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Bildungsstreik in Schwerin:
„Wir wollen echte Veränderung“ – Jugendliche fordern Bildungswende

Rund 800 Schüler demonstrierten in Schwerin für bessere Bildung. Mit klaren Forderungen und einem 21-seitigen Katalog forderten sie echte Reformen und mehr Mitbestimmung in der Schule.

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  • Veröffentlicht Mai 27, 2025

Schülerprotest Schwerin

Mit klaren Forderun­gen, laut­en Rufen und bun­ten Plakat­en zogen am gestri­gen Mon­tag rund 800 Schü­lerin­nen und Schüler durch die Schw­er­iner Innen­stadt. Sie kamen aus dem ganzen Land – von Ros­tock bis Güstrow, von Hagenow bis Parchim – und hat­ten ein Ziel: das Bil­dungsmin­is­teri­um. Dort über­gaben sie einen 21-seit­i­gen Forderungskat­a­log an Min­is­ter­präsi­dentin Manuela Schwe­sig (SPD) und Bil­dungsmin­is­terin Simone Old­en­burg (Die Linke). Ihr gemein­sames Anliegen: ein gerechteres, gesun­des und zukun­fts­fähiges Bil­dungssys­tem.

Bildungsprotest am 16.05.2025 in Schwerin
Luis Schüne­mann macht die Forderun­gen der Schü­lerin­nen und Schüler auf der Bühne deut­lich. Foto: Dario Rochow

„Wir woll­ten das The­ma Bil­dung wieder in den poli­tis­chen Mit­telpunkt rück­en – nicht nur wegen unser­er eige­nen Erfahrun­gen, son­dern auch wegen der Pisa- und Robert-Bosch-Stu­di­en“, sagte Luis, 18 Jahre alt und ein­er der Haup­tor­gan­isatoren. „Das Niveau ist gesunken, viele Kinder und Jugendliche zeigen psy­chis­che Auf­fäl­ligkeit­en, das Sys­tem kann dem ein­fach nicht mehr gerecht wer­den.“

Eine Schule die stärkt und nicht stresst

Der Forderungskat­a­log der Schü­lerin­nen und Schüler umfasst viele konkrete Vorschläge. Im Mit­telpunkt ste­ht der Wun­sch nach ein­er Schule, die junge Men­schen nicht über­fordert, son­dern stärkt. So fordern die Schü­lerin­nen und Schüler unter anderem die Ein­führung eines eigen­ständi­gen Resilienz-Fachs, das sie gezielt im Umgang mit Stress und psy­chis­chen Belas­tun­gen schulen soll. Auch die Notenge­bung in soge­nan­nten Tal­ent­fäch­ern wie Sport, Musik und Kun­st soll reformiert wer­den – weg von star­ren Bew­er­tungssys­te­men, hin zu ein­er gerechteren und indi­vidu­elleren Beurteilung.

Bildungsprotest am 26.05.2025 in Schwerin
Auf Plakat­en standen die Forderun­gen der Schü­lerin­nen und Schüler. Foto: Dario Rochow

Zudem plädieren die Jugendlichen für mehr Flex­i­bil­ität auf dem Weg zum Abitur: Schü­lerin­nen und Schüler sollen kün­ftig selb­st entschei­den kön­nen, ob sie das Abitur nach zwölf oder dreizehn Schul­jahren able­gen. Die verpflich­t­ende Math­e­matik-Abitur­prü­fung soll abgeschafft und zur Wahl gestellt wer­den.

Rahmenbedingungen verbessern

Neben inhaltlichen Verän­derun­gen am Unter­richt ver­lan­gen die Jugendlichen auch Verbesserun­gen bei den Rah­menbe­din­gun­gen. Dazu zählen ein kosten­freies Deutsch­landtick­et für alle Schüler, um Bil­dung unab­hängig vom Wohnort zugänglich zu machen, sowie mod­erne Lern­mit­tel und eine ver­lässliche dig­i­tale Ausstat­tung in allen Klassen­stufen. Auch die Demokratiebil­dung soll deut­lich gestärkt wer­den – zum Beispiel durch die verpflich­t­ende Ein­führung von Junior­wahlen an allen Schulen, um poli­tis­che Teil­habe früh zu fördern und Mitbes­tim­mung im Schu­lall­t­ag zu ver­ankern.

