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Fett als beste Medizin

Wirtschaftsminister Harry Glawe gab gestern in Schwerin den offiziellen Startschuss für ein neues, vielversprechendes Verbundvorhaben in der regenerativen Medizin. Wissenschaftler und Ingenieure der Schweriner human med AG wollen in Kooperation

  • Veröffentlicht November 7, 2013
Prototyp-Fettabsaugungs- und Stammzellseparationsgerät
Prototyp-Fettabsaugungs- und Stammzellseparationsgerät

Wirtschaftsminister Harry Glawe gab gestern in Schwerin den offiziellen Startschuss für ein neues, vielversprechendes Verbundvorhaben in der regenerativen Medizin. Wissenschaftler und Ingenieure der Schweriner human med AG wollen in Kooperation mit Experten vom Lehrstuhl für Fluidtechnik und Mikrofluidtechnik der Universität Rostock ein neues System zur Gewinnung von Fettgewebe für die Regenerative Medizin, Dermatologie und Wiederherstellungschirurgie entwickeln.

„Das einfach zu bedienende mobile Medizingerät soll vielfältige zusätzliche und vor allem schonende Therapiemöglichkeiten in der Krankenversorgung eröffnen“, so Wirtschaftsminister Harry Glawe. Das Wirtschaftsministerium unterstützt das Vorhaben. Die human med AG erhält für das Projekt Zuwendungen vom Ministerium in Höhe von rund 495.000 Euro. Die Förderung der Universität Rostock als Verbundprojektpartner beläuft sich auf rund 793.000 Euro. Die Mittel stammen aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und dem Europäischen Sozialfonds (ESF). Das Projektvolumen des Gesamtverbundes beträgt rund 1.68 Millionen Euro bei einer Laufzeit von zwei Jahren. „Die 2008 eingeführte Verbundförderung im Land hat die wirtschaftsnahe und technologieorientierte Zusammenarbeit  zwischen Hochschulen, außeruniversitären Forschungseinrichtungen und Unternehmen in Mecklenburg-Vorpommern beflügelt und viele neue fruchtbare Kooperationen hervorgebracht“, so Glawe weiter. „Die Kompetenznetzwerke sind mit der Verbundforschung gewachsen und deren innovativen Produkte waren die Basis für neue wissensbasierte Arbeitsplätze.“

 

Nachschub ohne Grenzen und sichtbare Erfolge

Bis vor etwa drei Jahren bestand das Ziel beim Absaugen großer Fettmengen, der sogenannten Liposuktion, allein darin, unerwünschtes Fettgewebe zu entfernen, um auf schnellem Wege schlanker zu werden. In der Schönheitschirurgie werden bis zu 8.000 ml Fettgewebe abgesaugt und anschließend entsorgt. „Erst in jüngerer Zeit wurde der große klinische Nutzen des abgesaugten Fettgewebes entdeckt“, erläuterte Dr. Inge Matthiesen, Leiterin Medical Affairs in der human med AG Schwerin. „Der neue Trend der Fettgewebstransplantation mit menschlichem Eigenmaterial hat sich im Laufe der letzten Jahre sehr stark entwickelt. Da Fettgewebe etwa 500mal mehr Stammzellen als Knochenmark enthält, stellt es eine leicht verfügbare Quelle ohne Nachschubprobleme für die Regenerative Medizin dar.“

 

Zahlreiche medizinische Studien haben inzwischen die außergewöhnlichen Erfolge von Eigenfetttransplantationen bewiesen. Diese werden unter anderem bei Brustvergrößerung aus ästhetischen Gründen, beispielsweise nach Krebsoperationen eingesetzt, aber auch in der Wiederherstellungschirurgie nach Unfällen mit erheblichen Verletzungen oder bei der Behandlung von chronischen und nicht heilenden offenen Wunden bei älteren Menschen und Diabetikern. Die entnommenen Fettzellen werden gefiltert und können dann in einem einfachen Verfahren an der betreffenden Stelle injiziert werden. Allerdings fehlt derzeit für den flexiblen Einsatz kleinerer Mengen von Fettgewebe im klinischen Alltag eine entsprechende medizintechnische Infrastruktur. Genau da setzt das Verbundvorhaben an.

 

Heilen mit Fettzellen als Standardtherapie

In Marktanalysen wurde ermittelt, dass für die neuen klinischen Anwendungen wesentlich geringere Fettgewebsmengen benötigt werden als bei der bisher üblichen Liposuktion. Hier liegt der Bedarf an abgesaugtem Fettgewebe zwischen 5 und 200 ml. Der Einsatz eines von human med entwickelten Wasserstrahlsystems body-jet für die Absaugung von großen Fettmengen sowie das relativ aufwändige Zubehör wie Spezialkanülen und Aufsätze sind in jeder Hinsicht „überdimensioniert“ und zu kostenintensiv. „Daher müssen wir neue, kleinere und mobile Systeme und das geeignete Einweg-Zubehör entwickeln und produzieren, um die neuen Anforderungen zu erfüllen“, erklärte Dr. Inge Matthiesen das Anliegen des Projektes. „Dabei ist die Vitalität des gewonnen Fettgewebes und der enthaltenen Zellstrukturen für den Heilungsprozess von besonderer Bedeutung für die neuen klinischen Anwendungen. Unser Ziel ist der sofortige und unkomplizierte Einsatz von Fettzellen als Standardtherapiemöglichkeit für neue klinische Anwendungen“, so Matthiesen.

 

Der Beitrag des Lehrstuhls für Fluidtechnik und Mikrofluidtechnik der Universität Rostock am Verbundprojekt beinhaltet zwei Schwerpunkte. „Bei dem zu entwickelnden System zur Stammzellgewinnung müssen deutlich kleinere Mengen Fettgewebe abgesaugt werden als bei herkömmlichen Fettabsaugsystemen“, erörterte Projektleiter und Kooperationspartner Prof. Hermann Seitz von der Universität Rostock. „Zum einen müssen deshalb für das zu entwickelnde kompakte Gerät neue Systemkomponenten wie Pumpen und Kanülen entwickelt und experimentell untersucht werden. Ein weiterer Fokus liegt auf der Computersimulation der wasserstrahlbasierten Absaugung, um dadurch die Belastung der Stammzellen bei der Gewinnung zu berechnen. Diese Informationen werden dann bei der Entwicklung des neuen Gerätes eingesetzt, um eine möglichst schonende Gewinnung der Stammzellen zu gewährleisten.“ Darüber hinaus sind im Rahmen des Verbundvorhabens zellbiologische Untersuchungen an der Universitätsmedizin Rostock geplant, um sicherzustellen, dass das mit dem neuen System gewonnene Fettgewebe einen sehr hohen Anteil vitaler Fettzellen und Stammzellen enthält.

 

„Die Entwicklung einer zuverlässigen und kostengünstigen Methode zur Gewinnung und Nutzung von Fettgewebe wäre ein großer technologischer Fortschritt in der Regenerativen Medizin und das made in MV“, betonte Wirtschaftsminister Harry Glawe. „Es ist der richtige Weg, dass human med seinen Vorsprung in der Wasserstrahltechnologie gezielt dafür einsetzt, zusammen mit der Rostocker Universität neue Märkte in der Gesundheitsbranche zu erschließen. Das ist das Ziel unserer Forschungsförderung.“

 

Bilanz EU-Förderperiode – Erfolgreiche Strukturen in der neuen Förderperiode ausbauen

Der Minister machte zum Auslaufen der EU-Förderperiode 2007 bis 2013 deutlich, dass auch künftig die Verbundforschungsförderung ein wesentlicher Schwerpunkt der neuen EU-Förderperiode 2014 bis 2020 sein wird. „Klar ist, dass es weniger Mittel geben wird. Aber ich sage auch: Wir werden die Forschungs- und Entwicklungsförderung auf einem hohen Niveau weiterführen. Für die neue EU-Förderperiode werden uns voraussichtlich 137 Millionen Euro (etwa 88 Prozent der jetzigen Förderperiode) zur Verfügung stehen. Unseren begonnenen Weg für eine technologierorientierte Wirtschaftsförderung werden wir kontinuierlich ausbauen und fortsetzen“, betonte Glawe. Besondere Zukunftschancen sieht der Minister auf den Wachstumsmärkten in den Bereichen Gesundheit, Maschinenbau, Informations- und Kommunikationstechnologie, Energie, Mobilität und Ernährung. „Insbesondere die Verbundforschung wollen wir weiter ausbauen. So viele hochwertige Innovationsvorhaben mit Spitzenergebnissen, bei denen Unternehmen und Wissenschaftseinrichtungen in MV miteinander kooperieren, hat es in der Vergangenheit nicht gegeben.“

 

Für die Förderung von Forschung, Entwicklung und Innovation in Mecklenburg-Vorpommern stehen in der EU-Förderperiode 2007 bis 2013 Mittel in Höhe von insgesamt 155 Millionen Euro aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) und dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) zur Verfügung. Davon wurden bis Oktober 2013 bereits 141 Millionen Euro bewilligt. Mit diesen Mitteln konnten bisher 765 Projekte gefördert werden, davon 354 Verbundforschungsprojekte mit einem Fördervolumen von 92,4 Millionen Euro.

 

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Redaktion

der digitalen Tageszeitung Schwerin-Lokal. Kontakt: redaktion@schwerin-lokal.de

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