Fr, 19. April 2024
Close

Schwerin: Seit Samstag entsteht die „Ostorf Gallery“

Deutschlandweit ist der Begriff „Graffiti“ für viele alles andere als ein Wohlklang. So auch in Schwerin. Vor allem Hauseigentümer, aber auch die Deutsche Bahn, Nahverkehrsbetriebe und zahlreiche weiteren Personen und

  • Veröffentlicht August 17, 2020
Martin Lambrecht (li) und Daniel Meslien (re) am schon gut erkennbaren Schriftzug „Ostorf – Gartenstadt“ in Schwerin. | Foto: schwerin-lokal

Deutschlandweit ist der Begriff „Graffiti“ für viele alles andere als ein Wohlklang. So auch in Schwerin. Vor allem Hauseigentümer, aber auch die Deutsche Bahn, Nahverkehrsbetriebe und zahlreiche weiteren Personen und Institutionen können ein Lied davon singen. Nicht bestellt und nicht gewollt finden sie auf Fassaden, Fahrzeugen oder an Brücken die berüchtigten kleinen und großen Schriftzüge oder eher fragwürdige „Gemälde“. Gut eine halbe Milliarde Euro kostet es jährlich, diese bewusste Beschädigung von Eigentum, die Stadtbilder verschandelt und Fahrzeuge beschädigte, zu entsorgen. Aber Graffiti ist vor allem auch eine Kunstrichtung.

 

Illegale Schmierereien machen echten Künstlern das Leben schwer

Und diejenigen, die die Kunst auch wirklich als Kunst ausüben, haben in der Regel auch kein Verständnis für die illegalen Schmierereien. Denn sie machen den wirklich Kreativen das Ausüben ihrer Kunst schwer. Vor allem, da sie die Akzeptanz von Graffiti als Kunstrichtung immer wieder auf eine harte Probe stellen. Und doch gelingt es auch in Deutschland zunehmend, diese moderne Kunst auch als solche in der Gesellschaft zu verfestigen. Manchmal, das zeigte sich kürzlich, gelingt es sogar, dass illegale Sprühereien letztlich zu Schmunzeln und Akzeptanz führen können. So sprayten in der vergangenen Woche Unbekannte eine Corona-Schutzmaske auf die Zugspitze eines IntercityExpress der Deutschen Bahn. Diese reagierte, die das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) berichtete, eher positiv – aber doch mit einem Hinweis darauf, dass es eine illegale Handlung bleibt.

Professionelle Arbeiten in der Unterführung der Lübecker Straße in Schwerin. | Foto: Schwerin-Lokal.de | D. Rochow

Professionelle Graffiti bereits an verschiedenen Stellen der Stadt

Auch in Schwerin zeigt sich an verschiedenen Stellen, dass Graffiti eben eigentlich bewusst gestalterische Kunst ist. So sind verschiedene Wartehäuschen des Nahverkehrs wie auch zahlreiche Strom- und Telekommunikationskästen durch legale Auftrags-Graffiti optisch aufgemotzt worden. Auch der Ortsbeirat Ostorf-Gartenstadt erkannte 2017 die positive Seite der Spraydosen-Kunst und ließ durch einen Graffiti-Künstler eine Wand an der Abbiegung der Ludwigsluster von der Crivitzer Chaussee gestalten. Waren dort zuvor jahrelang unansehnliche illegale Tags und Bildchen Ärgernis vieler Anwohner und auch vorbeifahrender Autofahrer, so zierten nach der Aktion verschiedene Stadtteilmotive in historischem Aussehen die Wand. Unter anderem mit Unterstützung der Sparkassenstiftung gelang es, eine kleine Graffiti-Galerie zu realisieren.

 

Chaoten hatten professionelle Arbeiten beschädigt – Ortsbeirat ermöglich nun Neugestaltung

Normalerweise ist es in der Szene üblich, dass erkennbar professionelle Werke nicht durch andere Sprayer übersprüht werden. Allerdings galt dieser Ehrencodex offenbar an dieser Stelle für einige Chaoten nicht. „Schon ein Jahr nach der Fertigstellung war ein Teil der neu gestalteten Mauer wieder beschmiert worden“, erinnert sich der Vorsitzende des Ortsbeirats, Daniel Meslien (SPD). „Diese Sauerei hat mich sehr geärgert.“ Und nicht nur ihn, sondern offenbar auch seine Mitstreiter im Ortsbeirat. Denn sie stimmten Meslien zu, dass hier etwas geschehen müsse.

 

Daniel Meslien, Ortsbeiratsvorsitzender | Foto: SPD

Ortsbeiratsvorsitzender Daniel Meslien war einer der Initiatoren

An diesem Wochenende nun folgten den Worten auch bereits Taten. Ein engagiertes Sprayer-Team um Martin Lambrecht, das bereits im Auftrag des Ortsbeirats Altstadt, Feldstadt, Paulsstadt, Lewenberg den Fußgängertunnel in der Lübecker Straße erfolgreich gestaltet hatte, entwickelte auf Bitten Mesliens und seiner Ortsbeirats-Mitstreiter neue Motive und griff nun zur Sprühdose. „Ich freue mich, dass ich mit Martin und seinen Kumpels echt gute Sprayer gefunden habe. Sie sind unglaublich engagiert und reparieren die Optik der Mauer nicht nur, sondern ergänzen sie gleich noch um weitere tolle Motive“, so der engagierte Vorsitzende, der gleichzeitig auch stellvertretender Stadtpräsident und langjähriges Mitglied der SPD-Fraktion in der Stadtvertretung ist.

Mit viel Farbe und echter Kreativität entstehen künstlerisch wertvolle Graffiti. | Foto: Symbolbild

Meslien freut sich auf das Ergebnis Ende der Woche

Ein begeisterter Passant taufte die Mauer schon gleich am ersten Tag der Neugestaltung „Ostorf Gallery“. Gestartet haben die kreativen Künstler mit den im Rahmend er ersten Aktion nicht professionell gestalteten Restflächen der Mauer. „Hier können die Beteiligten ihre Tags groß und künstlerisch in Naturumfeld eingebunden, realisieren. Das ist letztlich eine Art Bezahlung“, so Daniel Meslien, der schon nach nicht einmal einem Tag Arbeit der Künstler sichtlich zufrieden ist. „In den kommenden Tagen arbeiten sich die Jungs dann schrittweise die Mauer entlang. Dann geht es an das Ausbessern und teilweises komplettes Neugestalten. Zu sehen sind dann neben den schon vorhandenen Bildern vom ehemaligen Gasthaus „Püsserkrug“, den einstigen Kasernen an der Ludwigsluster Chaussee auch eine historische rot-weiße Tatra-Straßenbahn und der Sportpark Paulshöhe. „Alles Motive aus der Geschichte unseres Stadtteils – eingebettet in Motive des Ostorfer Sees“. Daniel Meslien freut sich schon jetzt auf das Ergebnis, das Ende der Woche fertig sein soll. begeistert.

Während der Schriftzug entstand, bekamen Sprayer und Initiator Besuch. | Foto: schwerin-lokal

Auch die Polizei schaute mal vorbei

Natürlich, wie sollte es auch anders sein, kam es auch bei dieser legalen Aktion zu einem Zusammentreffen mit der Polizei. Diese fährt schließlich regelmäßig an der Stelle vorbei, wenn sie aus der Stadt in Richtung Revier in der Graf-Yorck-Straße unterwegs ist. „Ja, daran hatten wir echt nicht gedacht. Aber es ist ja gut zu wissen, dass die Beamten jederzeit ein Auge auf solche Aktionen haben. Da allerdings ein Auto mit Kennzeichen dort stand, alle ganz entspannt weitermachten, als der Einsatzfahrzeug hielt, glaubten die Beamten auch, dass das Ganze legal ist“, so Meslien. Na und der stellvertretende Stadtpräsident stand zudem persönlich dabei. Mehr offiziellen Background kann so eine Aktion ja gar nicht bekommen.


Mehr legale Sprayerflächen gegen illegales Treiben?

Seien wir also gespannt darauf, wie die „Ostorf Gallery“ in den kommenden Tagen weiter wächst. Und bleibt zu hoffen, dass dann nicht gleich wieder irgendwelche Idioten meinen, sie müssten mit ihren Schmierereien die professionelle Arbeit von Martin Lambrecht und seinem kreativen Team verschandeln.

Vielleicht wäre es ja eine Idee, dass die Stadt Schwerin endlich die wiederholte Forderung aus der Szene, aus den Ortsbeiräten und auch aus den Stadtfraktionen nach mehr legalen Sprayerflächen aufgreift und realisiert. In Daniel Meslien haben all jene, die für entsprechende Angebote eintreten, auf jeden Fall schon lange und zukünftig noch verstärkt einen Fürsprecher. „Mir ist bewusst, dass das nicht ein Ende illegaler Schmierereien bedeutet. Aber wenn wir den Sprayern keinerlei beziehungsweise kaum wirkliche Möglichkeiten bieten, ihrem Hobby nachzugehen, ändert sich ganz sicher nichts. Zudem vergeben wir uns gesellschaftlich und kulturell auch eine echte Chance, wenn wir dieser Szene-Kunst keinen angemessenen Raum bieten. Es wird daher Zeit, dass aus unseren kommunalpolitischen Forderungen in diesem Bereich endlich Realität wird.“

Written By
Stephan Haring

Stephan Haring ist freier Mitarbeiter unserer digitalen Tageszeitung. Er hat ein Bachelor-Studium der Kommunikationswissenschaften an der Universität Erfurt mit den Nebenfächern Sozialwissenschaften & Politik absolviert. Im Nachhinein arbeitete er in leitenden Funktionen der Presse- & Öffentlichkeitsarbeit, im Leitungsbereich eines Unternehmens sowie als Rektor einer privat geführten Hochschule. Zudem entwickelte, organisierte und realisierte er mit der durch ihn entwickelten LOOK ein Fashionevent in Schwerin. Heute arbeitet er freiberuflich als Texter, Pressesprecher und Textkorrektor sowie als Berater in verschiedenen Projekten. In einem Schweriner Ortsbeirat ist er zudem ehrenamtlich als Vorsitzender kommunalpolitisch aktiv.

Kommentiere den Beitrag

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert