Sa, 20. April 2024
Close

Schwerin: „Uns alle eint, wieder an die Menschen, an unser Publikum, heranrücken zu wollen“

Es ist genau ein Jahr her, dass schwerin-lokal als erstes Medium mit Hans-Georg Wegner den Namen des neuen Generalintendanten des Mecklenburgischen Staatstheaters verkünden konnte. Damals schien sein „Start“ in Schwerin

  • Veröffentlicht Juni 14, 2021
Das neue Leitungsteam des Mecklenburgischen Staatstheaters (v.l.n.r.: Rolf Petersen, Xenia Wiest, Mark Rohde, Hans-Georg Wegner, Nina Steinhilber, Christian Schwandt, Martin G. Berger, Thomas Ott-Albrecht | Foto: Silke Winkler, Schwerin

Es ist genau ein Jahr her, dass schwerin-lokal als erstes Medium mit Hans-Georg Wegner den Namen des neuen Generalintendanten des Mecklenburgischen Staatstheaters verkünden konnte. Damals schien sein „Start“ in Schwerin noch recht weit hin. Denn zwischen der Entscheidung und dem „Start des Neuen“ lag noch eine komplette Spielzeit. Inzwischen wissen wir, dass „Spielzeit“ eher hochgegriffen war. Denn die meiste Zeit war das Theater, wie viele andere Bereiche der Gesellschaft, coronabedingt geschlossen. Aber natürlich war unser neuer Intendant auch in dieser Zeit nicht tatenlos. Er bereitete die Übernahme der Amtsgeschäfte vor.

 

Das Leitungsteam steht bereits

Dazu gehörte vor allem auch, das Leitungs-Team zusammenzustellen, mit dem Wegner von nun an arbeiten möchte. Dass an seiner Seite Christian Schwandt den Part des Kaufmännischen Geschäftsführers übernehmen würde, war ebenfalls seit dem 10. Juni 2020 klar. Gespannt aber blickten viele auf das neue künstlerische Team um die Doppelspitze des Staatstheaters. Inzwischen sind auch diese Namen bekannt. So übernimmt Xenia Wiest die Funktion der Ballettdirektorin. Nina Steinhilber löst als neue Schauspieldirektorin Martin Nimz ab, der dem Theater als Hausregisseur erhalten bleibt. Martin G. Berger, frisch gekürter FAUST-Preisträger, wird neuer Operndirektor; Rolf Petersen bleibt Direktor der Fritz-Reuter-Bühne. Mark Rohde wirkt als Generalmusikdirektor der Mecklenburgischen Staatskapelle und Thomas Ott-Albrecht ist weiterhin Intendant des Jungen Staatstheaters Parchim, dem im Konzept Hans-Georg Wegners eine stärkere Rolle als bislang zukommen soll.

 

Parchim kommt wichtige Rolle im neuen Konzept zu

Hatte man – zumindest außenstehend – bislang teilweise den Eindruck, das Theater in Parchim sei eher ein Anhängsel des Hauses in Schwerin, so soll es in der Innen- wie auch Außenwirkung zukünftig sehr viel Klarer ein Teil des Ganzen sein. Denn das Mecklenburgische Staatstheater soll vor allem wieder eines werden: Ein Theater für die Menschen und mit den Menschen. Dabei darf Theater an sich, so Wegners Sicht, nicht zu etwas Elitärem verkommen. „Es ist sehr viel mehr als Schlossfestspiele und Theaterball“. Wenn man aber für und mit den Menschen arbeiten möchte, „dann darf man sich nicht nur hinter den eigenen Mauern verbarrikadieren. Dann muss man rausgehen“, so Wegner. Und genau das soll geschehen.

Der neue Intendant möchte das Theater mehr ins Umland bringen. „Und da spielt Parchim eine ganz zentrale Rolle. Dort bestehen die direkten Kontakte in eben diese Bereiche. Das ist ein enormes Plus für unser gesamtes Haus. Es wird deshalb wichtig sein, unsere Kolleginnen und Kollegen dort enger einzubinden. Ich möchte mit ihnen daher viel reden und vor allem ihre Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit der Region für das gesamte Staatstheater fruchtbar machen“. Ein erster Schritt ins Umland zeichnet sich übrigens schon für 2022 ab, verrät Hans-Georg Wegner. So wird das Schauspiel bereits im kommenden Jahr das Stück „Solo Sunny“ auf die Bühne des Kulturhauses Crivitz bringen.

