Mi, 24. April 2024
Close

„Eine dankbare Arbeit, die wir gern machen.“

Ein Team von zwei Männern und zwei Frauen stellt in Schwerin die Schiedsstelle der Stadt. Im Ehrenamt sind sie da, wenn zwischenmenschliche Probleme bereits eskaliert sind oder zu eskalieren drohen.

  • Veröffentlicht März 14, 2022
Ein Eisberg symbolisiert auf beeindruckende Art und Weise die Bedeutung eines Blicks auch auf die Bereiche, die man nicht sofort sieht. | Foto: Xenia Plotnikova

Viele Schwerinerinnen und Schweriner kennen ihn: Edgar Hummelsheim. Der gebürtige Rheinländer war über ziemlich genau zwanzig Jahre Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Schwerin. Während dieser Zeit lernte er die verschiedensten Menschen kennen, musste sich in Themen wie auch Befindlichkeiten hineinfinden – auch solche, die nicht immer typisch für seinen Job waren – musste Lösungsideen entwerfen und musste vermitteln.

 

Aus dem Hauptgeschäftsführer ist ein ehrenamtlicher Schiedsmann geworden

Inzwischen genießt Edgar Hummelsheim seinen verdienten Ruhestand. Oder besser eine Mischung aus Ruhe und Unruhe. Denn wer ihn kennt weiß, dass es nicht seins ist, sich nun in den Lehnsessel zu setzen und den Tag laufen zu lassen. „Wenn man sich fit und vital fühlt, will und muss man noch was machen“, sagt er im Gespräch. Vielsagend lächelnd sitzt er dabei an seinem Schreibtisch im Stadthaus. Nun mag sich mancher fragen, weshalb Edgar Hummelsheim einen Schreibtisch im Stadthaus hat. Die Antwort ist letztlich einfach: Er ist nach seiner beruflichen Karriere noch ehrenamtlich aktiv. Er war und ist schon immer eher derjenige, der hinhört und dann anpackt. Probleme sind nicht da, um zu wachsen, sondern um sie zu lösen. Und genau dieser Linie folgend, packt Edgar Hummelsheim nun nochmals an. Als Schiedsmann bei der Schiedsstelle Schwerin.

 

Edgar Hummelsheim (Archivbild)

Schiedsstelle Schwerin – Beinahe wie vor Gericht

Das klingt auf den ersten Blick für manchen sicherlich ebenso fremd wie staubig. In Wirklichkeit aber ist die Schiedsstelle ein Ort, an dem durchaus jeder einmal landen könnte – oder anders herum, die viele einmal brauchen könnten. Ein Ort, an dem es um die kleineren und auch mal größeren Probleme zwischen Menschen geht. Von „staubig“ kann also keine Rede sein. Denn hier kann es durchaus auch recht lebendig zugehen. Beinahe wie vor Gericht. Der Vergleich ist letztlich auch nicht falsch, denn die Schiedsstelle ist tatsächlich rein formal auch dafür da, die Justiz zu entlasten. Denn dort soll es um die größeren und großen Justizfälle gehen. Kleinere, oft eher zwischenmenschliche, sollten wenn möglich im Vorfeld geregelt werden. Eben bei einer Schiedsstelle. „Sollten“ deshalb, weil der Weg zur Schiedsstelle keine Pflicht ist. Mit einigen Ausnahmen im Bereich nachbarschaftlicher Streitigkeiten aber auch bei Straftatbeständen wie Beleidigung, leichter Körperverletzung, Sachbeschädigung etc., da ist sie verpflichtend.

 

Team aus vier Schiedsleuten

„In der Regel ist es so“, erläutert Edgar Hummelsheim, „dass sich in einer Auseinandersetzung zwischen zwei Seiten eine an uns wendet, um irgendwie die Situation aufzulösen.“ Uns, das sind übrigens neben ihm  sein Kollege  Bernd Schulte sowie die beiden Kolleginnen Ines Kannenberg und Marlis Schüler. Dabei, das unterstreicht der Schiedsmann, ist die Schiedsstelle aber keine Rechtsberatung. Sie hat vielmehr die Funktion, sich nacheinander beide Seiten anzuhören und dann in einer Schlichtungsverhandlung zu versuchen, eine einvernehmliche Lösung herzustellen. Das Team der Schiedsstelle ergänzt sich dabei untereinander. Während Bernd Schulte sein Know how aus der Öffentlichkeitsarbeit und Interessenvertretung einbringt, steuern Marlis Schüler ihre  Erfahrungen als Lehrerin und Ines Kannenberg als Bankkauffrau bei.

Das Eisbergmodell veranschaulicht die Vielfalt der eine Situation beeinflussenden Aspekte, die unterhalb der Wasseroberfläche liegen. | Bodo Wiska, Berlin – Eigene Schöpfung, frei nach Ruch/Zimbardo (1974) S. 366. | angepasste Variante

 

Das (zwischen-)menschliche konkret im Blick

Anders als vor Gericht geht es dabei aber nicht nur um die reinen, harten Fakten. Also, und da kommen wir zu dem Eisberg-Bild, nicht nur die klaren Sachverhalte, die man oberhalb der Wasserkante sieht. „Wir stellen vielmehr die Gespräche unter die Frage: Was ist hier eigentlich das Problem? Was liegt hier wirklich im Argen?“, so Hummelsheim. Oft liege das Problem nämlich ganz woanders.

