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Joggerin-Mord: Angeklagter verwirrt mit seiner Aussage zum Tathergang

(sr). Seit seiner Verhaftung am 13. Juli 2013, äußerte er sich über viele Monate nicht zu seiner Bluttat. Gestern nun brach der wegen Mord, versuchte sexuelle Nötigung und Verstoß gegen

  • Veröffentlicht Januar 14, 2014

Der Angeklagte Norman L. verdeckt sein Gesicht vor den Fotografen. Von seinem Verteidiger Jörn Gaebell (r.) lässt der 46-Jährige gestern eine sechsseitige Erklärung zur Tat vom 7. Juli vorlesen. Foto: Schwerin-Lokal
Der Angeklagte Norman L. verdeckt sein Gesicht vor den Fotografen. Von seinem Verteidiger Jörn Gaebell (r.) lässt der 46-Jährige gestern eine sechsseitige Erklärung zur Tat vom 7. Juli vorlesen.
Foto: Schwerin-Lokal

(sr). Seit seiner Verhaftung am 13. Juli 2013, äußerte er sich über viele Monate nicht zu seiner Bluttat. Gestern nun brach der wegen Mord, versuchte sexuelle Nötigung und Verstoß gegen das Waffengesetz angeklagte 46-jährige Norman L. im Gerichtssaal sein Schweigen.

In einer sechsseitigen Erklärung, die von seinem Verteidiger Jörn Gaebell zu Prozessbeginn verlesen wurde, räumt er die Schuld an der Tötung der 29-jährigen Mutter Anna-Lena U. ein. Gleichzeitig bemüht er sich aber, die Tat als Unfall erscheinen zu lassen. Die Schilderung des Tathergangs seitens L., ist in vielen Punkten nicht nur erschreckend, sondern lässt auch viele Zweifel aufkommen.

Spontan kam die Idee eine Dummheit zu begehen, um ins Gefängnis zu müssen

Erst spät habe er sich entschlossen, über den Tathergang zu berichten. „Die Schuld lässt mir aber keine Ruhe“, so heißt es in der Erklärung des Angeklagten. Ursprünglich hätte er nicht vorgehabt, sich zu seiner Tat zu äußern. Der Auftritt der Mutter des Opfers am vorletzten Prozesstag, habe ihn dann aber sehr berührt. „Das hat mich nicht kalt gelassen“, so der Angeklagte. Da habe er sich zur Abgabe einer Erklärung entschlossen.

Er sei Vater von vier Kindern und könne daher seine Tat selbst nicht verstehen. Norman L. habe damals die Trennung von seiner Verlobten Daniela E. belastet. Ebenso habe ihn auch die angebliche Unfähigkeit von Daniela E. für die vier Kinder zu sorgen, bewegt. Die Verantwortung wäre andauernd bei ihm abgeladen worden. „Ich bin nicht der Typ, der Nein sagen kann“, so L. weiter.

Dazu sei dann auch noch seine Arbeitslosigkeit gekommen. Er hätte damals das Gefühl gehabt, privat und beruflich in eine Sackgasse geraten zu sein. „Alles erschien perspektivlos“, erklärt der Angeklagte in der Darstellung seinen damaligen Gemütszustand.

Diese Gedanken kreisten L. auch auf seinem Spaziergang am 7. Juli des vergangenen Jahres im Kopf, als er glaubt, die rettende Idee zu haben: Der Angeklagte möchte seiner Ex-Verlobten einen Warnschuss geben. „Damit sie mal sieht, wie das ist, ohne mich zurecht zu kommen“, möchte Norman L. sich mit einer Haftstrafe dem Zugriff von Daniela E. entziehen. Sein Ausweg aus seiner Situation ist, so erscheint es ihm an diesem Tag, wenn er jetzt irgendeine „Dummheit“ begehen würde, für die er ins Gefängnis gehen müsse.

Am Horizont nimmt er einen „weißen Fleck“ wahr und fühlt nach seinem Butterfly-Messer, dass er nach seiner Darstellung eigentlich schon drei Tag vorher entsorgen wollte, aber sich immer noch in seiner Tasche befindet. Wenn er die ihm entgegenkommende Person nun mit seinem Messer verletzten würde, beispielsweise in den Arm stechen, dann müsste er wegen Körperverletzung ins Gefängnis. Dieser „weißer Fleck“ vor L. ist die Joggerin Anna Lena U., die sich auf L. zubewegt.

Er habe sein späteres Opfer nicht gekannt – sie sei die erste Person gewesen, die ihm entgegengekommen sei. Norman L. schildert in seiner Erklärung, dass er sich nun der jungen Frau in den Weg gestellt habe und mit dem Messer Richtung Hüfte gezielt habe. Anna Lena U. hätte den Stich aber abgewehrt und sich dabei an der Hand verletzt. Anschließend habe sie den Angeklagten an den Oberarm gepackt, wobei er das Gleichgewicht verloren habe und hingefallen sei. Beim Versuch den Fall abzufangen und sich mit dem Messer in der Hand abzustützen, habe die Klinge den Hals des Opfers getroffen, was dann zum Tod von Anna Lena U. geführt habe. Er habe die Tötung nicht beabsichtigt. L. sei schnell weggerannt und hätte auch nicht mitbekommen, dass sein Opfer so massiv blutete und tödlich verletzt wurde. Alles habe sich in einem Zeitraum von 15 Sekunden abgespielt. „Es tut mir unendlich leid“, erklärt der Angeklagte. „Ich weiß, dass ich unendliches Leid über die Familie von Anna-Lena U. gebracht habe. Wäre das mit einem meiner Kinder geschehen, ich würde für diesen Täter die Todesstrafe fordern.“

Ein sexuelles Motiv weist der Angeklagte, der schon in der Vergangenheit in zwei Fällen wegen versuchter Vergewaltigung verurteilt worden ist, an diesem Tag mehrmals von sich.

