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Die Zukunft der Verhandlung:
Wird KI menschliche Verhandlungsführer ersetzen?

Mit der zunehmenden Komplexität von Robotik und KI fragt sich John Clements, ob Verhandlungen mit einer Maschine häufiger werden als mit einem menschlichen Verhandler.

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  • Veröffentlicht Januar 24, 2025
Foto von Alexandre Debiève auf Unsplash
Foto von Alexan­dre Debiève auf Unsplash

 

Let­zten Monat bat mich ein Kunde um Unter­stützung bei ein­er Ver­hand­lung in seinem Namen. Dies war an sich nicht ungewöhn­lich; Beratungsar­beit umfasst häu­fig Ver­hand­lun­gen durch Stel­lvertreter. Die Auf­gabe bestand darin, die kom­merziellen Aspek­te eines Ver­trags im Büro des Kon­tra­hen­ten des Kun­den zu ver­han­deln. Bei mein­er Ankun­ft führte mich der Vertreter des Kun­den in einen Besprechungsraum, bat mich, an einem Com­put­er Platz zu nehmen und den Anweisun­gen auf dem Bild­schirm zu fol­gen. Es stellte sich bald her­aus, dass die Ver­hand­lung gegen einen Com­put­er stat­tfind­en würde. Angesichts der üblichen let­zten-Minuten-Änderun­gen in Ver­hand­lun­gen – eine gängige Tak­tik – war dies etwas völ­lig Neues. Nach­dem ich allein im Raum gelassen wurde, präsen­tierte der Com­put­er einen Vorschlag und forderte eine Antwort. Mit einem Bild von HAL aus „2001: Odyssee im Wel­traum“ im Kopf, begann das Herz schneller zu schla­gen. Nun stand eine Per­son einem Com­put­er gegenüber.

 

Automatisierte Verhandlungen in der Praxis

Facebook

2017 berichtete Wired, dass die Face­book Arti­fi­cial Intel­li­gence Research (FAIR)-Gruppe in Zusam­me­nar­beit mit der Geor­gia Insti­tute of Tech­nol­o­gy ein Exper­i­ment durch­führte, bei dem zwei Bots ler­nen soll­ten, miteinan­der zu ver­han­deln, indem sie eine Ver­hand­lung Auf­gabe präsen­tierten. Sie erhiel­ten dieselbe Anzahl von Objek­ten, waren jedoch darauf pro­gram­miert, unter­schiedliche Dinge zu wollen. Ein Papi­er, das von FAIR veröf­fentlicht wurde, zeigte, dass die ver­han­del­nden Bots lern­ten zu lügen. Sie fan­den eine Strate­gie, bei der sie schein­bar Inter­esse an ein­er wert­losen Sache zeigten, um später „Kom­pro­misse” einzuge­hen, indem sie diese zugaben. FAIR unter­sucht derzeit, ob dieses Exper­i­ment auf andere Sit­u­a­tio­nen aus­geweit­et wer­den kann.

 

Amazon

Laut Bloomberg wur­den mehrere Ama­zon-Man­ag­er mit sechsstel­li­gen Gehäl­tern im April 2018 auf­grund der Entschei­dung des Unternehmens, sie durch kün­stliche Intel­li­genz zu erset­zen, beurlaubt oder ver­ließen das Unternehmen. Dieser Prozess begann vor eini­gen Jahren unter der Ini­tia­tive „Hands off the wheel“. Algo­rith­men über­nah­men müh­same Auf­gaben wie die Nach­frage­prog­nose, Bestel­lungsver­wal­tung und Preisver­hand­lun­gen. Die Maschi­nen (durch die Algo­rith­men) lern­ten Muster und wur­den zunehmend präzis­er. Schließlich mussten Men­schen jede Sys­temüber­s­teuerung recht­fer­ti­gen, und schließlich wur­den sie über­flüs­sig. Ama­zon hat seit­dem eine neue Art des Geschäfts entwick­elt, bei der „Ver­mit­tler“ ent­fer­nt wur­den und das Risiko von Bestand­skäufen ver­ringert wurde. Men­schen waren nicht mehr erforder­lich, um für Unternehmen zu ver­han­deln, die auf Ama­zon kom­men woll­ten, da die meis­ten großen Marken dort vertreten sein woll­ten, wo die meis­ten Käufer sind.

 

Uber

Ein Artikel von Procu­ri­ous, einem Online-Busi­ness-Net­zw­erk für Beschaf­fung und Liefer­ket­ten­profis, wies darauf hin, dass der Algo­rith­mus von Uber für die Spitzen­preis­berech­nung ein beson­ders effek­tiv­er automa­tisiert­er Ver­hand­lungs­führer ist. Der Algo­rith­mus ver­ste­ht die Gegen­partei und deren Moti­va­tio­nen, zum Beispiel, dass Pas­sagiere eher buchen, wenn ihr Smart­phone-Akku niedrig ist. Er ist unemo­tion­al und erfüllt die Auf­gabe, die für alle Ver­han­dler wesentlich ist – er erzielt mehr für seine Stake­hold­er. Procu­ri­ous glaubt, dass Automa­tisierung eine größere Rolle in der Ver­hand­lung spie­len wird, wobei Ver­han­dler inno­v­a­tive Anwen­dun­gen der Daten­wis­senschaft find­en, um sie mit Infor­ma­tio­nen auszus­tat­ten, die zu besseren Ergeb­nis­sen führen. Wenn Uber heute auf die Akkus­ta­tu­sanzeige eines Smart­phones zugreifen kann, kön­nten die Risiken der Zukun­ft deut­lich weitre­ichen­der sein.

