Sa, 24. Mai 2025
Close

Stadt legt Eilbeschluss zur Anmietung einer Flüchtlingsunterkunft vor – Hauptausschuss lehnt diesen ab

Die Unruhe um einen Vertrag mit der Schweriner compact GmbH des einstigen SPD-Landtagsabgeordneten Jörg Heydorn zur Unterbringung von ukrainischen Kriegsflüchtlingen reißt nicht ab. Nachdem die SVZ bereits berichtete, dass die

  • Veröffentlicht Mai 27, 2022
Derzeit ebbt der Strom ukrainis­ch­er Kriegs­flüchtlinge ab. | Foto: Sym­bol­bild

Am ver­gan­genen Mon­tagabend dürften so einige Men­schen im Land aufge­horcht haben. Die SVZ berichtete zu diesem Zeit­punkt näm­lich in ihrem Dig­i­ta­lange­bot, dass es erneut zu einem Ver­trag zwis­chen der rot-roten (SPD/LINKE) Lan­desregierung und der Com­tact GmbH hin­sichtlich der Anmi­etung ein­er Unterkun­ft für ukrainis­che Flüchtlinge gekom­men sei. Das allein klingt nicht beson­ders spek­takulär. Inter­es­sant wird es allerd­ings, da die Unterkun­ft kom­plett leer ste­ht, und das Land den­noch munter zahlt. Ein zusät­zlich­es Geschmäck­le: Inhab­er der Com­tact ist mit Jörg Hey­dorn ein ehe­ma­liger SPD-Land­tagsab­ge­ord­neter. Und nun soll die Stadt Schw­erin den laufend­en Ver­trag übernehmen. Ein erster Anlauf scheit­erte allerd­ings offen­bar im Haup­tauss­chuss.

 

Land brauchte mit Kriegsbeginn schnell viele Unterkünfte

Was ist aber eigentlich die Aus­gangslage? Als mit Aus­bruch des Ukraine-Krieges hun­dert­tausende Ukrainer­in­nen und Ukrain­er keinen Ausweg sahen, als vor der rus­sis­chen Aggres­sion aus ihrer Heimat zu fliehen, kamen viele von ihnen auch in Meck­len­burg-Vor­pom­mern an. Das Land war daraufhin bemüht, schnell für die Unter­bringung geeignete Objek­te zu suchen und ver­traglich zu binden. Eine Auss­chrei­bung war dafür übri­gens nicht erforder­lich, da es sich um eine unmit­tel­bar zu lösende Krisen­si­t­u­a­tion han­delte. In Schw­erin sprach man dabei offen­bar auch mit dem ehe­ma­li­gen Land­tagsmit­glied Jörg Hey­dorn. Nach SVZ-Infor­ma­tio­nen auf dessen Ange­bot hin. Dieser betreibt, wie nicht zulet­zt aus dur­chaus hin­ter­frag­baren Entwick­lun­gen der let­zten Flüchtlingskrise ab 2015 bekan­nt ist, in der Lan­deshaupt­stadt ein Unternehmen, das u.a. entsprechende Objek­te ver­fügt.

 

Erneut Zahlungen für leerstehendes Objekt – Erneut an die compact GmbH

So kam es also zu einem entsprechen­den Ver­trag über ein Objekt in der Werk­straße, der allerd­ings offen­bar bis Jahre­sende ohne jede Kündi­gungsmöglichkeit geschlossen wurde. Hier muss sich nun die Frage stellen, ob das Land nicht aus den Fehlern der ver­gan­gene Flüchtlingskrise gel­ernt hat. Denn schon damals gab es einen Ver­trag mit Hey­dorns Unternehmen über ein Objekt in Schw­erin, das let­ztlich auf­grund zurück­ge­hen­der Flüchtlingszahlen über Monate leer stand. 125.000 Euro über­wies das Land damals etwa ein halbes Jahr lang jeden Monate für eine leer­ste­hende Immo­bilie, da man nicht aus dem mit Hey­dorn, der damals übri­gens noch als Sozial­ex­perte der SPD-Frak­tion im Land­tag saß, geschlosse­nen Ver­trag her­aus kam.

 

Innen­min­is­teri­um lehnt gewählte Sozialdez­er­nentin in Schw­erin ab

 

Idee des Landes: Stadt soll Vertrag übernehmen

Nun sollte man meinen, der damals laute, öffentliche Auf­schrei über mehr als eine dreivier­tel Mil­lion Euro Steuergelder für eine nicht genutzte Notun­terkun­ft sei der auch damals SPD-geführten Lan­desregierung eine Lehre gewe­sen. So ganz scheint das allerd­ings nicht der Fall zu sein, denn auch jet­zt ste­ht die vom Land gemietete Unterkun­ft wieder leer. Nun aber dreht es sich „nur” um 25.000 Euro monatlich, die für die 30 ungenutzten Plätze anfall­en. Bis 31. August 2022. Also 100.000 Euro für vier Leer­standsmonate.

Allerd­ings muss man zur Ehren­ret­tung des Lan­des auch sagen, dass man sich dort offen­bar eine Lösung über­legt hat: Da die Lan­deshaupt­stadt Schw­erin derzeit ein Prob­lem mit der Unter­bringung der vie­len ukrainis­chen Schutzs­suchen­den hat – es sind übri­gens deut­lich mehr, als Schw­erin nach dem Aufteilungss­chlüs­sel eigentlich aufnehmen müsste – will das Land, so die SVZ, den Ver­trag an die Stadt weit­ergeben. So kön­nten Kriegs­flüchtlinge, die beispiel­sweise derzeit in der Notun­terkun­ft in der Brahmsstraße untergekom­men sind und dort an sich nur max­i­mal 72 Stun­den bleiben dür­fen, in dem Gebäude der com­pact GmbH unterkom­men.

 

Neuer Vertrag, neue Konditionen – Hauptausschuss lehnt Vorlage ab

Ein Ange­bot, dass der Stadt offen­bar zusagte, denn im nichtöf­fentlichen Teil der let­zten Haup­tauss­chuss-Sitzung am Dien­stag ver­gan­gener Woche stand bere­its ein Eilantrag auf der Tage­sor­d­nung. Der Hin­ter­grund: Die Stadt hat ein Unter­bringung­sprob­lem, für das sie selb­st eher nicht ver­ant­wortlich ist. Denn in Schw­erin befind­en sich aktuell über­durch­schnit­tlich viele Kriegs­flüchtlinge – mehr, als die Stadt nach den gel­tenden Schlüs­seln eigentlich aufnehmen müsste.

„Schw­erin leis­tet bei der Auf­nahme von Geflüchteten Außeror­dentlich­es. Allein 1.300 ukrainis­che Kriegs­flüchtlinge sind in pri­vat organ­isierten Unterkün­ften untergekom­men. Im Ver­hält­nis zur Ein­wohn­erzahl wur­den mit ins­ge­samt 2263 Men­schen über­pro­por­tion­al viele Ukrainer­in­nen und Ukrain­er aufgenom­men. Knapp 300 Geflüchtete befind­en sich aber noch immer in der Notun­terkun­ft. Deshalb besitzt die Weit­er­ver­mit­tlun­gen in dezen­trale Woh­nun­gen oder zumin­d­est in bess­er aus­ges­tat­tete Gemein­schaft­sun­terkün­fte hohe Pri­or­ität”, so Stadt­sprecherin Michaela Chris­ten.

Die Haup­tauss­chuss-Mit­glieder soll­ten also  einem entsprechen­den Ver­trag zwis­chen der Stadt und der com­pact GmbH von Jörg Hey­dorn zus­tim­men, der bere­its am Fol­ge­tag gel­ten sollte. Am Dien­stagabend sollte dem­nach ein Ver­trag mit einem Vol­u­men von über ein­er hal­ben Mil­lion Euro beschlossen wer­den, der schon Stun­den später in Kraft treten sollte.

 

Essen­spreise in Kitas und Schulen vor deut­lichem Anstieg – Hier passiert sozial etwas!

 

Stadt soll 1.200 Euro je Schutzsuchendem im Monat zahlen

Dabei han­delte es sich nun allerd­ings nicht um eine reine Ver­tragsüber­nahme vom Land, wie s bis­lang klang. Son­dern es war ein neuer Ver­trag auf dem Tisch. Nun zur Unter­bringung von 67 Flüchtlin­gen in 27 teil­weise bar­ri­erear­men (also nicht bar­ri­ere­freien), aus­ges­tat­teten Zim­mern. Unter­bringung, Betrieb, Betreu­ung und Verpfle­gung inklu­sive. Da unser­er Redak­tion der Ver­trag zwis­chen dem Land und der com­pact GmbH nicht vor­lag, lässt sich über die darin vere­in­barten Leis­tun­gen nur spekulieren. Allerd­ings kann man davon aus­ge­hen, dass sie nicht sehr viel geringer waren. Denn auch dort galt es, die Men­schen unterzubrin­gen, zu verpfle­gen und den Betrieb des ganzen Objek­tes zu gewährleis­ten.

Die Stadt soll nun, so die Ver­wal­tungsvor­lage im Haup­tauss­chuss, für eben diese 67 Per­so­n­en in einem bis 31. Dezem­ber 2022 unkünd­baren Ver­trag ins­ge­samt 602.800 Euro zahlen. Das wären bei knapp 7,5 Monat­en Ver­tragslaufzeit ca. 80.300 Euro monatlich. Weit­er run­terg­erech­net entspricht dies etwa 1.200 Euro pro unterge­brachter Per­son. Das Land zahlte bis­lang etwa 835 Euro je Per­son.

 

Land hat Kostenübernahme zugesichert – Dennoch Widerstand im Hauptausschuss

Nun hätte den Haup­tauss­chuss­mit­gliedern all das Zahlen­spiel hin­sichtlich des ein­sti­gen Büro­ge­bäudes, in dem nun u.a. Dop­pel­stock­bet­ten in den Zim­mern ste­hen sollen, egal sein kön­nen. Denn das Land hat eine Über­nahme der Kosten zugesichert. Dem allerd­ings war nicht so. Offen­bar woll­ten nicht alle Haup­tauss­chuss-Mit­glieder Steuergelder aus­geben, die man eventuell sparen kön­nte. Auch wenn sie vom Land kom­men. So regte sich, wie unsere Redak­tion erfuhr, doch schnell deut­lich­er Wider­stand. Dabei standen u.a. die Fra­gen im Raum, weshalb man keine monatliche Kündi­gung von Anfang an vere­in­bart habe, son­dern sich unkünd­bar bis zum 31. Dezem­ber binden will. Und auch, weshalb es bei den Kosten beispiel­sweise keine Betreu­ung für trau­ma­tisierte Flüchtlinge gäbe.

 

Jörg Hey­dorn | Foto: SPD Frak­tion MV

Offenbar keine professionelle Betreuung für traumatisierte Personen

Dies wird vor dem Hin­ter­grund eines Teils der Begrün­dung des Ver­trages beson­ders brisant. Da schreibt die Ver­wal­tung näm­lich: „Wir haben es bei den ukrainis­chen Flüchtlin­gen, neben physisch eingeschränk­ten Per­so­n­en, auch immer wieder mit Men­schen zu tun, die durch die Kriegs­geschehnisse in der Heimat psy­chisch in Mitlei­den­schaft gezo­gen wur­den. Diese Per­so­n­en kön­nen nicht in dezen­tralen Wohn­raum ver­mit­telt wer­den, da sie eine inten­si­vere Betreu­ung benöti­gen als andere Flüchtlinge.”

Auch an ander­er Stelle spricht die Stadt nochmals von „beson­ders belasteten Flüchtlin­gen”, die in dem Objekt eine Unterkun­ft find­en sollen. Zwar heißt es dann weit­er, Ansprech­part­ner vor Ort reicht­en in diesen Fällen oft­mals aus. Damit ließe sich das Fehlen entsprechen­der Profis erk­lären. Wer allerd­ings die Sit­u­a­tion trau­ma­tisiert­er Men­schen aus Kriegs­ge­bi­eten weiß, dem ist auch klar, dass es hier pro­fes­sioneller Unter­stützung bedarf, die offen­bar, so Infor­ma­tio­nen aus dem Haup­tauss­chuss, nicht Teil des Ver­trages wer­den solle.

Zudem erschienen eini­gen Mit­gliedern des Haup­tauss­chuss­es offen­bar die 1.200 Euro monatlich anfal­l­ende Kosten je Per­son nicht klar nachvol­lziehbar und let­ztlich sehr hoch. Höher als bis­lang die Kosten des Lan­des.

 

Verwaltung sollte nachverhandeln – Vorlage am Dienstag erneut auf Tagesordnung

Wie zu hören war, kam es zu ein­er deut­lich mehr als eine Stunde dauern­den Diskus­sion, in deren Ergeb­nis die von der Ver­wal­tung des Ober­bürg­er­meis­ters Rico Baden­schi­er (SPD) einge­brachte, vom Sozialdez­er­nat unter Dez­er­nent Andreas Ruhl (SPD) erstellte Vor­lage mit deut­lich­er Mehrheit abgelehnt wurde. Die klare Auf­gabe an die Ver­wal­tung lautete nachzu­ver­han­deln. Wie unsere Redak­tion zulet­zt erfuhr, ste­ht das The­ma am kom­menden Dien­stag (31. Mai 22) erneut im nicht-öffentlichen Teil auf der Tage­sor­d­nung.

Und offen­bar soll die Vor­lage auch Änderun­gen enthal­ten. Unter anderem ist von ein­er früheren Kündi­gungsmöglichkeit bere­its Ende August die Rede. Ob die Haup­tauss­chuss­mit­glieder nun anhand der geän­derten Kon­di­tio­nen der Ver­wal­tung fol­gen, wird sich Dien­stagabend zeigen.

 

  • Stephan Haring

    Stephan Har­ing ist freier Mitar­beit­er unser­er dig­i­tal­en Tageszeitung. Er hat ein Bach­e­lor-Studi­um der Kom­mu­nika­tion­swis­senschaften an der Uni­ver­sität Erfurt mit den Neben­fäch­ern Sozial­wis­senschaften & Poli­tik absolviert. Im Nach­hinein arbeit­ete er in lei­t­en­den Funk­tio­nen der Presse- & Öffentlichkeit­sar­beit, im Leitungs­bere­ich eines Unternehmens sowie als Rek­tor ein­er pri­vat geführten Hochschule. Zudem entwick­elte, organ­isierte und real­isierte er mit der durch ihn entwick­el­ten LOOK ein Fash­ion­event in Schw­erin. Heute arbeit­et er freiberu­flich als Tex­ter, Press­esprech­er und Tex­tko­r­rek­tor sowie als Berater in ver­schiede­nen Pro­jek­ten. In einem Schw­er­iner Orts­beirat ist er zudem ehre­namtlich als Vor­sitzen­der kom­mu­nalpoli­tisch aktiv.

    Alle Beiträge anse­hen