„Ich gehe davon aus, dass es asich ganz nders zugetragen hat“

Zweifel an der Schilderung des Tathergangs, äußerte gestern der Rechtsmediziner Dr. Fred Zack, der von der Strafkammer als Gutachter bestellt worden ist. „Die Darstellung widerspricht den Spuren am Tatort und auch jeglicher Logik“, so Zack. Die Wahrscheinlichkeit den Hals zufällig zu treffen, liegt nach Angaben des Gutachters bei weit unter 10 Prozent. Wenn das Messer – das der Täter zu dieser Zeit in der linken hand gehalten haben möchte- zufällig in den Hals gekommen ist, müsse das Bild der Spuren ganz anders aussehen. „Ich gehe davon aus, dass es sich ganz anders zugetragen hat“, so der Gerichtsgutachter gestern im Gerichtssaal. Alleine die bei der Untersuchung festgestellten Verletzungen am Ohr lassen vermuten, dass Anna Lena U. an den Ohren auf die Stelle gezogen wurde, wo sie dann später getötet wurde. Das Opfer sei festgehalten worden und hätte zu keinem Zeitpunkt die Möglichkeit der Flucht gehabt. Dr. Zack ist sich sicher: Es hat ein Kampf auf Leben und Tod stattgefunden.“

Dr. Zack erklärt anhand der Bilder vom Tatort und von der Toten, warum er die Version des Angeklagten anzweifelt. Norman L. schaut sich anfangs zusammen mit den Richtern, Schöffen, Staatsanwalt, Verteidiger und den Gutachtern die Bilder an und verfolgt die Stellungnahme von Zack aufmerksam. Nach kurzer Zeit geht er dann auf seinen Platz zurück. während die anderen weiter die Bilder auswerten. Eine Regung im Gesicht von L. kann man zu diesem Zeitpunkt nicht ablesen.

Henning Heintzenberg, der Anwalt der Opferfamilie, bezeichnet die Aussage von Norman L. dann im Anschluss an die Spurenauswertung als „den untauglichen Versuch, die Spurenlage zu erklären“.

Prozess scheint nach Aussage des Angeklagten wieder offen zu sein

Die Aussage des Angeklagten, hat trotz aller Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Schilderung von  Norman L., dem Prozess gestern eine neue Wende gegeben. Die Staatsanwaltschaft geht von niederen Beweggründen bei der Tötung von Anna Lena U. aus. Das Gesetz sieht in diesem Fall eine lebenslange Haftstrafe vor.

Mit der gestrigen Aussage des Angeklagten, ist nun alles wieder offen. Die Rechtsgutachten müssten jetzt zweifelsfrei belegen, dass das Geschehen sich anders als von L. geschildert zugetragen habe. Gelingt diese zweifelsfreie Widerlegung nicht, dann muss das Gericht im Zweifel für den Angeklagten entscheiden. Norman L. könnte dann nur wegen einer Körperverletzung mit Todesfolge verurteilt werden, wobei das Strafmaß dann weit unter einer lebenslangen Haftstrafe liegen würde. Prozessbeobachter schließen daher nicht aus, dass die gestrige Aussage des Tatverdächtigen genau dieses Ziel haben könnte.

Der Vorsitzende Richter Robert Pipel, wies daher gestern darauf hin, dass der Fall durchaus schwierig  gelagert sei und die Strafkammer Zeit für eine Entscheidung benötigen würde. Ein Urteil könnte am 22. Januar gefällt werden.

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Redaktion

der digitalen Tageszeitung Schwerin-Lokal. Kontakt: redaktion@schwerin-lokal.de

0 Comment

  • Sehr geehrte Leser,
    wenn ich so etwas lese, stellen sich mir alle Nackenhaare auf. Es ist unglaublich, was sich da wieder in einem Gerichtssaal abspielt.
    Was wurde in diesem Prozess wieder für ein Deal ausgehandelt?
    Macht sich auch nur einer von den Leuten in diesem Saal Gedanken darüber wie es den Opfer ( Hinterbliebenen) geht? Wie ABARTIG!!!
    Unser verdammter Staat ist Schuld, dass so etwas immer und immer wieder passiert.
    Ich selbst Opfer einer Vergewaltigung, musste am eigenen Leib erfahren wie mit Opfern verfahren wird. In unserem Land schenkt man noch immer sein Augenmerk – den Tätern. UNFASSBAR! In meinem Fall wurde lt. Ermittlungsakte nie ermittelt, obwohl es genügend Beweise gab und gibt..
    Ein Vergewaltiger darf weiter praktizieren, weil er offensichtlich mit seinem Namen im öffentlichen Leben steht , er darf weiter vergewaltigen und unsere Justiz schaut ganz offensichtlich zu,
    Laut Gesetz muß bei einer Vergewaltigung ermittelt werden, denn eine Vergewaltigung ist ein Offiziersdelikt – ODER?! Es ist nicht nachvollziehbar was in unserem Land passiert und alle schauen nur zu – dieser Zustand macht mich wütend.

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