Bildungsprotest am 26.05.2025 in Schwerin
Marc Eis­ing möchte ein Zeichen set­zen und konkrete Verbesserungsvorschläge machen. Foto: Dario Rochow

„Wir haben uns gefragt, ob das Schul­sys­tem den Her­aus­forderun­gen unser­er Zeit noch gewach­sen ist“, erk­lärte Mitor­gan­isator Marc Eis­ing. „Der Fakt, dass jed­er fün­fte Schüler  von psy­chis­chen Auf­fäl­ligkeit­en betrof­fen ist, ist alarmierend. Deshalb haben wir uns entschlossen, diesen Protest zu organ­isieren und ein Zeichen zu set­zen.“

»Lesen Sie auch: Von der Idee zum Protest – Schw­er­iner Schüler ini­ti­ieren Bewe­gung

Luis ergänzte: „Es geht uns nicht nur ums Kla­gen – wir wollen gestal­ten. Unsere Vorschläge sind konkret und kon­struk­tiv. Wir haben über Wochen hin­weg inten­siv daran gear­beit­et.“

Friedlich, professionell, selbstorganisiert

Der Demozug set­zte sich vom Markt aus in Bewe­gung, führte über die Werder­straße, vor­bei an Staatskan­zlei und Schloss – bis vors Min­is­teri­um. Dort erwarteten Schwe­sig und Old­en­burg die Schüler. Nach kurzen Rede­beiträ­gen wurde der Forderungskat­a­log über­re­icht, anschließend fand ein gemein­samer Aus­tausch statt.

Bildungsprotest am 26.05.2025
Der Forderungskat­a­log wurde Min­is­ter­präsi­dentin Manuela Schwe­sig und Biil­dungsmin­is­terin Simone Old­en­burg übergeben. Foto: Dario Rochow

Beson­ders auf­fäl­lig: die pro­fes­sionelle Organ­i­sa­tion der Jugendlichen. Frei­willige Ord­ner, ein Aware­ness-Team und die unter­stützende Polizei sorgten für einen sicheren Ablauf. „Uns war wichtig, dass sich alle sich­er fühlen, ger­ade bei so vie­len Teil­nehmenden“, betonte Luis.

Politik signalisiert Gesprächsbereitschaft

Min­is­ter­präsi­dentin Schwe­sig lobte das Engage­ment: „Gute Bil­dung ist und bleibt ein zen­trales The­ma für uns.“ Sie ver­wies auf Investi­tio­nen in Schul­bau und Lehrkräfte und kündigte an, dass Bil­dung auch im Bun­des-Investi­tion­spaket Pri­or­ität habe. Bil­dungsmin­is­terin Old­en­burg ver­sprach, die Forderun­gen ernst zu nehmen. Für Sep­tem­ber kündigte sie einen lan­desweit­en Schulkongress unter dem Mot­to „Schulkul­tur und Par­tizipa­tion“ an.

Politisches Echo – zwischen Lob und Skepsis

Zus­tim­mung kam unter anderem von der Grü­nen-Abge­ord­neten Jut­ta Weg­n­er, die den Protest als Beleg für die zuge­spitzte Lage an den Schulen wertete: „Schul­note 5 für die Lan­desregierung“, lautete ihr Urteil. Die Lehrpläne seien über­frachtet, das Ler­nen zu stark auf kurzfristige Leis­tung und Prü­fungs­druck aus­gerichtet – anstatt auf nach­haltiges Ver­ste­hen. „Das ist kein Bil­dungssys­tem, das Kinder stark macht, son­dern eines, das sie krank macht“, sagte Weg­n­er.

