrund der Statue vor der Klinik also eine zweite für den Dreesch in Auftrag gegeben worden sein soll, gerät dadurch ins Wanken. Die langhaarige Plastik war zuerst da.

Zwei Namen tauchten immer wieder auf
Durch Helmut Völtz und weitere Informanten kam schließlich ein zweiter Name ins Spiel: „Dieter Popp“. Er war Held der Arbeit. Einige haben ihn in der langhaarigen Statue wiedererkannt, andere in der schlanken, kurzhaarigen Gestalt der zweiten Statue.
Es blieben also manche Fragen offen: Wer ist wer? Stimmten die Namen überhaupt? Joachim Jägel schickte mehrere E‑Mails und Fotos an die Redaktion. Er hatte damals als einer von drei Oberbauleitern in Schwerin Süd gearbeitet und erinnerte sich noch daran, wie der Künstler sein Zelt aufgestellt hatte. „Ich glaube, dass er dort circa vier Monate lang tätig war“, hieß es in einer seiner ausführlichen E‑Mails. Er untermauerte, dass Dieter Popp in der kurzhaarigen Statue vor der Poliklinik abgebildet war. Für die Bauarbeiter-Statue vom Dreesch soll wiederum ein anderer Modell gestanden haben. Unter zwölf Bekannten von damals hatte Joachim Jägel sich umgehört und war dabei für den Langhaarigen auf den Spitznamen „Spacki“ gestoßen, wohl weil der junge Mann sehr „spack“ – also schlank – gewesen war. Er sei dem Künstler ins Auge gefallen, wahrscheinlich „weil dessen Haare und Figur nicht ganz in die Zeitmode passten, aber wohl seine künstlerische Ader reizten“, schrieb Joachim Jägel. Dazu schickte er Fotos eines Ausflugs der Brigade Reinhold Huhn mit. „Einer der Mitreisenden“, so Joachim Jägel, „sieht der Skulptur mehr als ähnlich“.

Künstler Sven Schöning fasziniert von der Geschichte
Für den Künstler der neuen Bauarbeiterstatue am Quartier am Monumentenberg waren diese Geschichten faszinierend. Die Bilder aus den hauspost-Recherchen dienten ihm mit als Vorlage – ein besonderes Detail hat er aber verändert: „Das Foto von ‚Spacki‘ zeigt einen langhaarigen Mann mit Schnäuzer – die ursprüngliche Skulptur kommt ohne den Bart aus. „Das liegt am Material Beton, mit dem sich so feine Kanten nur schwer ausarbeiten lassen“, erklärt Schöning. „Jetzt, mit dem Bronzeguss, konnte ich den Schnäuzer wieder abbilden.“
Neue Bauarbeiterstatue mit vielen Details
Noch viele andere Details machen die Statue sehenswert. Der Stehende ist am Rücken unvollendet gelassen, sein Inneres liegt dort frei und zeigt Steine, „wie sie beim realen Aufbau einer Mauer oft mitgenutzt werden“, so der Künstler. Das Miteinander der beiden Protagonisten im gegenseitigen Erschaffungsprozess wirkt beinahe zärtlich. „Das soll es auch“, bestätigt der Künstler. „Das Maurerhandwerk ist in meinen Augen nichts Grobes. Es braucht feines Arbeiten, einen Blick fürs Detail und Leidenschaft. Das spiegelt sich in der Skulptur wider.“ Und zusätzlich zum Feingeistigen hat Sven Schöning mit einer gesunden Portion Humor auch etwas ganz Handfestes dargstellt: das klischeehafte „Maurerdekolleté“ beim sitzenden Bauarbeiter, das bei der Enthüllung für einige Schmunzler sorgte.



Bürger dürfen beim Namen der Skulptur mitbestimmen
WGS-Geschäftsführer Kristian Meier-Hedrich, der gemeinsam mit Sven Schöning und Oberbürgermeister Rico Badenschier die Plastik enthüllte, war begeistert vom Werk. „Der Künstler und wir haben lange über verschiedene Darstellungsformen diskutiert und das Ergebnis gefällt uns sehr, sehr gut. Die Skulpturen aus den 70ern waren statisch, hier ist Bewegung. Sie agieren dazu auf Augenhöhe der Betrachter. Wir hoffen, dass die Anwohner das Kunstwerk annehmen und gerne hier verweilen. Sitzgelegenheiten laden dazu ein“, so Meier-Hedrich. „Wenn die Statue eine Weile gewirkt hat, möchten wir im kommenden Jahr gemeinsam mit den Menschen am Monumentenberg nach einem Namen für die Skulptur suchen – das wird ein nächster spannender Prozess.“



