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Problemstadtteile werden Thema in der Stadtvertretung

  Ein gerade erst vorgelegtes Diskussionspapier„Wie brüchig ist die soziale Architektur unserer Städte?“  lässt aufhorchen: Arme und reichere Menschen leben in deutschen Städten immer seltener in gemeinsamen Nachbarschaften. Besonders ausgeprägt

  • Veröffentlicht Juni 15, 2018
Foto: Hartmut Leu – Archiv Hartmut Leu, Parchim

 

Ein gerade erst vorgelegtes Diskussionspapier„Wie brüchig ist die soziale Architektur unserer Städte?“  lässt aufhorchen: Arme und reichere Menschen leben in deutschen Städten immer seltener in gemeinsamen Nachbarschaften. Besonders ausgeprägt sei die soziale Trennung in Ostdeutschland, heißt es in einer Studie des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB), die die soziale Durchmischung in 74 deutschen Städten für die Jahre 2005 bis 2014 untersucht. In etwa 80 Prozent dieser Kommunen hat die räumliche Ballung von Menschen, die von Sozialleistungen wie Hartz IV lebten, zugenommen: am stärksten dort, wo viele Familien mit kleinen Kindern und viele arme Menschen leben. Unter den 74 ausgesuchten Städten deutschlandweit ist Schwerin trauriger Spitzenreiter. Die Fraktionen werden sich daher am kommenden Montag mit den Herausforderungen auseinandersetzten.

 

In Schwerin sind Armutsviertel entstanden

 

Bündnisgrüner Stadtvertreter Arndt Müller

Die bündnisgrüne Fraktion erwartet von Oberbürgermeister Rico Badenschier (SPD) einen stärkeren Einsatz für sozialere Wohnverhältnisse in Schwerin. Mit einem entsprechenden Antrag der Stadtfraktion für die Sitzung der Stadtvertretung, möchten die Bündnisgrünen am Montag Druck auf die Verwaltung ausüben.

Die Fraktion ist verärgert, dass es schon im März vergangenen Jahres einen entsprechenden Beschluss der Stadtvertretung gegeben hat, eine Analyse zu diesem Themenfeld zu entwickeln. Konkret sollte ein Grobanalyse zum Handlungsbedarf erarbeitet werden, die die Bereiche Soziale Wohnraumförderung, Altersgerechte Liegenschaftspolitik, Altersgerechter Umbau im Quartier sowie soziales und klimafreundliches Wohnen und Bauen umfasst. Als Erarbeitungsfrist wurde seitens der Stadtvertreter der 15.12. 2017 festgelegt. Trotz mehrerer Nachfragen der bündnisgrünen Fraktion wurde bisher noch kein Ergebnis seitens der Verwaltung vorgelegt.

 „Eine in den Medien zitierte aktuelle Studie des Berliner Wissenschaftszentrums dokumentiert, dass die soziale Spaltung in deutschen Städten weit vorangeschritten ist. Laut Studie ist in Schwerin das Problem besonders ausgeprägt. Menschen der unteren Einkommensschichten, von Arbeitslosigkeit Betroffene, Sozialhilfeempfänger, ältere Menschen mit geringer Rente, Großfamilien und Alleinerziehende können die hohen Mieten in den Gunstlagen der Stadt einfach nicht mehr zahlen. Oder sie finden aufgrund der Dominanz der Eigentumswohnungen nicht in allen Stadtteilen geeigneten Wohnraum „, so der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Arndt Müller. 

Dies führe dazu, dass Armutsviertel entstehen, die nicht selten aufgrund der räumlichen Trennung von den kulturellen und Verwaltungszentren der Städte und durch ungünstige Verstärkungsprozesse zu Problembezirken werden. Die Spaltung der Stadt in Reich und Arm ist weit vorangeschritten und würde von der handelnden Politik nicht wirksam aufgehalten.  „Eine solche Stadtentwicklung muss dringend  korrigiert werden“, fordert Müller. 

 

Nirgendwo werden die Probleme deutlicher als im Mueßer Holz

 

Zuvor hatte auch schon die SPD-Stadtfraktion eine Neuausrichtung der Wohnpolitik in Schwerin eingefordert. „Die Stadt müsse dringend gegen die Konzentration von Menschen bestimmter Einkommensschichten handeln. Das trägt zum gesellschaftlichen Zusammenhalt in unserer Stadt bei“, sagte SPD-Fraktionschef, Christian Masch. Auch seine Fraktion hat deshalb einen Antrag in die kommende Sitzung der Stadtvertretung eingebracht. Ziel ist es, dass mehr Menschen in allen Stadtteilen eine Wohnung finden, und zwar unabhängig von ihrem Geldbeutel.

Sozialdezernent Andreas Ruhl (SPD)
Foto: SIS/Christoph Müller

Das dringender Handlungsbedarf besteht, das weiß auch die Stadtverwaltung. Sozialdezernent Andreas Ruhl hat deshalb in den letzten Monaten immer wieder auch in den Medien auf die Probleme hingewiesen. Arbeitslosigkeit, hoher Ausländeranteil, Kinderarmut: Nirgendwo werden die Probleme deutlicher als im Mueßer Holz. 

