Bildungsstreik in Schwerin:
„Wir wollen echte Veränderung“ – Jugendliche fordern Bildungswende
Rund 800 Schüler demonstrierten in Schwerin für bessere Bildung. Mit klaren Forderungen und einem 21-seitigen Katalog forderten sie echte Reformen und mehr Mitbestimmung in der Schule.
Mit klaren Forderungen, lauten Rufen und bunten Plakaten zogen am gestrigen Montag rund 800 Schülerinnen und Schüler durch die Schweriner Innenstadt. Sie kamen aus dem ganzen Land – von Rostock bis Güstrow, von Hagenow bis Parchim – und hatten ein Ziel: das Bildungsministerium. Dort übergaben sie einen 21-seitigen Forderungskatalog an Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) und Bildungsministerin Simone Oldenburg (Die Linke). Ihr gemeinsames Anliegen: ein gerechteres, gesundes und zukunftsfähiges Bildungssystem.

„Wir wollten das Thema Bildung wieder in den politischen Mittelpunkt rücken – nicht nur wegen unserer eigenen Erfahrungen, sondern auch wegen der Pisa- und Robert-Bosch-Studien“, sagte Luis, 18 Jahre alt und einer der Hauptorganisatoren. „Das Niveau ist gesunken, viele Kinder und Jugendliche zeigen psychische Auffälligkeiten, das System kann dem einfach nicht mehr gerecht werden.“
Eine Schule die stärkt und nicht stresst
Der Forderungskatalog der Schülerinnen und Schüler umfasst viele konkrete Vorschläge. Im Mittelpunkt steht der Wunsch nach einer Schule, die junge Menschen nicht überfordert, sondern stärkt. So fordern die Schülerinnen und Schüler unter anderem die Einführung eines eigenständigen Resilienz-Fachs, das sie gezielt im Umgang mit Stress und psychischen Belastungen schulen soll. Auch die Notengebung in sogenannten Talentfächern wie Sport, Musik und Kunst soll reformiert werden – weg von starren Bewertungssystemen, hin zu einer gerechteren und individuelleren Beurteilung.

Zudem plädieren die Jugendlichen für mehr Flexibilität auf dem Weg zum Abitur: Schülerinnen und Schüler sollen künftig selbst entscheiden können, ob sie das Abitur nach zwölf oder dreizehn Schuljahren ablegen. Die verpflichtende Mathematik-Abiturprüfung soll abgeschafft und zur Wahl gestellt werden.
Rahmenbedingungen verbessern
Neben inhaltlichen Veränderungen am Unterricht verlangen die Jugendlichen auch Verbesserungen bei den Rahmenbedingungen. Dazu zählen ein kostenfreies Deutschlandticket für alle Schüler, um Bildung unabhängig vom Wohnort zugänglich zu machen, sowie moderne Lernmittel und eine verlässliche digitale Ausstattung in allen Klassenstufen. Auch die Demokratiebildung soll deutlich gestärkt werden – zum Beispiel durch die verpflichtende Einführung von Juniorwahlen an allen Schulen, um politische Teilhabe früh zu fördern und Mitbestimmung im Schulalltag zu verankern.

„Wir haben uns gefragt, ob das Schulsystem den Herausforderungen unserer Zeit noch gewachsen ist“, erklärte Mitorganisator Marc Eising. „Der Fakt, dass jeder fünfte Schüler von psychischen Auffälligkeiten betroffen ist, ist alarmierend. Deshalb haben wir uns entschlossen, diesen Protest zu organisieren und ein Zeichen zu setzen.“
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Luis ergänzte: „Es geht uns nicht nur ums Klagen – wir wollen gestalten. Unsere Vorschläge sind konkret und konstruktiv. Wir haben über Wochen hinweg intensiv daran gearbeitet.“
Friedlich, professionell, selbstorganisiert
Der Demozug setzte sich vom Markt aus in Bewegung, führte über die Werderstraße, vorbei an Staatskanzlei und Schloss – bis vors Ministerium. Dort erwarteten Schwesig und Oldenburg die Schüler. Nach kurzen Redebeiträgen wurde der Forderungskatalog überreicht, anschließend fand ein gemeinsamer Austausch statt.

