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Schwerin muss erneut erhoffte Investition eines globalen Unternehmens streichen

Lange ist es her, da hoffte Schwerin auf ein BMW-Werk, das dann nicht kam. Nur wenige Wochen liegt die Absage des INTEL-Konzerns vor, der in Deutschland eine Milliardeninvestition plant. Magdeburg

  • Veröffentlicht Mai 25, 2022
Amazon-Pakete sollten möglicherweise schon bald in einem eigenen Verteilzentrum in Schwerin verladen werden. Das ist nun Geschichte. | Foto: José Miguel

Der globale Versandriese Amazon stellt offenbar seine Entwicklungsweichen neu. Erst vor wenigen Wochen war bekannt geworden, dass im neuen Gewerbegebiet zwischen Upahl und Grevesmühlen eine schon sicher geglaubte Investition des Konzerns in ein großes Logistikzentrum nicht realisiert würde. Die Verträge hätten bereits unterschriftsreif auf dem Tisch gelegen, hieß es von Seiten des völlig überraschten Bürgermeisters von Grevesmühlen, Lars Prahler, gegenüber dem NDR. Gestern nun dürfte es ähnlich überraschte Gesichter im Stadthaus Schwerin gegeben haben. Denn ein Verteilzentrum, das AMAZON im Industriegebiet Göhrener Tannen bauen wollte, kommt ebenfalls nicht.

 

Schnell kam in Schwerin hörbarer Protest gegen AMAZON-Pläne auf

Als die Ansiedlungsüberlegungen des Versandgiganten in der Landeshauptstadt bekannt wurden, überschlugen sich vor Ort so einige förmlich darin, in guter deutscher Manier gegen das Projekt Front zu machen. Neben der durchaus diskussionswürdigen Frage der Arbeitsbedingungen und der Bezahlung bei AMAZON – die man dann aber fairerweise auch bei DHL und den anderen Versandunternehmen in Deutschland hätte führen müssen – kam vor allem ein Argument immer wieder zu Tage: Man solle diese Ansiedlung verhindern, um den regionalen, stationären Handel nicht noch weiter zu gefährden. Selbst aus der Kommunalpolitik kamen hier und da entsprechende Stimmen.

Dabei dürfte bei genauem Nachdenken jedem klar sein, dass ein Verteilzentrum, in dem die bestellten Pakete nur eintreffen und verteilt werden, keinerlei Einfluss auf den stationären Handel der Region haben könne. Denn dort würde nur das hin und her bewegt, was sowieso bestellt ist. Einzige Veränderung gegenüber vorher: Es hätte deutlich über 100 neue Arbeitsplätze gegeben. Und vermutlich wären auch in Schwerin schon bald amazonseitig nur noch E-Autos gerollt. Denn dahin will sich das Unternehmen entwickeln.

“Für das Projekt in Schwerin haben wir uns entschieden, es nicht weiter zu verfolgen. Das Projektvorhaben ist für uns nicht in einem sinnvollen zeitlichen und wirtschaftlichen Rahmen zu realisieren. Wir haben andere Möglichkeiten gefunden, unser bestehendes Netzwerk zu optimieren, damit Kunden ihre Bestellungen in der Qualität erhalten, die sie von Amazon erwarten.“
(AMAZON-Sprecher am 24. Mai 2022 gegenüber schwerin-lokal)

Auch wenn es anders klang: Sicher war die Ansiedlung zu keinem Zeitpunkt

Bereits zu dem Zeitpunkt, als das Ansiedlungsinteresse bekannt wurde und der Hauptausschuss Schwerins möglichst schnell einem Grundstücksverkauf im Industriegebiet Göhrener Tannen Grünes Licht geben sollte, was er auch tat, konnte durchaus der Eindruck entstehen, die Investition sei bereits in trockenen Tüchern. In einer Pressemitteilung der Stadtverwaltung hieß es damals (3. Februar 2021) unter anderem: „Der weltweit tätige Logistikkonzern Amazon wird ein neues Verteilzentrum im Industriepark Schwerin errichten. […] Auf einer Fläche von 55.000 m² sollen ab nächstem Jahr Pakete empfangen, sortiert, verladen und an die Kunden ausgeliefert werden. […] Das Unternehmen investiert nach eigenen Angaben ca. 22.000.000 Euro in den Neubau des Verteilzentrums mit einer Nutzfläche von 8.000 m² in technische Anlagen Büros, Logistik- und Außenflächen.“ Auch war von 190 neuen Arbeitsplätzen die Rede. Später reduzierte die Stadt diese Zahl auf 130.

