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Schwerin: Stark differierene Hospitalisierungszahlen für MV

Es ist derzeit DIE Kennzahl, die aktuell maßgeblich für den privaten, beruflichen und unternehmerischen Alltag ist: Die Hospitalisierungsrate. Sie misst die Anzahl an Personen, die in Bezug auf 100.000 Einwohner

  • Veröffentlicht Dezember 3, 2021
Nur ausreichendes Impfen wird aus der Pandemie führen. | Foto: Wilfried Pohnke

Es ist derzeit DIE Kennzahl, die aktuell maßgeblich für den privaten, beruflichen und unternehmerischen Alltag ist: Die Hospitalisierungsrate. Sie misst die Anzahl an Personen, die in Bezug auf 100.000 Einwohner im Zeitraum von sieben Tagen wegen einer Infektion mit dem Corona-Virus in Krankenhäuser kommen. Das damit verbundene Ziel, so die Politik, sei die Darstellung, in welchem Umfang das Gesundheitssystem zum jeweiligen Zeitpunkt aufgrund der Corona-Pandemie belastet ist. Ministerpräsidentin Manuela Schwesig hat, wie zahlreiche andere Spitzenpolitikerinnen und -politiker im Land, öffentlich diese Zahl als Maßstab verteidigt und die bis vor kurzem noch geltende 7-Tage-Infektions-Inzidenz als nicht ausreichend zur Entscheidung von Maßnahmen bezeichnet.

Offenbar aber sieht die Realität etwas anders aus. Und nicht nur das. Denn im Land kommt es zumindest zu hinterfragbaren Rechenübungen, die zuletzt die Hospitalisierung mit einem niedrigeren Wert auswiesen, als sie schon nach den sonst üblichen LAGUS-Berechnungen wäre. Darauf wies am Mittwochabend der Schweriner Stadtvertreter Stefan Martini (ASK / Die Piraten) hin.

 

Berater der Landesregierung für Rückkehr zur Infektions-Inzidenz

Aber dröseln wir die Situation schrittweise auf. Schon wenn man die Sicht eines der zentralen Berater der Landesregierung in der Corona-Pandemie, auf den sich Ministerpräsidentin Schwesig wiederholt berief, betrachtet, können Zweifel an der derzeitigen Entscheidungsgrundlage kommen. So zitierte unter anderem der Nordkurier den Bioinformatiker der Universität Greifswald, Prof. Lars Kaderali, wie folgt: „Die Krankenhäuser kommen mit Meldungen nicht nach.” Der vom LAGUS ausgewiesene Wert entspräche damit faktisch an keinem Tag der aktuellen Lage. „Das zweite Problem ist, dass die Hospitalisierungsinzidenz ja nur die Neuaufnahmen in die Krankenhäuser berücksichtigt”.

Die Dauer der Bettenbelegung durch die Corona-Patienten sei nicht abgebildet. Diese fließe aber gerade in dieser vierten Welle, in der vermehrt jüngere Menschen in die Kliniken kommen und länger die Normal- wie auch Intensivstation belasteten, nicht in die Hospitalisierungszahl ein. Daher fordert Prof. Kaderali die Rückkehr zur 7-Tage-Infektions-Inzidenz als Maßstab der Entscheidungsfindung. „Diese ist immer noch sehr, sehr stark gekoppelt an das, was in den Krankenhäusern passiert. […] Und es ist halt vor allen Dingen auch ein Frühwarnindikator, der rechtzeitig anschlägt”, zitiert der Nordkurier Kaderali.

 

Nowcast-Zahlen zeigen dramatischere Situation auf

Auf die durchaus problematische Bedeutung der Hospitalisierungs-Inzidenz wies nun auch der NDR in dieser Woche hin. Unter Nutzung eines statistischen Modells der Universität Stockholm, das laut NDR wissenschaftlich geprüft und und in einem Fachjournal publiziert ist, veröffentlicht die Rundfunkanstalt nun regelmäßig Nowcast-Zahlen, die die verspätet gemeldeten Klinikaufnahmen entsprechend korrekter berücksichtigen. Auch diese stimmen dabei nicht exakt. Allerdings erfolge, so der NDR, auf Basis der wissenschaftlichen Methode eine so exakt wie mögliche Schätzung, die dichter an der Realität läge, als die RKI-Zahlen. Die auf dieser Grundlage erfolgten Betrachtungen zeigen, dass sich die tatsächliche Hospitalisierungsrate aktuell deutlich dramatischer darstellt, als von RKI und auch LAGUS MV dargestellt.

Für Mecklenburg-Vorpommern wies das LAGUS beispielsweise am Donnerstagabend eine Hospitalisierung von 8,3 aus. Die Nowcast-Kurve weist für das Land den im Norden größten „Graubereich“ zwischen 11,2 und 21 aus. Aber selbst der unterste Wert liegt dabei schon deutlich über dem des LAGUS. Dieses sieht das Land mit 8,3 im orangenen Bereich. der Nowcast-Bereich sieht MV klar im roten, wenn nicht gar im dramatisch roten Bereich. (Quelle: NDR)

 

Nach Nowcast wäre MV deutlich im „roten“ Bereich

Schon die NDR-Zahlen zeigen damit nicht nur, dass die offiziellen Hospitalisierungs-Zahlen die Realität deutlich unterschreiten und mit Sicherheit nicht real abbilden. Sie weisen vielmehr auch auf eine deutlich dramatischere Lage als öffentlich dargestellt hin und zeigen aktuell zudem auf, dass das Land, das offiziell am Dienstag und Mittwoch im orangenen Bereich gelegen haben soll, durchgängig „rot“ war. Damit steuert man in MV derzeit – bleibt das Land noch bis einschließlich Samstag im „LAGUS-Orange“ – wieder auf Maßnahmenreduzierungen hin, die an sich nicht gerechtfertigt sind. Als ob diese Nowcast-Zahlen und die Darstellungen zahlreicher Experten wie Prof. Kaderali nicht schon ausreichen würden, scheint es noch zusätzliche Unregelmäßigkeiten bei den LAGUS-Berechnungen in dieser Woche zu geben.

 

Schweriner Stadtvertreter weist auf fehlerhafte LAGUS-Zahlen hin

Zahlen LAGUS MV vom 1. Dezember 2021 | Quelle: LAGUS MV

Dies zumindest zeigt der Schweriner Stadtvertreter Stefan Martini (ASK/Die Piraten) in diesen Tagen auf. So hätten „technische Probleme“ am Dienstag dazu geführt, dass sämtliche Zahlen aus Schwerin nicht in die LAGUS-Zahlen einflossen. Im Ergebnis kam das LAGUS auf eine Hospitalisierung von 7,3 für die Landeshauptstadt. Diese wies aber selbst 9,3 aus. Die reale Zahl in die Berechnungen der Landes-Hospitalisierung eingesetzt, lag MV nicht unter sondern möglicherweise über dem Schwellenwert von 9, so Martini. So aber zählte der Dienstag als erster orangener Tag (Hospitalisierungsinzidenz MV < 9), denn für Maßnahmenentscheidungen zählt die LAGUS-Veröffentlichung. Kommen fünf aufeinander folgende orangene Tage zusammen, reduzieren sich geltende Maßnahmen.

„Vor allem könnten die Weihnachtsmärkte wieder auf 2G zurückkehren. Die Gastronomen aber und auch andere Branchen würden weiter die 2G plus Regel ertragen müssen“, so Martini im Gespräch mit unserer Redaktion. Daher war ihm eine Klärung der Situation wichtig. Und auch das Signal, dass derartige Differenzen durchaus schnell zu auch weitreichenderen Folgen führen können, und somit unbedingt vermieden werden müssen.

 

LAGUS: Land auch unter korrekten Zahlen am Dienstag „orange“

Zahlen Schwerin am 1. Dezember 21. | Quelle: www.schwerin.de

Zwischenzeitlich hat auch das LAGUS reagiert und nach eigenen Angaben nachgerechnet. Heraus kam: „Mit den Hospitalisierungen aus Schwerin beträgt die 7-Tage-Hospitalisierungsinzidenz für die Landeshauptstadt 9,4 (statt der gestern im Lagebericht angegebenen 7,3). Für den 30.11.2021 resultiert für das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern daraus eine 7-Tage-Hospitalisierungsinzidenz von 8,9 (statt der gestern im Lagebericht angegebenen 8,8). Daraus ergibt sich, dass ein Unterschied von zwei Punkten in der Hospitalisierungsinzidenz der Landeshauptstadt offenbar nur 0,1 Punkte in der Landesinzidenz ausmachen. Und, dass MV offenbar am Dienstag auch bei korrekten Schweriner Zahlen „orange“ gewesen wäre.

Mit der gestrigen LAGUS-gemeldeten Hospitalisierungs-Inzidenz für das Land von 8,4 befindet sich MV nun übrigens seit drei Tagen im „orangenen“ Bereich. Wenn es fünf Tage in Folge waren, können in den kreisfreien Städten und Landkreisen, die „orange“ oder „gelb“ sind, wieder einige Maßnahmen zurückgenommen werden. Dort gilt dann in beiden Fällen die Landesstufe „orange“. Für Schwerin würde das beispielsweise bedeuten, dass auf dem Weihnachtsmarkt wieder 2G gilt, während die Gastronomien, Solarien und manch andere Einrichtungen, wie Martini zu recht anmerkte, weiter mit 2G plus leben müssten.

 

Written By
Stephan Haring

Stephan Haring ist freier Mitarbeiter unserer digitalen Tageszeitung. Er hat ein Bachelor-Studium der Kommunikationswissenschaften an der Universität Erfurt mit den Nebenfächern Sozialwissenschaften & Politik absolviert. Im Nachhinein arbeitete er in leitenden Funktionen der Presse- & Öffentlichkeitsarbeit, im Leitungsbereich eines Unternehmens sowie als Rektor einer privat geführten Hochschule. Zudem entwickelte, organisierte und realisierte er mit der durch ihn entwickelten LOOK ein Fashionevent in Schwerin. Heute arbeitet er freiberuflich als Texter, Pressesprecher und Textkorrektor sowie als Berater in verschiedenen Projekten. In einem Schweriner Ortsbeirat ist er zudem ehrenamtlich als Vorsitzender kommunalpolitisch aktiv.

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