Besonders auffällig: die professionelle Organisation der Jugendlichen. Freiwillige Ordner, ein Awareness-Team und die unterstützende Polizei sorgten für einen sicheren Ablauf. „Uns war wichtig, dass sich alle sicher fühlen, gerade bei so vielen Teilnehmenden“, betonte Luis.
Politik signalisiert Gesprächsbereitschaft
Ministerpräsidentin Schwesig lobte das Engagement: „Gute Bildung ist und bleibt ein zentrales Thema für uns.“ Sie verwies auf Investitionen in Schulbau und Lehrkräfte und kündigte an, dass Bildung auch im Bundes-Investitionspaket Priorität habe. Bildungsministerin Oldenburg versprach, die Forderungen ernst zu nehmen. Für September kündigte sie einen landesweiten Schulkongress unter dem Motto „Schulkultur und Partizipation“ an.
Politisches Echo – zwischen Lob und Skepsis
Zustimmung kam unter anderem von der Grünen-Abgeordneten Jutta Wegner, die den Protest als Beleg für die zugespitzte Lage an den Schulen wertete: „Schulnote 5 für die Landesregierung“, lautete ihr Urteil. Die Lehrpläne seien überfrachtet, das Lernen zu stark auf kurzfristige Leistung und Prüfungsdruck ausgerichtet – anstatt auf nachhaltiges Verstehen. „Das ist kein Bildungssystem, das Kinder stark macht, sondern eines, das sie krank macht“, sagte Wegner.

Die CDU zeigte sich ebenfalls offen für Veränderungen, aber mit einem anderen Schwerpunkt. Bildungspolitiker Torsten Renz betonte, es brauche dringend strukturelle Verbesserungen: „Nur wenn wir mehr Lehrer einstellen und die regionalen Schulen stärken, schaffen wir ein Umfeld, in dem Schülerinnen und Schüler ihr Potenzial entfalten können.“ Für ihn steht die Sicherung der Unterrichtsversorgung im Vordergrund.
Ganz anders äußerte sich hingegen Enrico Schult von der AfD-Fraktion: Er kritisierte den aus seiner Sicht zu großen Entgegenkommen gegenüber Schülern, etwa durch „Nachteilsausgleiche“ und Prüfungslockerungen. „Hindernisse werden aus dem Weg geräumt – gerade das ist das Problem“, sagte Schult. Schule solle Herausforderungen bieten, damit junge Menschen daran wachsen könnten.

Dagegen betonte die Vorsitzende der Linksfraktion, Jeannine Rösler, dass Schule ein sicherer und unterstützender Raum sein müsse: „Wer lernen soll, braucht Sicherheit, Vertrauen und Raum für Entwicklung.“ Ihre Fraktion stehe Vorschlägen wie einem festen Projekttag zur psychischen Gesundheit und einer Begrenzung von Leistungskontrollen offen gegenüber. Der Tenor der linken und grünen Abgeordneten: Die Schüler verdienen Respekt und Mitsprache – ihre Stimme sei nicht nur berechtigt, sondern notwendig, um Schule zukunftsfähig zu gestalten.
Marc Eising zeigte sich dennoch zuversichtlich: „Wir wissen, dass nicht alles morgen umgesetzt wird. Aber wir erwarten, dass man uns ernst nimmt und unsere Vorstellungen in die politischen Beratungen einfließen.“
Ein Anfang – Kein Abschluss
Breite Unterstützung kam vom Landesjugendring und der GEW. „Diese Generation verdient Gehör“, erklärte der Jugendring. „Wer Jugendliche nur symbolisch beteiligt, verliert sie.“ Auch die Bildungsgewerkschaft GEW begrüßte das Engagement: „Die Schüler nehmen ihre demokratischen Rechte wahr und bringen wichtige Impulse für ein zeitgemäßes Bildungssystem.“

Luis bringt es zum Abschluss auf den Punkt: „Wir wollten ein klares Signal senden – und das ist uns gelungen. Aber dieser Tag war erst der Anfang. Jetzt liegt es an der Politik, die Gespräche mit uns fortzusetzen – und an echten Lösungen zu arbeiten.“
Marc Eising blickt kämpferisch in die Zukunft: „Schule darf nicht krank machen – sie muss stärken. Wer lernen soll, braucht Vertrauen, Sicherheit und Raum zur Entwicklung. Dafür setzen wir uns ein – mit voller Stimme.“