Um sich diesen Ansatz zu verdeutlichen, lohnt ein Blick auf den klassischen Nachbarschaftsstreit. Der Strauch wächst über den Zaun auf das Grundstück des Nachbarn. Plötzlich bricht ein Streit aus, wer nun für das Schneiden und die Entsorgung auf dem Nachbargrundstück zuständig ist. Das kann sich schnell hochschaukeln und zu einem großen Problem werden, das beide Seiten nicht mehr allein auflösen können.

 

Auch das betrachten, was man nicht gleich sieht

Die über die Grundstücksgrenze wachsenden Zweige und die Frage, wer nun für was zuständig ist, sind klar erkennbare Sachverhalte. Über diese und auch nur über diese, würde ein Gericht verhandeln. Da geht es dann nicht um Gefühle, nicht um andere Punkte, nur um harte Fakten. „Oft liegt das eigentliche Problem aber ganz woanders“, weiß Edgar Hummelsheim. „Da kann es mal eine abschätzige Bemerkung über die Frau des Nachbarn gegeben haben, vielleicht eine Beleidigung in einer ganz anderen Situation oder eine üble Nachrede. Oder irgendetwas anderes, das nichts mit den Zweigen zu tun hat. Eben das, was sich unter der Wasseroberfläche befindet und nicht gleich erkennbar ist.“

 

Informationen rund um die Schiedsstelle Schwerin:

Erreichbarkeit
Tel.: (0385-) 5451257
Mail: schiedsstelle@schwerin.de

Ausführliche Informationen
https://www.schwerin.de/mein-schwerin/engagieren-gestalten/engagieren/schiedsstelle/

 

In getrennten Gesprächen beide Seiten anhören

Und genau diese problembeteiligten Bereiche unter Wasser versuchen die Schiedsmänner und Schiedsfrauen die übrigens von der Stadtvertretung gewählt und von der Direktorin des Amtsgerichts Schwerin berufen werden, in jeweils getrennt geführten Erstgesprächen mit beiden Seiten zu eruieren. Das getrennte Gespräch ist natürlich auch deshalb wichtig, um die Emotionen, die in jedem der Fälle auf irgendeine Weise eine Rolle spielen, bestmöglich aus der Situation heraus zu bekommen. „Je nach Temperament und auch nach Problemseite sind die Menschen meist sehr aufgeregt oder extrem niedergeschlagen“, weiß Edgar Hummelsheim. Aber genau darauf sind die vier Schiedsleute ebenso vorbereitet, wie auf den gezielten Blick unter die Wasseroberfläche.

 

Mit zwei Schiedsleuten breitere Sichtweise ermöglichen

In der Regel führt Hummelsheim gemeinsam mit seinem Kollegen, oder einer seiner Kolleginnen, die Erstgespräche wie auch die Schlichtungsverhandlung durch. „Das hat sich als extrem sinnvoll erwiesen. Denn zu zweit hat man einen nochmal anderen Zugang zu den Menschen und deren Problemen.“ Haben beide Gespräche stattgefunden, und die Schiedsleute haben sich ein Bild gemacht, kommt es zur Schiedsverhandlung. „Da laden wir die Beteiligten genau so wie vor Gericht ganz formal per Postzustellungsurkunde ins Stadthaus in einen großen Besprechungsraum ein.“ Nichterscheinen kann dabei übrigens tatsächlich mit einem Strafgeld geahndet werden.

Pro und contra – Für und wider. Es gilt, genau abzuwägen und dabei auch unter die Wasseroberfläche zu blicken. | Foto: privat

 

Es geht nicht um Sieger und Besiegte – Vergleich ist das Ziel

Die Vorbereitung der Verhandlungen, die in der Regel 2 bis 3  Stunden dauern, sei das Wichtigste, so Edgar Hummelsheim. Die Beteiligten erscheinen stark emotionalisiert. Und wenn sie aufeinander treffen legt sich diese Situation eher nicht von selbst. In der Regel gelte es dann, erst einmal die Gemüter zu beruhigen, und möglichst im Gespräch ein Verständnis für die Position des Anderen zu entwickeln. „Natürlich gelingt das nicht immer. Aber wenn beide Seiten sich so weit bewegen, dann klappt es meistens auch, einen Vergleich zu schließen.“ Und genau dieser ist das Ziel. „Unser Ziel ist nicht, mit einem Sieger und einem Besiegten auseinander zu gehen. Beide Seiten sollen mit dem Vergleich und im Optimalfall auch wieder mit dem jeweils anderen in Frieden weiterleben können“, so Schiedsmann Edgar Hummelsheim.