 

Stadt verbreitete Sicherheit – AMAZON blieb zurückhaltend

Schwerin-lokal fragte bei AMAZON nach, und es stellte sich heraus, dass von „wird investieren“ zu diesem Zeitpunkt noch keine Rede sein konnte. Dort zeigte man sich vielmehr verwundert darüber, dass die Stadt den Eindruck einer feststehenden Investition vermittelte. „Zu einem möglichen Projekt in Schwerin haben wir keine Ankündigung gemacht. Wir prüfen kontinuierlich neue Standorte und wägen eine Vielzahl von Faktoren ab, wenn wir entscheiden, wo wir Standorte entwickeln, um die Kundinnen und Kunden am besten zu bedienen. Logistikprojekte brauchen Zeit und wir können ein Projekt erst bestätigen, wenn es ein gewisses Stadium erreicht hat.“ Und so weit war man in Schwerin eindeutig noch nicht zu diesem Zeitpunkt, wie ein Sprecher gegenüber unserer Redaktion versicherte. Weder könne man eine Flächengröße noch eine Anzahl der entstehenden Arbeitsplätze sagen. Vielmehr gäbe es noch viel zu prüfen.

Die ohne genaue Quellenangabe Anfang März dieses Jahres in einem Medium dargestellte Information, es gäbe bereits einen unterschriebenen Kaufvertrag, war übrigens ebenfalls nicht stimmig, wie wir gestern auf Nachfrage bei der Stadt erfuhren. Ein entsprechender Notartermins ei mehrfach verschoben worden, so Stadtsprecherin Michaela Christen. Die Hoffnung, dass es klappt, war bei vielen offenbar enorm groß. So groß, dass aus einem „Vielleicht“ wiederholt ein „faktisch gesichert“ wurde.

 

Wirtschaftsdezernent Bernd Nottebaum ist enttäuscht. | Foto: SIS/Christoph Müller

 

Nun ist Klar: Die 130 Arbeitsplätze kommen nicht

Klar war also offenbar auch bis zuletzt nicht. Wenngleich anhand so mancher Kommunikation durchaus immer wieder der Eindruck entstehen konnte, alles sei in Sack und Tüten. Seit gestern ist nun klar, dass es das war. Nach der INTEL-Absage ist dies der zweite Ansiedlungs-Nackenschlag für die Landeshauptstadt. „Es ist schade, dass diese Investition nicht kommt. Bereits 2020 waren wir mit Amazon in Kontakt und haben das Vorhaben vorangetrieben. Das Vorhaben war schon in einem sehr fortgeschrittenen Stadium“, so Wirtschaftsdezernent Bernd Nottebaum. Trotz der nun zweifachen Absagen internationaler Konzerne bleibt er aber optimistisch. Der Standort habe Potenzial und man wolle weiter für Neuansiedlungen im Industriepark Schwerin werben.

 

Keine neuen Arbeitsplätze durch AMAZON: Gegner zeigten sich zufrieden

Wie zu erwarten, feierten einige schon gestern, kurz nach Bekanntwerden der Absage des Konzerns, die Nicht-Investition und damit letztlich die Nicht-Schaffung der etwa 130 neuen Arbeitsplätze.

„Großartig. Auch wenn es nicht an unserem Protest oder der Petition gelegen haben wird, dass Amazon sich nun nicht in Schwerin ansiedelt so ist das doch eine gute Nachricht. Die Arbeitsbedingungen bei Amazon sind bekanntlich nicht die besten. Die Arbeitsbedingungen werden von Gewerkschaften seit Jahren kritisiert. Fahrer die in Flaschen ruinieren müssen, Mitarbeiter die unter extremer Überwachung stehen, sind da nur die Spitze des Eisberges. Auch unter dem Gesichtspunkt, dass Schwerin den Klimanotstand ausgerufen hat, kann dies nur als positiv betrachtet werden. Die Umweltbelastung durch hunderte Fahrzeuge wäre nicht spurlos an dem Mikro-Klima der Stadt vorbei gegangen. Es bleibt jetzt zu hoffen, dass die Stadtvertretung nun auch Abstand von der unnötigen Nordumgehung, dem Autobahnzubringer, nimmt“ sagte ASK-Wilfried Hoog. Er hatte sich schon frühzeitig gegen Amazon engagiert.

Hoog scheint dabei – bewusst oder unbewusst – komplett auszublenden, dass mit einem Verteilzentrum nicht mehr Pakete als sonst auch durch Schwerin hätten gefahren werden müssen. Denn schon jetzt fährt AMAZON auch in Schwerin Pakete mit eigenen Fahrzeugen aus. Und auch blieb unerwähnt, dass der Konzern, wie dargestellt, derzeit weltweit dabei ist, die Fahrzeugflotte auf E-Antriebe umzustellen.

 

Written By
Stephan Haring

Stephan Haring ist freier Mitarbeiter unserer digitalen Tageszeitung. Er hat ein Bachelor-Studium der Kommunikationswissenschaften an der Universität Erfurt mit den Nebenfächern Sozialwissenschaften & Politik absolviert. Im Nachhinein arbeitete er in leitenden Funktionen der Presse- & Öffentlichkeitsarbeit, im Leitungsbereich eines Unternehmens sowie als Rektor einer privat geführten Hochschule. Zudem entwickelte, organisierte und realisierte er mit der durch ihn entwickelten LOOK ein Fashionevent in Schwerin. Heute arbeitet er freiberuflich als Texter, Pressesprecher und Textkorrektor sowie als Berater in verschiedenen Projekten. In einem Schweriner Ortsbeirat ist er zudem ehrenamtlich als Vorsitzender kommunalpolitisch aktiv.

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