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Schwerin: Ministerin spricht mit Medien aber nicht mit Abiturienten

Vor zwei Tagen berichteten wir an dieser Stelle von einem Schreiben zahlreicher Abiturientinnen und Abiturienten der Gymnasien in Schwerin. In diesem hatten sie Bildungsministerin Martin darum gebeten, aus einer Vielzahl

  • Veröffentlicht Januar 22, 2021
Corona macht auch in Schwerin vor Schulen nicht halt. | Foto: Symbolbild

Vor zwei Tagen berichteten wir an dieser Stelle von einem Schreiben zahlreicher Abiturientinnen und Abiturienten der Gymnasien in Schwerin. In diesem hatten sie Bildungsministerin Martin darum gebeten, aus einer Vielzahl an Gründen statt der bevorstehenden Abiturprüfungen ein Durchschnittsabitur zu bilden. Gestern nun äußerte sich die Ministerin. Allerdings anders, als man es vielleicht vermutet hätte.

 

Abiturienten hatten sich an Bildungsministerin gewandt

Mindestens neun Wochen ausgefallener Unterricht in der Abiturstufe. Digitalunterrichte, die man als solche nicht bezeichnen konnte, da auf Schul- wie Schülerseite häufig Technik und Software fehlten. Zudem verlorene Zeit für die Anpassung auf die teilweise wechselnden Situationen. All dies bedeutet für die Abiturientinnen und Abiturienten aus Schwerin wie auch dem gesamten Bundesland vor allem eins: Massiv fehlende Inhalte für die bevorstehenden Prüfungen. Darüber hinaus sei auch jetzt, da an sich wieder Unterrichte für die Abschlussklassen stattfinden, die Präsentpflicht weiter ausgesetzt. Zudem entscheiden die Lehrkräfte offenbar ganz individuell, ob sie Präsentunterrichte stattfinden lassen, oder nicht.

 

Schüler führten stichhaltig erscheinende Argumente auf

Damit dürften zwei Punkte unstrittig sein: Es fehlt Lehrstoff, der für die Prüfungen eventuell erforderlich ist. Vor allem aber, den die Jugendlichen im Anschluss in Ausbildungen oder Studium dringend drauf haben müssen. Und es können gar nicht gleiche, kaum sogar vergleichbare Bedingungen für alle Prüflinge im Rahmend er bevorstehenden Prüfungen vorherrschen. Denn wenn Lehrkräfte an verschiedenen Stellen individuelle Entscheidungen treffen, die sich auf den Unterricht und damit den vermittelten Lehrstoff auswirken, sind gleiche Ausgangsbedingungen unmöglich. 

Und wenngleich derzeit – zur Erleichterung aller – die Infektionszahlen in fast ganz MV einen Hoffnungsschimmer am Horizont entdecken lassen, bleibt ein weiteres Risiko. Was, wenn es zu Infektionen unmittelbar vor oder während der Prüfungen kommt? Und es dürfte unstrittig sein: Stundenlange schriftliche Prüfungen mit Mund-Nase-Schutz erschweren die ohnehin besondere Stresssituation noch zusätzlich. Spannend dürfte übrigens auch sein, das aber steht nicht im Schreiben, wie man im Ministerium das im Hygieneplan festgeschriebene Lüften während der Prüfungen realisieren möchte. Denn dort ist bewusst während der Pausen ein Querlüften und ansonsten alle 20 Minuten ein Stoßlüften vorgesehen. Letzteres dürfte machbar sein. Aber im Normalfall, und von diesem dürfte der Hygieneplan ausgehen, finden mindestens alle 90 Minuten Pausen statt. Eben dieses Querlüften müsste somit während der mehrstündigen schriftlichen Prüfungen entfallen. Ein Verstoß gegen den eigenen Hygieneplan?!

 

Ministerin spricht mit Medien – aber bislang keine Antwort auf das Schreiben

Wenn man das Schreiben der Abiturienten liest, dem sich übrigens zahlreiche weitere Schülerinnen und Schüler aus Abschlussklassen auch anderer Orte in MV angeschlossen haben, dann ist eines deutlich: Die Schüler machen sich ernsthaft und berechtigt Sorgen. Und im Gegensatz zu manch anderem sonst so in Ministerien eingehenden Schreiben ist es durchgängig freundlich und sachlich geschrieben. Die Unterzeichner „fordern“ nicht, sie „bitten“. Man sollte also meinen, zumindest eine Antwort wäre so ein Schreiben wert. Aber: Fehlanzeige. Bislang ist eine solche bei den Absendern nicht eingegangen, wie unsere Redaktion von Hermann Köster, einem der Initiatoren des Briefes, erfuhr. Da allerdings stehen sie nicht allein. Am gestrigen Abend stellte sich im Rahmen einer NDR-Sendung heraus, dass die Ministerin auch einen weiteren Brief verschiedener Schülerinnen und Schüler aus Dezember 2020 in Sachen Abitur noch nicht geantwortet hat. 