 

„Wir bieten Raum für den gesellschaftlichen Diskurs“

Der Zuschauerraum im neuen M-Passepartout

Perspektivisch möchte der neue Intendant also zu den Menschen gehen. Sei es auf dem Land, oder auch in der Stadt. Mit dem Stück „Wildes Land“ beispielsweise sei dies in der Spielzeit 2019/20 schon sehr gut gelungen. Damals zog das Schauspiel ins Mueßer Holz, ein Plattenbauviertel von Schwerin. Mit großem Erfolg. So führte das Stück als solches zu viel Publikumszuspruch, wie es auch zu manch neuer Diskussion anregte.

„Und genau das brauchen wir. Darin sehe ich eine ganz zentrale Aufgabe von Theater. Gesellschaftliche Themen aufzugreifen, unterschiedlichen Meinungen und Ansichten einen Raum zu geben. Wir brauchen Mut zur Kontroverse und auch zum Konflikt. Natürlich verbunden mit einer eigenen Haltung. Aber es zeigt sich doch, dass die Vermeidung des Diskurses, auch der klaren Konflikte, letzten Endes zu einer gesellschaftlichen Spaltung führt. Und die gilt es zu verhindern. Wir sind eine Gesellschaft, egal wie krass die einzelnen Ansichten sind. Und wo sollte ein besserer Raum für diesen gesellschaftlichen Diskurs sein, als im Theater?“, so Wegner.

 

Ein Theater für die Stadt, für die Region – für die Menschen

Der neue Intendant umschreibt damit seine Vorstellung eines „Theaters für die Stadt, für die Region – letzten Endes für die Menschen, die hier leben“. Der damit eng verbundene Begriff „Stadttheater“, von manchem zuletzt schon eher verächtlich genutzt, ist dabei für Wegner alles andere als negativ belegt. Im Gegenteil, „denn dafür gibt es uns. Wir müssen und wollen für die Themen der Menschen und ihre Bedürfnisse da sein. Es gibt doch kaum einen anderen Raum, an dem man ebenso gemeinsam lachen wie auch die harten gesellschaftlichen Fragestellungen aufgreifen, und durch das Erzählen von Geschichten verschiedene Lösungsideen ermöglicht. Neben dem Raum für den Diskurs sollten und müssen wir vor allem auch Stoffe anbieten, die die Menschen wieder zusammenführen“.

 

Geschichten spielen eine zentrale Rolle

Bewusst spricht Hans Georg Wegner dabei von Geschichten, die man in den verschiedensten Formen – zum Beispiel im Schauspiel, in der Oper, auch im Ballett – erzählen kann. Denn „Geschichten helfen, Orientierung in der Welt zu finden“. Eine Erkenntnis, die gerade auch in intellektuellen Theaterkreisen heute manchmal etwas abhanden gekommen zu sein scheint. „Gute Geschichten helfen, sich selbst zu verstehen und so auch Veränderungen herbeizuführen.“ Dabei geht Wegner aber noch einen Schritt weiter. Denn er möchte nicht nur für sondern auch mit den Menschen diese Geschichten erzählen. So plant er partizipatorische Projekte, an denen Menschen aus der Stadt und der Region während einer Produktion mitwirken.

 

Ein Blick auf die Biografie des neuen Intendanten

Hans-Georg Wegner, designierter Intendant des Mecklenburgischen Staatstheaters | Foto: Candy Welz

Der heute 52-jährige Hans Georg Wegner zieht viele seiner Ansichten und Erkenntnisse, die ihm als eine Grundlage seiner Ideen für das Mecklenburgische Staatstheater der Zukunft dienen, zweifelsfrei aus seinem eigenen Werdegang – beruflich wie privat. Dabei dürfte es für seine Arbeit in Schwerin  zumindest kein Nachteil sein, dass der 1968 in Dessau geborene Pfarrerssohn  die Sozialisation in der DDR kennengelernt hat. Und somit so manches aus eigener Erfahrung nachvollziehen kann. Schon in der Schulzeit erlebte er den Konflikt um das freie(re) Wort. Während er, aus der Pfarrersfamilie kommend, hier und da durchaus eine eigene Meinung vertreten durfte, ging es vielen seiner Mitschüler anders. „Du darfst was sagen, ich nicht“, hörte er nicht nur einmal auf dem Schulhof. Vielleicht führte Wegner letztlich auch diese Erfahrung in die Kultur, die zweifelsfrei als Stellvertreterin für auch verschiedene Ansichten agiert, die geäußert werden sollten. Und auch der unmittelbare kirchliche Einfluss dürfte bei seiner Entscheidung, im Kulturbereich arbeiten zu wollen, eine Rolle gespielt haben. „Auch in der Kirche werden vorhandene [alte] Texte interpretiert und in die Zeit geholt. Nicht anders ist es am Theater“, so Wegner.

 

Wegner erlebte die gesellschaftlichen Konflikte der DDR

Wie schnell etwas Positives sich allerdings auch ins Gegenteil drehen kann, erfuhr Wegner bereits in seiner Jugend. Denn als er zur Nationalen Volksarmee der DDR eingezogen werden sollte, hieß es zunächst, er solle in eine Spinonageabteilung kommen, um den Funkverkehr der NATO abzuhören.

