Do, 25. April 2024
Close

Schwerin: Mahnwache für die Opfer von Hanau

Wer am gestrigen Donnerstagmorgen Radio oder Fernsehen einschaltete, war bereits mit der Nachricht konfrontiert, dass ein Einzeltäter in Hanau zehn Menschen und sich selbst erschossen hatte. Im Laufe des Tages

  • Veröffentlicht Februar 21, 2020
Das Bündnis „Schwerin für Alle“ hatte am gestrigen Donnerstag zu einer Mahnwache für die Opfer von Hanau aufgerufen. | Foto: schwerin-lokal.de

Wer am gestrigen Donnerstagmorgen Radio oder Fernsehen einschaltete, war bereits mit der Nachricht konfrontiert, dass ein Einzeltäter in Hanau zehn Menschen und sich selbst erschossen hatte. Im Laufe des Tages wurde dann deutlich, dass es sich wohl um eine rassistisch motivierte Gewalttat handelte. Neun der Ermordeten hatten offenbar Migrationshintergrund. Das zehnte Opfer ist die Mutter des Täters. Am Nachmittag erklärte Generalbundesanwalt Peter Frank zufolge, der Todesschütze habe eine „zutiefst rassistische Gesinnung“ gehabt. Diese Erkenntnisse basierten auf der Auswertung von Videobotschaften und einer Art Manifest auf der Internetseite des Täters. Der Täter sei zudem psychisch schwer gestört gewesen und lebte in einer eigenen Welt.

Nach Polizeiangaben kamen etwa 70 Teilnehmer zu der Mahnwache in Schwerin. | Foto: schwerin-lokal.de

Deutschlandweit Aufrufe zu Mahnwachen und Gedenkminuten – auch in Schwerin

Deutschlandweit riefen verschiedene Organisationen daraufhin zu Kundgebungen und vor allem Mahnwachen auf. Still, teilweise verbunden mit Reden, wollten die Menschen im gesamten Land der Opfer dieser offenbar mit einem fremdenfeindlichen Hintergrund verbundenen Bluttat gedenken. Auch in Schwerin hatte im Tagesverlauf ein unter anderem durch Andreas Katz verbreiteter Aufruf des Bündnisses „Schwerin für Alle“ zu einer Mahnwache auf dem Marktplatz eingeladen.

Etwa 70 Menschen, darunter auch einige Stadtvertreter, kamen, um gemeinsam mit Kerzen der Opfer zu gedenken. Den meisten war das Entsetzen über die Tat und der Wunsch nach einem Moment des gemeinsamen Gedenkens anzusehen. In einer freien Rede rief Stadtvertreter Dr. Daniel Trepsdorf (DIE LINKE) zu mehr Zivilcourage auf. Speziell dann, wenn Menschen durch andere abgewertet werden, sollten wir im Alltag viel häufiger „Nein“ sagen. Beim Grillfest, im Büro, bei der Familienfeier. An jedem Ort und in jeder Situation sei die Zivilcourage mehr denn je gefragt. Trepsdorf wies dabei auch auf die schwierige Rolle der sozialen Netzwerke hin, in denen täglich immer mehr Hass und Hetze gepostet würden.

Viele waren mit Kerzen gekommen, um auf dem Marktplatz Schwerin gemeinsam der Opfer von Hanau zu gedenken. | Foto: schwerin-lokal.de

Angriffe auf Polizei und Stadtvertreter in den Redebeiträgen

Neben diesen analytischen, zum demokratisch orientierten Kampf gegen Ausgrenzung und Abwertung, gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit aufrufenden Worten, kam es auch zu Wortmeldungen, die mancher vermutlich eher nicht auf dieser Mahnwache erwartet hätte. So griff eine Rednerin am freien Mikrofon unwidersprochen die Polizei verbal an. Sie sprach von einer „Polizei, die nicht auf rechte Demonstranten losgeht. Einer Polizei, die auf Linken sitzt, auf kleinen Jungs.“ Von einer „Polizei, die antifaschistische Demonstranten niederknüppelt und die Rechten schützt.“

Aber nicht nur die Polizei hatte die Rednerin auf der Veranstaltung, die eigentlich eine Mahnwache für die Opfer der nächtlichen Bluttat sein sollte, im Visier. Denn sie griff auch Vertreter der Stadtvertretung scharf an. Dabei warf sie der CDU-Fraktion vor, sie würde „Hetze in die Stadt bringen und mehr nach AfD klingen, als die AfD selbst“. Und auch der anschließende Redner, nach Teilnehmerangaben einer der Organisatoren des Bündnisses „Schwerin für Alle“, wandte sich an die zum Veranstaltungsschutz in Schwerin vor Ort befindlichen Einsatzkräfte. „Der Staatsschutz ist heute vor Ort, und schreibt sich genau auf, wer hier ist“. Es ginge um Überwachung und Kontrolle dieser Veranstaltung, während die Rechten problemlos agieren könnten.

Dass nicht jeder der Anwesenden gerade diese beiden Redebeiträge für passend hielt, zeigte das eine oder andere Randgespräch. Es wurden dabei durchaus Stimmen laut, die diese Art der Radikalität ablehnten. Grundsätzlich im Wirken gegen Rechtsradikalismus und menschenverachtende Ideologien – im Speziellen aber auch auf einer Mahnwache für gerade ermordete Menschen. Und doch, auch dies muss festgehalten werden, widersprach niemand den radikalen Äußerungen öffentlich, und gab es auch Applaus.

 

 

Written By
Stephan Haring

Stephan Haring ist freier Mitarbeiter unserer digitalen Tageszeitung. Er hat ein Bachelor-Studium der Kommunikationswissenschaften an der Universität Erfurt mit den Nebenfächern Sozialwissenschaften & Politik absolviert. Im Nachhinein arbeitete er in leitenden Funktionen der Presse- & Öffentlichkeitsarbeit, im Leitungsbereich eines Unternehmens sowie als Rektor einer privat geführten Hochschule. Zudem entwickelte, organisierte und realisierte er mit der durch ihn entwickelten LOOK ein Fashionevent in Schwerin. Heute arbeitet er freiberuflich als Texter, Pressesprecher und Textkorrektor sowie als Berater in verschiedenen Projekten. In einem Schweriner Ortsbeirat ist er zudem ehrenamtlich als Vorsitzender kommunalpolitisch aktiv.

1 Comment

  • Da ich namentlich genannt bin, will ich aus meiner Sicht Stellung nehmen. Ich war bei der Mahnwache selbst nicht anwesend, aber ich zeichne für die Pressemitteilung des Aktionsbündnisses „Schwerin für ALLE“ verantwortlich. Dazu stehe ich gern. In der Pressemitteilung heißt es:
    „Wir fordern Solidarität mit den Opfern rechter Gewalt und mit den Menschen, die zunehmend fürchten müssen, es zu werden. Hasserfüllten, diskriminierenden und verleumderischen Botschaften muss widersprochen werden, wo immer sie auftreten. Demokratische Parteien müssen sich klar und unmissverständlich von faschistischen Ideologien und Parteien, die Faschisten in ihren Reihen dulden, abgrenzen sowie jede Zusammenarbeit und jeden Anschein von Akzeptanz etwa gegenüber der AfD ablehnen.“
    Damit war schon deutlich gemacht, dass es nicht allein um Trauer über Opfer und Solidarität gehen sollte, sondern auch um notwendige Konsequenzen, auch in Schwerin. Ich kann es nicht beurteilen, es mag ja sein, dass eine emotional aufgewühlte Rednerin da auch ein Stück weiter geht, als es gefällig ist. Dass in der Schweriner Stadtvertretung an der notwendigen Distanz zur AfD gelegentlich zu arbeiten wäre, dass mindestens ein Mitglied der CDU/FDP-Fraktion auch zu rassistischen Äußerungen in der Lage ist und dass die UB-Fraktion ganz offen AfD-Anträgen zustimmt, kann jedoch nicht ernsthaft bestritten werden. Auch Polizeiübergriffe in der geschilderten Art hat es gegeben, und Verstrickungen einzelner Beamter mit der rechtsradikalen Szene sind bekannt. In die Trauer über den Mord an Mitbürgern allein aufgrund ihrer vermuteten Herkunft mischt sich die Wut, dass dies auch deshalb geschehen konnte, weil Rassismus bis in bürgerliche Kreise hinein viel zu oft unwidersprochen hingenommen wird und die Staatsgewalt gelegentlich in „buntgescheckten“ Antifaschisten die größere Gefahr sieht als in faschistischen Anzugträgern. Es kann eben nicht sein, dass wir einen Moment trauern und dann zur Tagesordnung zurückkehren.
    Nach den Berichten, die ich habe, haben Beamte in Zivil Demonstrationsteilnehmer*innen fotografiert und Notizen gemacht. Wozu auch immer das gedient hat, ich weiß von keinen staatsfeindlichen Straftaten auf der Veranstaltung und keinem sonstigen Grund, der das rechtfertigen würde. Dass sich Teilnehmer da weniger geschützt und eher kriminalisiert fühlen und das auch aussprechen, kann ich nachvollziehen.
    Ich persönlich appelliere an alle Demokraten, Klarheit zu schaffen. In der Bundesrepublik ist Antifaschismus keine Meinung, sondern eine Daseinsbedingung. Politische Differenzen im Spektrum zwischen Links und Konservativ hören nicht auf und müssen ausgehalten und debattiert werden. Aber Faschismus und Rassismus sind nicht hinnehmbar. Eine Partei wie die AfD, die Faschisten in ihren Reihen duldet, die sich in aller Facebook-Öffentlichkeit noch am Morgen nach den Morden in Hanau beinahe auf die Seite des Mörders stellt, die nach rechts so weit offen ist, dass sie für Faschisten attraktiv und wählbar ist, schließt sich aus dem Kreis der Demokraten aus und muss entsprechend behandelt werden.

Kommentiere den Beitrag

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert