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Diskussion um Meinungsfreiheit in Deutschland

Gestern Abend lud die AfD-Landtagsfraktion ins Schlosscafé. Mit der DDR-Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld und dem SVZ-Chefredakteur Michael Seidel trafen gestern unterschiedliche Positionen aufeinander.

  • Veröffentlicht August 27, 2019
Vera Lengsfeld (li) und Michael Seidel diskutierten gestern über das Thema Meinungsfreiheit in Deutschland
Foto: Dario Rochow | Schwerin-Lokal.de

Was darf man in Deutschland sagen und was nicht? Diese Frage beschäftigte gestern Abend rund 200 Zuhörer beim 5. Schloßgespräch der AfD-Landtagsfraktion Mecklenburg-Vorpommern. Die ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin und CDU-Bundestagsabgeordnete Vera Lengsfeld und der SVZ-Chefredakteur Michael Seidel kreuzten dazu in einem Streitgespräch die Klingen. 

Seidel hatte sich im Vorfeld immer wieder kritisch in Kommentaren mit der AfD auseinandergesetzt. Daraufhin hatte ihn die Partei eingeladen einen Diskurs über die Meinungsfreiheit in Deutschland zu führen. Seidel sagte zu. Mag die Mehrzahl des Publikums gestern Abend nicht auf der Seite des SVZ-Journalisten gewesen sein, so konnte er am Ende doch einen Punktsieg einfahren. Vera Lengsfeld machte es ihm ziemlich leicht.

 

Netzwerkdurchsetzungsgesetz öffnet „Gesinnungsschnüffelei“ Tür und Tor

 

Die ehemalige DDR-Dissidentin sieht unser Land heute auf dem Weg in eine Gesinnungsdiktatur. Lengsfeld begründete ihre Einschätzung gestern mit dem sogenannten Netzwerkdurchsetzungsgesetz, in dem sie den Keim von „Gesinnungsschnüffelei“ sieht. Ursprünglich war das Gesetz dafür gedacht Hasskriminalität in den sozialen Netzwerken einzudämmen. Soziale Netzwerke wie Facebook  sind seit 2017 gezwungen „offensichtlich rechtswidrige Inhalte innerhalb von 24 Stunden“ nach Eingang einer Beschwerde zu löschen oder zu sperren. In der Praxis kommt es hier immer wieder zu Gerichtsprozessen und Facebook musste schon mehrmals gezwungen werden, Accounts freizuschalten oder Kommentare wieder öffentlich zu stellen. Für Lengsfeld hat sich an dieser Stelle gerichtliche Entscheidung auf Konzerne verlagert, denen es schwer fällt zwischen Hasskriminalität und freie Meinungsäußerung zu unterscheiden. 

Dem widersprach Michael Seidel. Auch er sehe das Netzwerkdurchsetzungsgesetz kritisch. Nur steht für ihn außer Frage, dass etwas gegen Äußerungen unternommen werden müsse, die die Würde des Menschen antasten. Immer wieder werde seine Redaktion mit Äußerungen in den Kommentarspalten konfrontiert, die nicht nur jenseits des guten Geschmacks sind, sondern einfach auch den Respekt vor der Menschenwürde vermissen lassen. 

Ein voller Saal gestern bei der Veranstaltung
Foto: Dario Rochow | Schwerin-Lokal.de

Vera Lengsfeld und Michael Seidel waren sich einig, dass strafrechtliche Inhalte sehr wohl gelöscht werden müssten. Schnell war es aber wieder mit der Einigung zu Ende als es dann um die Rolle der Medien in der Berichterstattung ging. Lengsfeld warf den Medien Einseitigkeit in der Berichterstattung vor. Seidel wies diesen Vorwurf zurück. Für seine zu verantwortende Zeitung nimmt der Chefredakteur in Anspruch den „360 Grad-Blick“ zu haben. Eine Regionalzeitung habe keine bestimmte politische Ausrichtung und sein Verlagshaus lege wert darauf, dass es in der Berichterstattung um Relevanz und nicht um politische Präferenz gehe. Das Murren im Raum machte allerdings deutlich, dass nicht jeder im Saal von diesem Selbstverständnis überzeugt war. Beweise blieben Seidels Kritiker aber an diesem Abend schuldig. Auch die von Vera Lengsfeld immer wieder in den Raum geworfenen Beispiele konnten lediglich als Teil der Wahrheit gesehen werden. Immer wieder konnte Seidel Argumente mit Gegenbeispielen aushebeln. Am Ende wurde deutlich, dass es häufiger um eine gefühlte als um eine tatsächliche Realität geht. 

 

Demokratie lebt vom Diskurs

 

Vieles gestern Abend bewegte sich nur an der Oberfläche. Für eine tiefergehende Analyse war kein Raum. Zu festgefahren, so der Eindruck, waren gestern die aufeinandertreffenden Positionen. So hätte man durchaus über die, wie es der Vorstandsvorsitzende des Axel-Springer-Verlags Mathias Döpfner kürzlich formuliert hat, „Ideologie eines intellektuellen Milieus“, zu dem auch Journalisten gehören, sprechen. Döpfner argumentierte in dem besagten Interview gegenüber der „Neuen Zürcher Zeitung“ (NZZ) weiter, dass Journalisten größtenteils dem linksliberalen Meinungsspektrum zuzuordnen seien. Insofern wäre es sicherlich ein spannender Diskussionspunkt gewesen, inwieweit eigene Haltung in die Berichterstattung hineingreift und das breite Meinungsspektrum in der Gesamtgesellschaft von Leitmedien eventuell nicht mehr abgedeckt wird. 

Auch hätte man die heutige Vielfalt von Presse beleuchten können. Noch nie ist die Vielzahl von Presse so groß gewesen wie heute. Jede politische Richtung kann heute ihr gewogene Medienerzeugnisse konsumieren. Hier wäre dann sicherlich auch die Debatte spannend gewesen, ob gerade der Rückzug in die eigenen Filterblasen nicht zu einer selbsterzeugten Monotonie in der Wahrnehmung führt. Michael Seidel wies in seinem Schlussstatement genau auf diesen Umstand hin. 

Am Ende blieb aber die Erkenntnis, dass es sinnvoll ist miteinander ins Gespräch zu kommen. Feindbilder entstehen immer dort, wo man der Debatte und dem Austausch von Argumenten ausweicht. Rückzug in die eigenen Bestätigungsforen macht am Ende alle Seiten blind für die Realität. Demokratie, das war gestern Abend das wichtige Signal, lebt vom Diskurs. Freiheit braucht keine Konsenssoße, die Verschiedenheit überdeckt, sondern das Ringen der verschiedenen Positionen in der Gesellschaft. Streit, wenn er ausgetragen wird wie gestern Abend, kann durchaus produktiv sein und ist ein Gewinn für die Demokratie. 

 

 

Written By
Stefan Rochow

ist Journalist, Unternehmer und Gründer der digitalen Tageszeitung "Schwerin-Lokal". Mail: redaktion@schwerin-lokal.de

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