„Das klang natürlich für einen jungen Menschen spannend“. Im noch vor Dienstbeginn stattgefundenen Gespräch zeigten sich dann aber zwei Dinge zeitgleich: Die Unkenntnis so mancher – gerade in Bezug auf die Kultur – und eben, dass die kirchliche Herkunft schnell in der DDR auch zum Nachteil werden konnte. Denn man meinte dort, sein Vater würde ja eine hohe Position am Theater bekleiden. Als sich Wegner etwas verwundert zeigte, hieß es, der Vater sei doch schließlich „Superintendant“. Da wurde ihm der Irrtum bewusst. Und er musste diesen aufklären. „Richtig war, dass er Superintendent war. Bei der Kirche“. Nach dieser Richtigstellung ging es dann für 18 Monate in eine der schlimmsten Kompanien bei Erfurt.

 

Theater muss immer aktuell sein

Beruflich entwickelte sich beim heute neuen Intendanten für Schwerin und Parchim der Wunsch, Musikwissenschaften zu studieren. Dafür allerdings musste er Klavier spielen können. Also entschied er sich für einen Umweg und begann eine Anstellung als Bühnentechniker am Theater Nordhausen. Nebenbei lernte er dort das Klavierspiel. Damals, es war gerade das Wendejahr 1989, flashte ihn das Erleben, dass „nach der Vorstellung wirklich noch alle zusammensaßen und miteinander diskutierten. Nicht nur über das Stück, sondern auch über die gesellschaftliche Situation“. Man spürt förmlich, wie sehr sich Wegner eine solche Atmosphäre wieder ans Theater wünscht.

Dass es mit dem Studium klappte, lässt sich an Wegners heutigem Job erahnen. Zuerst studierte er in Nürnberg/Erlangen, dann in Berlin. Eine Hospitation an der Semperoper in Dresden erlaubte ihm zudem die Arbeit mit Peter Konwitschny, einem der bedeutendsten deutschen Regisseure. Aus dieser Zeit nahm Wegner für sich die Erkenntnis und den Anspruch mit, dass Theater immer aktuell sein muss. „Eben weil ich es jetzt mache und jetzt interpretiere. Etwas, was Konwitschny schon damals  ganz hervorragend gelang“.

 

„Los“ gings mit 150 Bewerbungen ohne Antwort

Blickt man auf die heutige Position Wegners, ahnen vermutlich die wenigsten, dass sein Berufsstart alles andere als optimal und gradlinig verlief. „Es waren an die 150 Bewerbungen, die ich damals geschrieben habe. Aber es gab keine Reaktion“. Letztlich startete Hans-Georg Wegner als Regieassistent Schauspiel in Stendal. „Dort allerdings habe ich es nur ein Jahr ausgehalten“. Es folgte ein Stipendium in München, wo er eine Doktorarbeit begann, „die ich nie abgeschlossen habe. Der Gedanke im Hintergrund war, dass ich vermutlich mehr Qualifikation bräuchte, um an einem größeren Haus arbeiten zu können“.

Letztlich war es beinahe ein Zufall, der den wirklichen Berufsstart möglich machte. In einem privaten Anruf beim Dramaturgen der Semperoper erfuhr Wegner von einer freien Stelle. Er bewarb sich und wurde mit 32 Jahren Dramaturg „an diesem wundervollen Haus“. Und das für immerhin sieben Jahre. Danach führte es Wegner als Chefdramaturg nach Bremen. „Dort habe ich vom Intendanten sehr viel für meine heutige Arbeit gelernt, da viel falsch lief“. Nachdem der Intendant das Haus verlassen musste, wurde Hans-Georg Wegner für zwei Spielzeiten Interims-Intendant in einem Direktorenteam. „Wir haben damals wirklich auf Augenhöhe alles miteinander besprochen. Wenn man miteinander redet, ist vieles besser organisierbar. Es kostet aber auch wirklich Zeit“, erinnert er sich heute.

 

Erfolgreiche Arbeit in Bremen und Weimar – Auszeit in Tel Aviv

LANZELOT von Paul Dessau (Koproduktion von DNT Weimar und Theater Erfurt) / Musikalische Leitung: Dominik Beykirch, Regie: Peter Konwitschny, / Foto: Candy Welz

Nach einem Jahr gemeinsamer Auszeit mit seiner Frau in Tel Aviv, „einer der lebendigsten Orte der Welt“, ging es für Hans-Georg Wegner für acht Jahre als Operndirektor ans Deutsche Nationaltheater nach Weimar. Hier war es vermutlich vor allem ein DDR-Stück, dass derzeit stellvertretend für seine erfolgreiche Arbeit steht. Denn entgegen vieler kritischer, fragender und auch mahnender Stimmen entschied sich Wegner, die Oper „Lanzelot“ mit 250 Mitwirkenden auf die Bühne zu bringen. Dabei gelang ihm der Coup, Peter Konwitschny, ein Kenner des Stücks, für eine Zusammenarbeit zu gewinnen. „Das Stück schlug ein wie eine Bombe. Es wurde die Wiederentdeckung des Jahres der Zeitschrift ‚Opernwelt‘. Eine in unserem Bereich große Auszeichnung“.