Ruhl möchte deshalb genau dort aktiv werden. So ist im Moment die Schaffung eines neuen Jugendtreffs mitten im Stadtteil in Planung. Angeschoben hatte diese Idee vor einigen Monaten die Linksfraktion in der Stadtvertretung. Weiter sollen Anlaufstellen von Jobcenter und Jugendamt direkt vor Ort eingerichtet werden. Auch sollen Initiativen vor Ort unterstützt werden, die sich in dem Stadtteil engagieren. Für Ärger sorgte der Sozialdezernent, als er im Zusammenhang mit dem Mueßer Holz gegenüber dem NDR von einem Ghetto sprach. Die Wortwahl mag erst einmal erschrecken und sicherlich auch diejenigen verärgern, die sich seit Jahren in den Problembezirken engagieren. Legt man zugrunde, dass der Begriff „Ghetto“ im allgemeinen Sprachgebrauch in einem teilweise etwas prekär übertragenen Sinn auf Stadtviertel mit einer ausgeprägt abweichenden sozialen oder ethnischen Struktur angewandt wird, dann schärft dass sicherlich den Blick dafür, dass es in Schwerin Handlungsbedarf gibt.

 

Bundesprojektes „Bildung, Arbeit, Wirtschaft im Quartier“ läuft aus

 

Ein Tiefschlag ist es daher, was vor einigen Tagen in Schwerin eintrudelte: Der Antrag der Landeshauptstadt Schwerin zur Weiterführung des Bundesprojektes „Bildung, Arbeit, Wirtschaft im Quartier“ ist abgelehnt worden. Bis Dezember 2018 können Projekte noch unterstützt werden, dann ist aber Schluss. „Das Programm verbindet mit der Beschäftigungsförderung und der Quartiersentwicklung zwei Aspekte, die gerade für diese beiden Stadtteile von besonderer Bedeutung sind. Dort wohnen viele Menschen, die derzeit auf dem normalen Arbeitsmarkt ohne Unterstützung kaum eine Perspektive haben. In den letzten Jahren wurden 150 vormals arbeitslose Personen erreicht, von denen etwa ein Drittel wieder in Arbeit vermittelt werden konnte.“, sagt Henning Foerster, der Fraktionsvorsitzende der LINKEN in der Stadtvertretung. 

Darüber hinaus wurde in Kooperation mit im Stadtteil ansässigen Vereinen, Unternehmen und Institutionen, soziale Teilhabe ermöglicht und das Quartier aufgewertet. So ist beispielsweise die Gestaltung der Wald:Brücke, die naturnahe Entwicklung von Stadtumbaubrachen, die Pflege des Familienparks, die Einrichtung und Betreibung einer Möbelbörse, die Durchführung von Festen und Veranstaltungen sowie die Unterstützung des Stadtteiltreffs Eiskristall aus den Mitteln des Programms unterstützt worden. 

„Dass es in Neu Zippendorf und Mueßer Holz nach wie vor große Herausforderungen gibt, ist hinlänglich bekannt. Vor diesem Hintergrund bedauern wir ausdrücklich, dass der Antrag der Landeshauptstadt Schwerin zur Weiterführung des Bundesprojektes „Bildung, Arbeit, Wirtschaft im Quartier“ abgelehnt wurde“, sind sich die Fraktionsvorsitzenden Sebastian Ehlers (CDU) und Henning Foerster (LINKE) einig. Beide Fraktionen sehen,  dass nun schnell Kompensationsmöglichkeiten für die wegfallenden Bundesmittel gesucht werden müssen.  Oberbürgermeister Badenschier soll daher nach der Sommerpause entsprechende Vorschläge unterbreiten. Ein entsprechender gemeinsamer Antrag von CDU und LINKE wird am Montag auf der Tagesordnung der Stadtvertretung stehen. Badenschier soll Gespräche mit dem Jobcenter Schwerin und der Landesregierung über alternative Fördermöglichkeiten führen und den für die Beteiligung am Bundesprogramm ohnehin vorgesehenen städtischen Eigenanteil für künftige Maßnahmen bereitstellen.

Bei allem Engagement der Politik muss aber festgehalten werden, dass es bisher noch kein greifendes Konzept gibt, wie man das Dilemma in Schwerin auflösen kann. Auch wenn die Parteien in Schwerin langsam für den Kommunalwahlkampf im kommenden Jahr heiß laufen, bleibt zu hoffen, dass das nun zutage tretende überparteiliche Engagement kein Wahlkampfgetöse ist. 

Written By
Stefan Rochow

ist Journalist, Unternehmer und Gründer von SNO | Schwerin-Lokal. Mail: redaktion@schwerin-lokal.de

1 Comment

  • Wann wollt Ihr mal das Bild wechseln? Oder Ihr schreibt darunter „Historische Ansicht, es war einmal“.
    Manfred

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