Fast ein Jahr Welterbe:
Welterbe-Titel als Wirtschaftsfaktor? Schwerin zieht erste Bilanz
Ein Jahr nach der Ernennung zum UNESCO-Welterbe zieht Schwerin Bilanz: Der Titel bringt Aufmerksamkeit und Potenzial – doch wirtschaftliche Effekte zeigen sich bislang nur punktuell.

Seit dem 27. Juli trägt das Residenzensemble Schwerin offiziell den Titel UNESCO-Weltkulturerbe. Die Auszeichnung gilt als kulturelle Adelung und als Chance, international stärker wahrgenommen zu werden. Doch was hat sich seitdem in der Landeshauptstadt Mecklenburg-Vorpommerns tatsächlich verändert? Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN/Die PARTEI wollte es genau wissen und stellte dem Oberbürgermeister Rico Badenschier (SPD) eine umfassende Anfrage zu den wirtschaftlichen Auswirkungen des Welterbetitels. Die Antworten zeigen: Der Titel entfaltet Wirkung – aber er ersetzt keine aktive Tourismusstrategie.
Tourismus im Aufwind – aber nicht allein durch UNESCO-Titel
Die touristischen Kennzahlen für das Jahr 2024 zeigen eine positive Entwicklung: Laut Statistischem Landesamt stiegen die Ankünfte in Schwerin um 17,8 Prozent, die Übernachtungen sogar um 19,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Der Anteil ausländischer Gäste wuchs leicht auf 7,5 Prozent. Besonders das Schlossmuseum – Herzstück des Residenzensembles – verzeichnete ein deutliches Plus: Von 205.760 Besuchern im Jahr 2023 kletterte die Zahl 2024 auf 241.832. Auch bei Stadtführungen war ein Zuwachs sichtbar – hier stiegen die Teilnehmerzahlen um über 34 Prozent.
Die Verwaltung verweist jedoch darauf, dass diese Entwicklung nicht ausschließlich auf den Welterbestatus zurückzuführen sei. Großereignisse wie die Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit oder die Wiedereröffnung des ehemaligen NH-Hotels (heute Courtyard by Marriott) hätten ebenfalls maßgeblich zur Besuchersteigerung beigetragen.
Martina Müller, Geschäftsführerin des Stadtmarketings, teilt diese Einschätzung: „Der UNESCO-Titel ist kein Sofort-Turbo, sondern eine langfristige Chance. Er schafft Aufmerksamkeit und Interesse – aber er muss auch mit Inhalten gefüllt werden.“
Wirtschaftlicher Nutzen: Schwer messbar, aber vorhanden
Die Stadtverwaltung verweist darauf, dass das UNESCO-Programm primär dem Schutz des Kulturerbes dient – nicht wirtschaftlichen Zielen. Dennoch zeigen Berechnungen, dass Tagesgäste im Schnitt rund 37,70 Euro und Übernachtungsgäste bis zu 160,90 Euro pro Tag in Schwerin ausgeben. Angesichts der gestiegenen Gästezahlen lässt sich somit durchaus eine erhöhte Wertschöpfung im Gastgewerbe, im Einzelhandel und im Dienstleistungssektor feststellen, so die Stadtverwaltung.
Allerdings bleiben die Effekte uneinheitlich. Während einige Gastronomiebetriebe und touristische Anbieter von mehr internationalen Gästen berichten, stellt die Mehrheit laut Stichproben keine signifikante Veränderung fest. Zudem macht sich ein neuer Trend bemerkbar: Reisegruppen verweilen kürzer in der Stadt, konsumieren weniger, und viele Menschen zeigen sich aufgrund der allgemeinen Teuerung preissensibel.
Hotelerie und Gastronomie spürt nichts
Das bestätigt auch Matthias Theiner, der Vorsitzende des Dehoga-Regionalverbands Schwerin auf Anfrage der Redaktion. Es gebe gefühlt mehr Tagesgäste, die Gastronomie und die Hotelerie in Schwerin spüre von einem Aufschwung durch den Welterbetitel allerdings nichts. „Das erste Quartal diesen Jahres ist schlechter gelaufen als in den Vorjahren”, so Theiner. Das zweite Quartal könne man im Vergleich zu den Quartalen der Vorjahre als „normales Quartal” bezeichnen. Auch mache sich bemerkbar dass die Gäste in den letzten Jahren auch beim Essen sparen, so der Dehoga-Regionalchef.
„Wir beobachten ein verändertes Konsumverhalten“, erklärt Stadtmarketing-Chefin Müller. „Der Titel erzeugt zwar Neugier, aber daraus allein entsteht noch keine stabile touristische Wertschöpfung.“
Zukünftig stärker strategisch nutzen
Für die Koordination und Pflege des Welterbetitels wurde eine eigene Stabsstelle eingerichtet, die mit 1,25 Personalstellen ausgestattet ist. Die Stadt hat seit der Anerkennung etwa 16.500 Euro für Sachkosten ausgegeben, unter anderem für den Beitritt zum Verein UNESCO-Welterbestätten Deutschland e.V. sowie Öffentlichkeitsarbeit. Weitere 30.000 Euro sind für eine zweisprachige Flyergestaltung und eine Sichtfeldstudie geplant – finanziert durch Fördermittel. Die geplante Neugestaltung der Website wurde aufgrund vorläufiger Haushaltsführung verschoben.
Die Kosten für Pflege und Instandhaltung der Denkmäler tragen weiterhin die Eigentümer. In dieser Hinsicht hat sich durch den Titel bislang wenig verändert.
Schwerin will den UNESCO-Titel künftig stärker strategisch nutzen. Geplant ist die Entwicklung eines umfassenden Freizeit- und Tourismuskonzepts, das nicht nur die vorhandenen Potenziale bündelt, sondern auch konkrete Maßnahmen zur nachhaltigen Tourismusentwicklung vorschlägt. Ziel ist es, Schwerin als attraktives Reiseziel mit hoher Lebensqualität zu positionieren und die touristische Wertschöpfung dauerhaft zu erhöhen.
Die Stadt ist zudem aktiv in Netzwerken wie dem UNESCO-Welterbestätten Deutschland e.V. und tauscht sich mit Städten wie Wismar, Stralsund oder Erfurt aus. Doch wie der Oberbürgermeister betont: „Die Erfahrungen lassen sich aufgrund unterschiedlicher Rahmenbedingungen nur begrenzt übertragen.“
Große Chance – aber kein Selbstläufer
Ein Jahr nach der Anerkennung wird deutlich: Der UNESCO-Welterbestatus ist eine wertvolle Auszeichnung, aber keine automatische Wachstumsmaschine. Er bietet die Chance, das Stadtimage zu stärken, internationale Sichtbarkeit zu erhöhen und langfristig auch wirtschaftlich zu profitieren. Doch ohne flankierende Maßnahmen – etwa durch gezielte Vermarktung, Investitionen in Infrastruktur und Angebote – bleibt das Potenzial begrenzt.
„Es liegt an uns allen, aus dem Titel ein stimmiges Erlebnis zu machen“, sagt Martina Müller. Die ersten Schritte sind getan – nun geht es darum, daraus eine nachhaltige Erfolgsgeschichte zu entwickeln.