Steht der Vergleich, wird er noch direkt vor Ort niedergeschrieben, und von allen Beteiligten auch unterschrieben. „Dann siegeln wir ihn. Wir haben dafür ein eigenes Siegel. Damit ist der Vergleich bindend, und die darin festgelegten Pflichten auf Zahlung, Handlung, Duldung  oder Unterlassung sind vollstreckbar. Für 30 Jahre .“

 

Unterstützung auch von Seiten der Stadtverwaltung

Natürlich gelingt so ein Vergleich nicht immer. Aber eine Erfolgsquote von 60 bis 70 Prozent kann sich durchaus sehen lassen. Und hinzu kommen noch der eine oder andere Fall, den Hummelsheim schon vorher löst. So ist ja der erste Schritt stets ein Anruf bei der Schiedsstelle der Stadt (0385- 5451257) oder eine Mail (schiedsstelle@schwerin.de). Um die entsprechende Aufmerksamkeit für die Möglichkeit der Nutzung der Schiedsstelle zu wecken, hat Frau Diestel von der Pressestelle kürzlich eigens ein Plakat angefertigt. „Von dort bekommen wir ebenso viel Unterstützung wie auch ansonsten von Seiten der Verwaltung“, so Hummelsheim. Damit die vier Schweriner Schiedsleute nicht täglich vor Ort sein müssen, nimmt beispielsweise Silke Wurst von der Hauptverwaltung Anrufe entgegen und stellt dann die Verbindung her.

 

Probleme zurücklassen und tragbare Lösungswege aufzeigen. Eine wesentliche Aufgabe der Schiedsleute. | Darstellung: privat

 

Geringe Kosten – Wirklich für alle da

Mit den Schiedsleuten in Kontakt zu kommen, ist also ganz einfach. Und manchmal reicht auch dieser erste Austausch bereits, um einen Lösungsansatz zu entwickeln. „Es gab durchaus schon einige Fälle, in denen ich mich dann einfach auf’s Rad gesetzt und die ‚Gegenseite‘ besucht habe. Gemeinsam haben wir dann sofort eine Lösung gefunden. Ich habe einen großen Teil meines Lebens auch damit verbracht, Dinge in Gang zu bringen. Das ist in diesen Momenten sehr hilfreich“, so Hummelsheim.

Wichtig ist ihm zu unterstreichen, dass die Schiedsstelle letztlich wirklich für alle da ist. Denn wer die Dienste der Schiedsstelle in Anspruch nehmen möchte, muss nur einen Vorschuss von 60 Euro vorab anzahlen. „In den meisten Fällen zahlen wir sogar noch etwas zurück. Es ist einfach die Sicherheit, dass die möglichen Kosten des Verfahrens auf jeden Fall gedeckt  sind.“ Weniger als 60 Euro also, und ein Streit lässt sich – gepaart mit etwas Offenheit – mit der Unterstützung der beiden Schiedsmänner und der beiden Schiedsfrauen Schwerins lösen.

 

Eine wirklich dankbare Arbeit

Edgar Hummelsheim ist sehr froh darüber, dass dies so möglich ist. Dass eben nicht die finanzielle Frage über die Inanspruchnahme der Schiedsstelle entscheidet. „Zu uns kommen nicht selten Menschen, die zumindest in Teilen mit der Bewältigung des Alltags überfordert sind. Sie brauchen jemanden, der auch einfach mal gucken kommt und ihnen sagt: ‚So machen wir das.‘ Jemanden, der gemeinsam mit ihnen einfach die Dinge mal ordnet. Und das sind wir“.

„Ja, manchmal sind wir auch ein wenig so etwas wie Sozialarbeiter. Aber wenn es der Sache dienlich ist, dann ist das doch auch gut so.“ Und natürlich werden Edgar Hummelsheim wie auch seine Kolleginnen  und sein Kollege  mal von der Seite angemacht. „Da stehen wir aber drüber. Denn am Ende ist es wirklich eine dankbare Arbeit, die wir gern machen.“

 

Informationen rund um die Schiedsstelle Schwerin:

Erreichbarkeit
Tel.: (0385-) 5451257
Mail: schiedsstelle@schwerin.de

Ausführliche Informationen
https://www.schwerin.de/mein-schwerin/engagieren-gestalten/engagieren/schiedsstelle/

Written By
Stephan Haring

Stephan Haring ist freier Mitarbeiter unserer digitalen Tageszeitung. Er hat ein Bachelor-Studium der Kommunikationswissenschaften an der Universität Erfurt mit den Nebenfächern Sozialwissenschaften & Politik absolviert. Im Nachhinein arbeitete er in leitenden Funktionen der Presse- & Öffentlichkeitsarbeit, im Leitungsbereich eines Unternehmens sowie als Rektor einer privat geführten Hochschule. Zudem entwickelte, organisierte und realisierte er mit der durch ihn entwickelten LOOK ein Fashionevent in Schwerin. Heute arbeitet er freiberuflich als Texter, Pressesprecher und Textkorrektor sowie als Berater in verschiedenen Projekten. In einem Schweriner Ortsbeirat ist er zudem ehrenamtlich als Vorsitzender kommunalpolitisch aktiv.

Kommentiere den Beitrag

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert