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DGB Nord: MV trägt beim Bruttostundenlohn weiter die rote Laterne

„Mit 17,66 Euro Brut­tostun­den­lohn sind wir nach wie vor das Schlus­slicht in der Repub­lik. Das ist ein deut­lich­er Stan­dort­nachteil für unser Bun­des­land“, skizzierte Ingo Schlüter die hiesige Einkom­menssi­t­u­a­tion. Das geringe

  • Veröffentlicht Februar 18, 2021
DGB Nord: Online Vorstel­lung Tar­ifre­port

„Mit 17,66 Euro Brut­tostun­den­lohn sind wir nach wie vor das Schlus­slicht in der Repub­lik. Das ist ein deut­lich­er Stan­dort­nachteil für unser Bun­des­land“, skizzierte Ingo Schlüter die hiesige Einkom­menssi­t­u­a­tion. Das geringe Ent­gelt sei ein Wet­tbe­werb­snachteil, wenn man Fachkräfte anwerbe. Gle­ichzeit­ig sei es zudem auch „eine klare Wach­s­tums­bremse“. Für Gew­erkschafter Schlüter „gibt es keinen wirk­lichen Fachkräfte­man­gel. Aber es gibt einen Man­gel an attrak­tiv­en, an tar­i­flich bezahlten Arbeit­splätzen in Meck­len­burg Vor­pom­mern.“

 

Abwärtstrend gestoppt

Dr. Lübker, Fach­mann für Tarif – und Einkom­men­sanaly­sen des Wirtschaft – und Sozial­wis­senschaftlichen Insti­tuts (WSI) der HBS, sieht aber auch beschei­dene erfreuliche Entwick­lun­gen. Bun­desweit nimmt seit Jahren die Tar­if­bindung ab. In den let­zten 25 Jahren annäh­ernd um ca. 30%. Fie­len in MV 1996 noch 70% aller Beschäftigten unter einen Tar­ifver­trag, so waren es in 2019 nur noch 44%. Dieser Abwärt­strend sei aber nun gestoppt. Damit liegen die hiesi­gen Arbeit­nehmerin­nen und Arbeit­nehmer im Mit­tel der ost­deutschen Län­der. Den­noch aber liegen die Werte noch immer deut­lich unter den Zahlen von Hes­sen (52%) oder Saar­land/Baden-Würt­tem­berg (52%). In 23% aller Betriebe wird nach Tarif gezahlt, der Durch­schnitt der fünf Bun­deslän­der im Osten der Repub­lik liegt dabei bei 19%.

Inter­es­sant ist der Ver­gle­ich der Branchen. In der Land – und Forstwirtschaft erre­icht die tar­i­fliche Abdeck­ung der Beschäf­ti­gungsver­hält­nisse ger­ade ein­mal 10%, während es in der öffentlichen Ver­wal­tung nahezu 100% sind. Es gilt die unge­fähre Formel: Je größer der Betrieb, desto höher die Tar­if­bindung.

 

Betriebsräte wichtig für Tarifbindung

Die Coro­na Pan­demie hat Erwerb­stätige mit niedrigem Einkom­men und prekär­er Beschäf­ti­gung beson­ders hart getrof­fen. Beschäftigte in Betrieben mit Tar­ifver­trag und Betrieb­srat prof­i­tieren häu­fig von ein­er Auf­s­tock­ung des Kurzarbeit­ergeldes und zusät­zlichen Altersvor­sorgeange­boten. Der Forsch­er der HBS sieht dabei auch einen klaren Zusam­men­hang zwis­chen Betrieben mit Betrieb­sräten und denen, ohne entsprechen­des Gremi­um zur Vertre­tung der Inter­essen der Beschäftigten. „Tar­if­bindung funk­tion­iert beson­ders gut, wenn sich Betrieb­sräte um die Umset­zung der Verträge küm­mern“, so Malte Lübker. In MV arbeit­en lediglich 38% aller Beschäftigten in einem Unternehmen mit Betrieb­srat. Um mehr Inter­essen­vertre­tung­sor­gane in Betrieben zu schaf­fen, sei die Ini­tia­tive für ein Betrieb­srätestärkungs­ge­setz sehr hil­fre­ich.

 

Konkrete Erfolge der Gewerkschaften in MV

Der Tar­ifre­port ver­weist auch auf konkrete Erfolge der DGB Mit­glieds­gew­erkschaften in Tar­i­fau­seinan­der­set­zun­gen. Er benen­nt dabei Beispiele wie die zum 1. Jan­u­ar 2021 wirk­sam gewor­dene, voll­ständi­ge Angle­ichung an den Flächen­tar­ifver­trag der Gew­erkschaft Nahrung, Genug und Gast­stät­ten (NGG) bei den Grabow­er Süßwaren. Auch der IG Met­all sei es in den let­zten Jahren in Ros­tock und Schw­erin gelun­gen, größere Maschi­nen­bau­un­ternehmen wieder in den Flächen­tar­ifver­trag zurück­zu­holen.  Die IG BAU erre­ichte in 2019 für die Maler und Lack­ier­er nach fün­fzehn Jahren erst­mals einen Lohn­tar­ifver­trag. Für erfahrene Malerin­nen und Maler bedeutete das bis zu 508 Euro monatlich mehr in der „Lohn­tüte“. Zu einem erfol­gre­ichen Warn­streik bei den Kitas des DRK in Bad Dober­an kam es 2019. Das Ergeb­nis war die volle Anerken­nung des Tar­ifver­trages für den Öffentlichen Dienst und eine Ein­malzahlung von 750 Euro für alle Beschäftigten, die 2019 in Rente gin­gen.

 

Belastbare Sozialpartnerschaft und keine Tarifflucht

Ingo Schlüter machte abschließend deut­lich, dass man eben nicht nur eine „Schön­wet­ter-Sozial­part­ner­schaft“ brauche. Wenn man jet­zt in der Coro­na-Krise z.B. gemein­sam mit DEHOGA, NGG und DGB für die Neustarthil­fe gekämpft habe, so muss diese Sozial­part­ner­schaft auch weit­er­hin bei der Tariftreue gel­ten. Der SPD-Vorschlag zu einem Tariftreuege­setz werde inten­siv disku­tiert. Die Entwick­lung von Tar­ifverträ­gen sei auch immer wieder The­ma im Rah­men der Entwick­lung des Indus­triekonzeptes. Der vorgelegte Tar­ifre­port enthält wichtige Dat­en und Fak­ten, die eine Diskus­sion und Eini­gung über das Indus­triekonzept ermöglichen. Der DGB-Vertreter hofft darauf, sich ver­ständi­gen zu kön­nen. Wenn sich aber Arbeit­ge­bervere­ini­gun­gen als „Fluchthelfer aus den Tar­ifverträ­gen erweisen, dann gehen wir in den Kon­flikt“, so Ingo Schlüter. 

Down­load des Tar­ifre­ports: https://nord.dgb.de

  • Peter Scherrer

    geb. 1959, gel­ern­ter Met­all­fachar­beit­er und grad. His­torik­er, arbeit­ete für Gew­erkschaften und poli­tis­che Stiftun­gen in Europa u.a. 2015–2019 als stel­lvertre­tender Gen­er­alsekretär beim Europäis­chen Gew­erkschafts­bund (EGB), in Brüs­sel. Schw­er­punk­te: Indus­trie- und Sozialpoli­tik sowie Lokalgeschichte und Kul­turelles. Wohnt seit 2017 in Schw­erin.

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