 

Wegner bewarb sich in Schwerin als einer von 68

Als Wegner dann von der Ausschreibung der Stelle des Generalintendanten am Mecklenburgischen Staatstheater erfuhr, zögerte er nicht lange. Auch seine Frau war sofort Feuer und Flamme. Nicht zuletzt, weil sie bereits Regie bei dem erfolgreichen  Stück „Linien“ am Haus in Schwerin geführt hatte, und zudem die Gegend sehr liebt. „Da musste ich mich doppelt anstrengen“. Letztlich war Wegners Bewerbung eine von 68, die „die absolut hochkarätig besetzte Findungskommission“, so Wegner, zu bearbeiten hatte. Dass es klappte, erfuhr er selbst auch erst am 9. Juni 2020, also am Abend vor der offiziellen Bekanntgabe.

 

Acht neue Solisten mit Weltklasseniveau

Inzwischen hat Hans Georg Wegner, der gern mit dem Rad um die Seen fährt, für sich, seine Frau und seine 7-jährige Tochter die, wie er selbst sagt, „bisher schönste Wohnung“ in Schwerin gefunden, die aktuell auch sein Lieblingsort in der Stadt ist. Ein wenig ist es sicher auch der Zeit geschuldet, dass er noch keinen anderen Lieblingsort gefunden hat. Aber man spürt, dass er in Schwerin angekommen ist.

Obwohl seine „Amtszeit“ so wirklich erst mit der neuen Spielzeit beginnt, ist er bereits täglich lange im Theater am Alten Garten. Schließlich gab es nicht nur das bereits angesprochene Leitungsteam zu finden. „So galt es, die neue Spielzeit komplett zu planen, schon viele Menschen vor Ort zu treffen und ins Gespräch zu kommen. Zudem hatten wir zum Beispiel acht Solisten-Stellen neu zu besetzen. Wir bekamen unvorstellbare 1.200 Bewerbungs-Videos aus dem In- und Ausland. Aber nicht nur die Anzahl war überwältigend. Auch das extrem hohe Niveau hat uns überrascht und gefreut“. Tatsächlich wurden alle Videos von Generalmusikdirektor Mark Rohde und Operndirektor Martin G. Berger angesehen, um dann 70 Solistinnen und Solisten einzuladen. Inzwischen sind die acht Stellen besetzt. „Ich kann schon jetzt versprechen, dass sich das Publikum auf wirklich unglaubliche Stimmen auf der Bühne freuen kann.“

 

„Wir haben ein tolles Team zusammen“

Bleibt ein Fazit: Hans Georg Wegner will und wird mit Sicherheit neue Wege gehen, und das Mecklenburgische Staatstheater mit den Menschen in Schwerin und Parchim, aber auch in der Region, sehr viel näher zusammenbringen. Das Haus dürfte wieder ein Ort des lebendigen Diskurses, der Aktualität und des Daseins nicht nur für ausgewählte kleine Gruppen sein. „Wir haben ein spannendes, ein tolles, Team zusammen. Die Neuen wie auch die, die schon hier waren. Und wirklich alle eint das Ziel, wieder an die Menschen, an unser Publikum heranrücken zu wollen“, so Hans Georg Wegner.

 

Written By
Stephan Haring

Stephan Haring ist freier Mitarbeiter unserer digitalen Tageszeitung. Er hat ein Bachelor-Studium der Kommunikationswissenschaften an der Universität Erfurt mit den Nebenfächern Sozialwissenschaften & Politik absolviert. Im Nachhinein arbeitete er in leitenden Funktionen der Presse- & Öffentlichkeitsarbeit, im Leitungsbereich eines Unternehmens sowie als Rektor einer privat geführten Hochschule. Zudem entwickelte, organisierte und realisierte er mit der durch ihn entwickelten LOOK ein Fashionevent in Schwerin. Heute arbeitet er freiberuflich als Texter, Pressesprecher und Textkorrektor sowie als Berater in verschiedenen Projekten. In einem Schweriner Ortsbeirat ist er zudem ehrenamtlich als Vorsitzender kommunalpolitisch aktiv.

Kommentiere den Beitrag

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert