Do, 10. Juli 2025
Close

Verzögerte Verfahren und fehlende Richter:
Gerichtspräsident kritisiert Personalmangel an Amts- und Landgerichten

OLG-Präsident Kai-Uwe Theede übt öffentlich scharfe Kritik an Justizministerin Jacqueline Bernhardt – und stellt die Personalausstattung der Gerichte infrage. Justizministerin Bernhardt widerspricht umgehend.

Avatar-Foto
  • Veröffentlicht Juni 25, 2025
Personalmangel Justiz Mecklenburg-Vorpommern
Den Gericht­en im Land fehlen seit Jahren per­son­elle Kapaz­itäten. Foto: Ste­fan Rochow 

In Meck­len­burg-Vor­pom­mern ist eine Diskus­sion über die Per­son­alausstat­tung der Jus­tiz ent­bran­nt. Der Präsi­dent des Ober­lan­des­gerichts (OLG) Ros­tock, Kai-Uwe Theede, hat in ein­er Pressemit­teilung auf struk­turelle Belas­tun­gen bei Amts- und Landgericht­en hingewiesen. Dabei äußerte er sich anerken­nend zur per­son­ellen Stärkung der Ver­wal­tungs­gerichts­barkeit, forderte jedoch gle­ichzeit­ig ver­gle­ich­bare Maß­nah­men für die ordentliche Gerichts­barkeit.

Hinweis auf strukturelle Überlastung der ordentlichen Gerichtsbarkeit

„Ein funk­tion­ieren­der und effizient arbei­t­en­der Rechtsstaat ist Grund­vo­raus­set­zung ein­er frei­heitlich-demokratis­chen und fried­lieben­den Gesellschaft“, erk­lärte Theede. In diesem Zusam­men­hang begrüßte er die aktuellen Maß­nah­men des Jus­tizmin­is­teri­ums zur Ver­stärkung der Ver­wal­tungs­gerichte. Gle­ichzeit­ig wies er auf beste­hende Belas­tun­gen der Amts- und Landgerichte hin: „Eben­so gut und richtig wäre es, in gle­ich­er Weise den enor­men Belas­tun­gen der Rich­terin­nen und Richter in der ordentlichen Gerichts­barkeit durch entschlossenes Han­deln zu begeg­nen.“

Nach Angaben des OLG-Präsi­den­ten fehlten seit Jahren per­son­elle Kapaz­itäten, um die anfal­l­en­den Ver­fahren zeit­gerecht zu bear­beit­en. Die Unterbe­set­zung sum­miere sich laut Theede in den ver­gan­genen zehn Jahren auf ins­ge­samt min­destens 75 Richter­ar­beit­s­jahre. Dies habe unter anderem zur Folge, dass in bes­timmten Ver­fahren­sarten wie Bausachen erstin­stan­zliche Entschei­dun­gen teils zwei Jahre auf sich warten ließen. In Arzthaf­tungssachen betrü­gen die Ver­fahrenslaufzeit­en mitunter vier Jahre. Auch in umfan­gre­ichen Strafver­fahren könne es laut Theede mehrere Jahre bis zu ein­er Verurteilung dauern.

Haftsachen binden erhebliche Ressourcen

Beson­ders her­aus­fordernd seien par­al­lel laufende Haft­sachen. Diese Ver­fahren hät­ten auf­grund ihrer Dringlichkeit Vor­rang und wür­den einen erhe­blichen Teil der vorhan­de­nen Per­son­al­res­sourcen binden. Ein Abbau beste­hen­der Ver­fahren­srück­stände sei dadurch erschw­ert. Theede erk­lärte: „Der Jus­tizgewährungsanspruch unser­er Bürg­erin­nen und Bürg­er wird in zeitlich­er Hin­sicht teil­weise arg stra­paziert. Gle­ich­es gilt für den Beschle­u­ni­gungs­grund­satz in Strafver­fahren, der die Rechte der Beteiligten eben­so wahren soll wie das öffentliche Inter­esse an der Strafver­fol­gung.“

Auf die Pressemit­teilung des Ober­lan­des­gerichts reagierte die Min­is­terin für Jus­tiz, Gle­ich­stel­lung und Ver­brauch­er­schutz Meck­len­burg-Vor­pom­merns, Jacque­line Bern­hardt, mit ein­er Stel­lung­nahme. Darin ver­weist sie auf Maß­nah­men ihres Haus­es, die seit Beginn ihrer Amt­szeit umge­set­zt wur­den. Laut Bern­hardt befind­en sich die Gerichte des Lan­des nach dem bun­de­sein­heitlichen Per­son­al­berech­nungssys­tem „PEBB§I“ im sta­tis­tis­chen Durch­schnitt bei ein­er Belas­tung von unter 100 Prozent pro Richter­stelle. Damit sei die ordentliche Gerichts­barkeit aus Sicht des Min­is­teri­ums aus­re­ichend aus­ges­tat­tet.

Neueinstellungen und gestiegene Ausbildungszahlen

Die Min­is­terin betonte, dass sie sich seit ihrem Amt­santritt für die Schaf­fung zusät­zlich­er Stellen einge­set­zt habe. Seit dem Jahr 2021 seien mehr als 100 Proberich­terin­nen und Proberichter neu eingestellt wor­den. Darüber hin­aus habe sich die Zahl der Ref­er­en­darin­nen und Ref­er­en­dare in Meck­len­burg-Vor­pom­mern ver­dreifacht.

Bern­hardt wies darauf hin, dass es in der Ver­gan­gen­heit eine enge Abstim­mung zwis­chen dem Jus­tizmin­is­teri­um und den Gericht­en gegeben habe, etwa im Zusam­men­hang mit gestiege­nen Ein­gangszahlen bei der Ver­wal­tungs­gerichts­barkeit. Im Mai sei ein gemein­samer Antrag auf die Schaf­fung von neun zusät­zlichen Planstellen bei den Ver­wal­tungs­gericht­en gestellt wor­den. Der Finan­zauss­chuss des Land­tags habe diesem Antrag zuges­timmt, die Beset­zung der Stellen sei geplant. Auch die Staat­san­waltschaften sollen von diesen Maß­nah­men prof­i­tieren. Vorstel­lungs­ge­spräche für Bewer­berin­nen und Bewer­ber seien im Juli ange­set­zt.

Zu den weit­eren Vorhaben des Jus­tizmin­is­teri­ums zählen laut Bern­hardt die Dig­i­tal­isierung der Jus­tiz und die flächen­deck­ende Ein­führung der elek­tro­n­is­chen Akte. Meck­len­burg-Vor­pom­mern befinde sich in dieser Hin­sicht auf der Ziel­ger­aden. Weit­ere Maß­nah­men betr­e­f­fen die Opti­mierung des Recht­sref­er­en­dari­ats sowie die kon­tinuier­liche Prü­fung der Belas­tungssi­t­u­a­tion an Gericht­en und Staat­san­waltschaften im Land.

Abschließend erk­lärte Min­is­terin Bern­hardt: „Ich set­ze weit­er­hin auf ein kon­struk­tives Miteinan­der. Wir arbeit­en unter Hochdruck daran, die Jus­tiz von Meck­len­burg-Vor­pom­mern für die Zukun­ft fit zu hal­ten. Bürg­ernähe, Effizienz und gerin­gere Ver­fahrenslaufzeit­en sind die Richtschnur.“

Unterschiedliche Einschätzungen zur Belastungssituation

Die unter­schiedlichen Ein­schätzun­gen zur Per­son­al­si­t­u­a­tion an Amts- und Landgericht­en verdeut­lichen den laufend­en Abstim­mungs­be­darf zwis­chen Jus­tizver­wal­tung und Gerichts­barkeit. Bei­de Seit­en ver­weisen auf ihre jew­eili­gen Zuständigkeit­en und Maß­nah­men im Rah­men der Sich­er­stel­lung ein­er funk­tion­stüchti­gen Jus­tiz in Meck­len­burg-Vor­pom­mern.

Kri­tik kommt von der Oppo­si­tion im Land. „Wenn Schönre­den Per­son­aleng­pässe beseit­i­gen kön­nte, wäre die Jus­tiz längst ent­lastet. Statt Zahle­nakro­batik à la PEBB§I braucht es echte Ent­las­tung für über­lastete Gerichte – Min­is­terin­nen­prosa hil­ft nicht weit­er”, so der Par­la­men­tarische Geschäfts­führer der CDU-Land­tags­frak­tion, Sebas­t­ian Ehlers. „Wer sich selb­st für ver­meintlich reko­rd­verdächtige Ein­stel­lun­gen feiert, während Ver­fahren jahre­lang dauern und die Betrof­fe­nen um verzweifelt um Hil­fe rufen, hat sich in ein­er Schein­welt einge­mauert. Rot-Rot ist ganz weit weg von den Men­schen.“