 

Abi-Prüfungen werden um zehn Tage verschoben

Statt also sich die Zeit zu nehmen, zuerst einmal mit denjenigen zu sprechen, die betroffen sind und sich direkt an die Adresse von Ministerin Bettina Martin wandten, wählte diese am gestrigen Donnerstag einen anderen Weg. Sie ging direkt an die Öffentlichkeit. Dabei informierte sie, dass man sich entschieden habe, die Abiturprüfungen um zehn Tage zu verschieben. Damit starten diese nun nicht am 13. April sondern am 23. April. So wolle das Ministerium mehr Zeit für die Vorbereitungen zur Prüfung gewinnen, wie verschiedene Medien gestern übereinstimmend berichteten. Unter anderem welt.de zitiert Martin dabei so: „Wir werden deshalb alles dafür tun, dass die Schülerinnen und Schüler faire Rahmenbedingungen für ihre Prüfungen erhalten.“

Es ginge schließlich um die startenden Lebenskarrieren der Jugendlichen. „Dafür werden wir auch weitere Anpassungen bei der Durchführung und Vorbereitung der Prüfungen vornehmen, ohne dabei die Qualität des Abschlusses zu reduzieren“. Es ist also klar, dass Unterrichtsinhalte in Größenordnungen fehlen. Und es ist öffentlich bekannt, dass man deutliche Anpassungen beim Abitur und den Vorbereitungen vorgenommen hat. Das soll im Nachgang die Qualität des Abschlusses nicht reduzieren?

 

Ministerin verliert kein Wort an fehlende Inhalte in weiterem Bildungsweg

Am gestrigen Abend bestätigte Martin diese Aussagen im NDR-Fernsehen nochmals. Man wolle die Prüfungsvorbereitungen noch spitzer anhand der Prüfungsinhalte ausrichten. Dabei aber soll es bleiben. In der Kultusministerkonferenz (KMK) habe man gemeinsam entschieden, die Option der Durchschnittnote nicht in Betracht zu ziehen. „Wir sind uns alle einig, dass wir kein Corona-Abitur wollen“, so Bettina Martin. Aber ist das wirklich logisch? Ist nicht das Abitur 2021 ohnehin eines, das den Corona-Stempel bekommt? Ob Frau Martin und die Kollegen das nun wollen oder nicht. Und sollte es dann nicht jetzt eher darum gehen, noch verpasste Unterrichtsinhalte nachzuholen? Damit die Startbedingungen in nachfolgenden Ausbildungen und Studiengängern nicht auch noch erschwert sind?

Eben diese Option würde ein Einlenken in Richtung Durchschnittsabitur ermöglichen. Denn dann könnte der Unterricht auch in den Abschlussklassen des Gymnasiums noch bis zum Sommer fortgesetzt und so deutlich mehr Stoff vermittelt werden. Ein Blick also über das Abschlussdatum hinweg in die Zukunft der jungen Menschen gerichtet. Und nicht auf Ministerwünsche fokussiert. Die Thematik, möglichst viel Unterrichtsstoff für den weiteren Bildungsweg noch den Abschlussklassen mitzugeben, scheint bei Bettina Martin allerdings keine wirkliche Rolle zu spielen. Kein Wort von ihr über den Tag des Schulabschlusses hinaus. 

 

Ministerin: „Corona-Abitur muss nicht unbedingt ein Schimpfwort sein“

Dafür überraschte sie im NDR-Gespräch noch mit einer anderen Argumentation. Zur Erinnerung: Man will kein Corona-Abitur. So die klare Aussage der Ministerin. Deshalb käme nur der gestern beschlossene KMK-Weg in Frage. Nur wenige Sätze später erklärte sie allerdings, die Schüler würden derzeit einiges lernen, „was in der Zukunft dann vielleicht noch Anerkennung findet“. Ein „Corona-Abitur“ müsse also nicht unbedingt ein Schimpfwort sein, so Bettina Martin. Aber weshalb will sie es dann nicht? Es scheint wohl so zu sein: Wenn auf die Lösung der Ministerin – die Prüfungen durchzuziehen – der „Corona-Stempel“ kommt, dann muss das nicht unbedingt etwas Negatives sein. Ließe man aber die Prüfungen weg, würde die Durchschnittsnote bilden und weiter unterrichten, dann ist ein „Corona-Abitur“ plötzlich etwas, „was wir alle nicht wollen“.

Vielleicht sollte man das Interview mit der Ministerin nebst ihrer Argumentation für eine Erörterung im Deutsch-Abitur heranziehen. Es wäre spannend zu lesen, was die Abiturienten daraus machen…

Written By
Stephan Haring

Stephan Haring ist freier Mitarbeiter unserer digitalen Tageszeitung. Er hat ein Bachelor-Studium der Kommunikationswissenschaften an der Universität Erfurt mit den Nebenfächern Sozialwissenschaften & Politik absolviert. Im Nachhinein arbeitete er in leitenden Funktionen der Presse- & Öffentlichkeitsarbeit, im Leitungsbereich eines Unternehmens sowie als Rektor einer privat geführten Hochschule. Zudem entwickelte, organisierte und realisierte er mit der durch ihn entwickelten LOOK ein Fashionevent in Schwerin. Heute arbeitet er freiberuflich als Texter, Pressesprecher und Textkorrektor sowie als Berater in verschiedenen Projekten. In einem Schweriner Ortsbeirat ist er zudem ehrenamtlich als Vorsitzender kommunalpolitisch aktiv.

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