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Schwerin: Landeshauptstadt schließt 2020 mit Plus ab

Etwa 3,5 Monate waren die Kultur, Kinos, Gastronomien und Hotels dicht. Mehrere Wochen schlossen weitere Bereiche der Wirtschaft wie körpernahe Dienstleistungen und Einzelhandel. Veranstaltungslocations waren zwischen 3,5 und sechs Monaten

  • Veröffentlicht Februar 4, 2021
Money, Money, Money – Im „Coronajahr 2020“ macht Schwerin 8 Millionen Euro Überschuss. | Foto: privat

Etwa 3,5 Monate waren die Kultur, Kinos, Gastronomien und Hotels dicht. Mehrere Wochen schlossen weitere Bereiche der Wirtschaft wie körpernahe Dienstleistungen und Einzelhandel. Veranstaltungslocations waren zwischen 3,5 und sechs Monaten geschlossen. Seit März 2020 öffneten Clubs nicht einen Tag für ihr Kerngeschäft. Zahlreichen Vereinen fehlten existenziell wichtige Einnahmen. Und das ist nur ein ganz kleiner Auszug der Auswirkungen, die die Corona-Pandemie allein 2020 auf und in Schwerin hatte. Im Ergebnis stehen Einnahmerückgänge, dramatische Umsatzeinbrüche und vielerorts Existenzängste. Bis heute wissen zahlreiche Unternehmen und Vereine nicht, ob und wie es in Zukunft weitergehen soll. Parallel dazu verkündet die Landeshauptstadt Schwerin nun ein sattes Plus von 8 Millionen Euro im Coronajahr 2020.

 

Oberbürgermeister freut sich über 8 Millionen Euro Überschuss im „Coronajahr 2020“

Oberbürgermeister von Schwerin: Dr. Rico Badenschier | Foto: SIS/Christoph Müller

„Eigentlich hatten wir noch im April im Nachtragshaushalt als Folge der Pandemie mit einem deutlichen Minus gerechnet. Umso erfreulicher ist es, dass Schwerin jetzt im Ergebnis einen jahresbezogenen Überschuss von 8 Millionen Euro ausweisen kann“, zeigt sich Oberbürgermeister Rico Badenschier zufrieden über das Haushaltergebnis 2020. Damit kann die Landeshauptstadt Schwerin nun mit Konsolidierungshilfen des Landes rechnen, und so den Schuldenberg um weitere neun Millionen Euro reduzieren. „Anders als zunächst befürchtet, müssen wir unseren 10-Jahresplan bis zur vollständigen Entschuldung Schwerins in diesem Jahr nicht korrigieren und können Kurs halten. Möglicherweise werden die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen von Corona jedoch langfristig auch auf die kommunalen Finanzen durchschlagen“, so Badenschier.

 

In einem „normalen“ Jahr okay – es war aber nicht „normal“

Grundsätzlich wäre eine solche Nachricht zweifelsfrei ein Grund zur allgemeinen Freude. Denn gerade für eine derart stark verschuldete Stadt wie Schwerin ist ein Jahresüberschuss mit Plus absolut positiv. Und auch, dass man dadurch die zusätzlichen Mittel vom Land erhält, ist gut. Selbst die Nachricht, dass der persönliche 10-Jahres-Plan des Oberbürgermeisters gehalten wird, muss grundsätzlich nichts Falsches sein. Obwohl wir hier im „Osten“ mit solchen Plänen letztlich keine gute Erfahrung gemacht haben. In diesem „normalen“ Fall hätten sich sicherlich auch viele mit der Stadtverwaltung gefreut. Es ist aber kein „normaler Fall“, denn es war kein „normales Jahr“.

 

Freude über Millionenüberschuss während draußen Existenzängste wachsen

Daher dürfte die Freude so manchem im Hals stecken bleiben. Eventuell bleibt es daher auch bei einer alleinigen Freude in den oberen Etagen des Stadthauses. Denn so manch Unternehmer dürfte sich an die Diskussionen im Frühsommer 2020 erinnern. Damals waren verschiedene Unterstützungsprogramme für die durch den ersten Lockdown stark angeschlagene Wirtschaft im Gespräch. Viele Ideen geisterten durch die Stadt. Letztlich blieb es allerdings bei einer Aussetzung der Bettensteuer bis 1. April dieses Jahres, einem Erlass der Gebühren für Außengastronomien sowie einer finanziellen Unterstützung für den Spitzensport. Dass damals aus finanziellen Gründen nicht mehr drin gewesen sein soll, haben die Unternehmen und Vereine in unserer Stadt nicht vergessen.

 

Ein „Paketchen“ im Sommer, mehr war nicht drin

In Wirtschaft, Kultur und Vereinen geht aufgrund der Corona Pandemie zunehmend Existenzangst um.. | Foto: privat

Inzwischen befinden wir uns bereits in einem weiteren, seit Anfang November andauernden, Lockdown. Weitere Hilfspakete von der Stadt gab es nicht. Auch keine anderweitigen Programme der Stadt, die eventuell neue Optionen für ganze Branchen in Schwerin ermöglicht hätten. Eine echte regionale Dienstleistungsplattform beispielsweise. Oder auch ein Nachdenken über eine Reduzierung der Gewerbesteuer. Oder was auch immer. Natürlich hätte man nicht jedem Unternehmen und jedem Verein Geld geben können. Aber zwei oder drei der acht Millionen – vielleicht auch alles – in ein die Wirtschaft zusätzlich unterstützendes Paket zu investieren, das hätte drin sein können. Und müssen. Denn den Überschuss hat nicht der Oberbürgermeister erwirtschaftet. Der kommt nicht zuletzt auch durch die Steuern und Abgaben der Wirtschaft, Kultur und Vereinswelt Schwerins zustande. Trotz Corona.

 

Ein 10-Jahresplan ohne Berücksichtigung der Realitäten?!

Aber die Finanzpolitik in Schwerin kennt scheinbar nur ein Ziel: Die Entschuldung der Stadt im Rahmen des sehr persönlichen 10-Jahresplans. Das ist übrigens nicht allein meine Wahrnehmung. Das hört man in den Gängen des Stadthauses, das hört man aus der Kommunalpolitik. Diesem Ziel wird vieles untergeordnet. Manche sagen sogar „alles“. In „normalen“ Zeiten sicherlich richtig – aber, wie gesagt, es sind keine „normalen“ Zeiten. Was nützt in zehn Jahren eine entschuldete Stadt, wenn sie aus zum Teil ausgebluteten Unternehmen besteht? Oder gar, wenn die Entschuldung auf einem Friedhof einstiger Unternehmen fußt? Gar nichts. 

Ja, es mag überzogen klingen. Und das ist es  im einen oder anderen Punkt ganz bewusst auch.  Ja, es mag (kommunalrechtlich) nicht ganz so einfach sein. Aber dann muss man halt kämpfen. Oder zumindest deutlich zeigen, dass man alles versucht hat. Und dass man bereit war, eigene Ziele hinter die Sicherung von Existenzen zu stellen. Das erwarten die Menschen von ihrem Oberbürgermeister, den sie direkt gewählt haben. Eben nicht den Kampf um die selbstgesteckten Ziele, komme was wolle. Eben nicht das Festhalten an einem persönlichen 10-Jahresplan, während die Welt drum herum sich so deutlich verändert hat. Genau das war ein zentraler Fehler der sozialistischen Planwirtschaft. Sie spielte stets in theoretischen Traumschlössern und wurde in isolierten Elfenbeintürmen entwickelt. Die Wirtschaft und die Menschen erwarten aber Flexibilität und ein Erkennen der Realitäten.

 

Im Zweifel besser gar nichts sagen

Sicherlich ist es toll, später in das eigene Tagebuch schreiben zu können: „Ich habe Schwerin entschuldet“. Aber wäre es nicht viel genialer, wenn da stünde: „Ich habe zahlreiche Unternehmen, Vereine und Kulturschaffende vor dem Ruin bewahrt“? Was allerdings ganz sicher der falscheste aller Wege ist: Sich öffentlich für 8 Millionen Jahresüberschuss im „Coronajahr“ selbst zu feiern, während draußen vor der Tür die Existenzangst um sich greift. Da wäre es klüger gewesen, lieber zu schweigen, wenn man den Überschuss tatsächlich nicht als Unterstützung in der Krise einsetzen will oder vermeintlich nicht einsetzen kann.

Written By
Stephan Haring

Stephan Haring ist freier Mitarbeiter unserer digitalen Tageszeitung. Er hat ein Bachelor-Studium der Kommunikationswissenschaften an der Universität Erfurt mit den Nebenfächern Sozialwissenschaften & Politik absolviert. Im Nachhinein arbeitete er in leitenden Funktionen der Presse- & Öffentlichkeitsarbeit, im Leitungsbereich eines Unternehmens sowie als Rektor einer privat geführten Hochschule. Zudem entwickelte, organisierte und realisierte er mit der durch ihn entwickelten LOOK ein Fashionevent in Schwerin. Heute arbeitet er freiberuflich als Texter, Pressesprecher und Textkorrektor sowie als Berater in verschiedenen Projekten. In einem Schweriner Ortsbeirat ist er zudem ehrenamtlich als Vorsitzender kommunalpolitisch aktiv.

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