Bildungsprotest am 26.05.2025
800 Schü­lerin­nen und Schüler ver­sam­melten sich auf dem Mark­t­platz. Foto: Dario Rochow

Die CDU zeigte sich eben­falls offen für Verän­derun­gen, aber mit einem anderen Schw­er­punkt. Bil­dungspoli­tik­er Torsten Renz betonte, es brauche drin­gend struk­turelle Verbesserun­gen: „Nur wenn wir mehr Lehrer ein­stellen und die regionalen Schulen stärken, schaf­fen wir ein Umfeld, in dem Schü­lerin­nen und Schüler ihr Poten­zial ent­fal­ten kön­nen.“ Für ihn ste­ht die Sicherung der Unter­richtsver­sorgung im Vorder­grund.

Ganz anders äußerte sich hinge­gen Enri­co Schult von der AfD-Frak­tion: Er kri­tisierte den aus sein­er Sicht zu großen Ent­ge­genkom­men gegenüber Schülern, etwa durch „Nachteil­saus­gle­iche“ und Prü­fungslockerun­gen. „Hin­dernisse wer­den aus dem Weg geräumt – ger­ade das ist das Prob­lem“, sagte Schult. Schule solle Her­aus­forderun­gen bieten, damit junge Men­schen daran wach­sen kön­nten.

Bildungsprotest am 26.05.2025
Die Lan­despoli­tik disku­tierte auf dem Mark­t­platz ihre bil­dungspoli­tis­chen Vorstel­lun­gen. Foto: Dario Rochow

Dage­gen betonte die Vor­sitzende der Links­frak­tion, Jean­nine Rösler, dass Schule ein sicher­er und unter­stützen­der Raum sein müsse: „Wer ler­nen soll, braucht Sicher­heit, Ver­trauen und Raum für Entwick­lung.“ Ihre Frak­tion ste­he Vorschlä­gen wie einem fes­ten Pro­jek­t­tag zur psy­chis­chen Gesund­heit und ein­er Begren­zung von Leis­tungskon­trollen offen gegenüber. Der Tenor der linken und grü­nen Abge­ord­neten: Die Schüler ver­di­enen Respekt und Mit­sprache – ihre Stimme sei nicht nur berechtigt, son­dern notwendig, um Schule zukun­fts­fähig zu gestal­ten.

Marc Eis­ing zeigte sich den­noch zuver­sichtlich: „Wir wis­sen, dass nicht alles mor­gen umge­set­zt wird. Aber wir erwarten, dass man uns ernst nimmt und unsere Vorstel­lun­gen in die poli­tis­chen Beratun­gen ein­fließen.“

Ein Anfang – Kein Abschluss

Bre­ite Unter­stützung kam vom Lan­desju­gen­dring und der GEW. „Diese Gen­er­a­tion ver­di­ent Gehör“, erk­lärte der Jugen­dring. „Wer Jugendliche nur sym­bol­isch beteiligt, ver­liert sie.“ Auch die Bil­dungs­gew­erkschaft GEW begrüßte das Engage­ment: „Die Schüler nehmen ihre demokratis­chen Rechte wahr und brin­gen wichtige Impulse für ein zeit­gemäßes Bil­dungssys­tem.“

Bildungsprotest am 26.05.2025
Min­is­ter­präsi­dentin Manuela Schwe­sig ver­sprach den Dia­log auch in Zukun­ft mit den Schü­lerin­nen und Schülern fortzuset­zen. Foto: Dario Rochow

Luis bringt es zum Abschluss auf den Punkt: „Wir woll­ten ein klares Sig­nal senden – und das ist uns gelun­gen. Aber dieser Tag war erst der Anfang. Jet­zt liegt es an der Poli­tik, die Gespräche mit uns fortzuset­zen – und an echt­en Lösun­gen zu arbeit­en.“

Marc Eis­ing blickt kämpferisch in die Zukun­ft: „Schule darf nicht krank machen – sie muss stärken. Wer ler­nen soll, braucht Ver­trauen, Sicher­heit und Raum zur Entwick­lung. Dafür set­zen wir uns ein – mit voller Stimme.“