Das beschriebene Szenario war voll­ständig erfun­den. Aber kön­nte dies die Zukun­ft der Ver­hand­lun­gen sein, oder ist es nur Sci­ence-Fic­tion? Wenn man sich daran erin­nert, wie „Star Trek“ einst die Fernkom­mu­nika­tion über Handgeräte wie Fan­tasie erscheinen ließ, haben wir heute Handys, Face­Time und Alexa. Warum soll­ten diejeni­gen, die an Ver­hand­lun­gen beteiligt sind, nicht auch in Betra­cht ziehen, dass alle Ver­hand­lun­gen irgend­wann von Com­put­ern geführt wer­den? Wenn Ver­hand­lun­gen wie Schach sind und mehrere Züge im Voraus erfordern, warum kön­nten dann nicht auch Com­put­er Ver­hand­lun­gen führen? Schließlich erfand IBM einen Com­put­er (Deep Blue), der einige der besten Schachspiel­er der Welt besiegte.

 

Die geschäftliche Perspektive

The Gap Part­ner­ship führt Ver­hand­lungstrain­ings für einige der größten multi­na­tionalen Unternehmen der Welt sowie für viele kleine bis mit­tel­große Organ­i­sa­tio­nen durch. Diese Schu­lun­gen konzen­tri­eren sich auf das Ver­hal­tenspro­fil der Ver­hand­lun­gen, was derzeit nur den Men­schen zugeschrieben wer­den kann. Dies deutet darauf hin, dass men­schliche Ver­hand­lun­gen nicht so bald enden wer­den. Den­noch unter­suchen große Organ­i­sa­tio­nen und haben in gewis­sem Maße automa­tisierte Ver­hand­lun­gen imple­men­tiert.

Einige große Organ­i­sa­tio­nen haben das Konzept der Automa­tisierung von Ver­hand­lun­gen ernst genom­men und es in eini­gen Fällen mit großem Erfolg umge­set­zt. Tausende ander­er Organ­i­sa­tio­nen führen wahrschein­lich ähn­liche Unter­suchun­gen durch. Zu diesem Zeit­punkt scheint der Erfolg jedoch auf rel­a­tiv unkom­plizierte Ver­hand­lun­gen mit weni­gen Vari­ablen, wie dem Preis, im Geschäfts-zu-Ver­brauch­er-Bere­ich (B2C) beschränkt zu sein, bei denen eine Partei Zugeständ­nisse machen muss.

 

Die akademische Perspektive

In einem auf der Fün­ften Inter­na­tionalen Bien­nale zu Ver­hand­lun­gen vorgestell­ten Papi­er kamen Shaw, Noël und Spicer (2014) zu dem Schluss, dass trotz der Tat­sache, dass automa­tisierte Ver­hand­lung­stech­nolo­gien seit den let­zten fün­fzehn Jahren ver­füg­bar sind, es schwierig war, Infor­ma­tio­nen über namhafte Unternehmen zu find­en, die diese erfol­gre­ich ein­set­zen. Dies kön­nte auch 2019 noch der Fall sein. Darüber hin­aus ist die Wirkung automa­tisiert­er Ver­hand­lun­gen auf reale Geschäft­sprozesse im Busi­ness-to-Busi­ness (B2B)-Bereich weit­ge­hend uner­füllt geblieben.

Zahlre­iche akademis­che Stu­di­en ver­gle­ichen men­schliche Ver­han­dler mit automa­tisierten Ver­hand­lungsagen­ten. Die Ergeb­nisse dieser Stu­di­en sind nicht ein­deutig. Forsch­er ver­glichen men­schliche und automa­tisierte B2B-Ver­hand­lun­gen, wobei der Haup­tun­ter­schied darin bestand, dass Men­schen natür­liche Sprache ver­wen­den und vage oder irrel­e­vante Nachricht­en ein­beziehen, während automa­tisierte Agen­ten maschinelle Sprache ver­wen­den und sich auss­chließlich auf die rel­e­van­ten Vari­ablen konzen­tri­eren. Da die meis­ten B2B-Ver­hand­lun­gen mehrere Vari­ablen bein­hal­ten und bei­de Seit­en Über­legun­gen zu Zugeständ­nis­sen anstellen müssen, ist es nicht über­raschend, dass automa­tisierte Ver­hand­lun­gen noch nicht weit ver­bre­it­et in Unternehmen einge­set­zt wer­den.

 

Das Ende der menschlichen Verhandler?

Um die Frage zu wieder­holen, die zu Beginn gestellt wurde: Wer­den men­schliche Ver­han­dler ein Ende find­en? Effek­tive men­schliche Ver­han­dler zeigen zehn Eigen­schaften, die derzeit nur Men­schen zuge­ord­net wer­den kön­nen. Diese Eigen­schaften sind Mut, Selb­st­diszi­plin, Aus­dauer, Durch­set­zungsver­mö­gen, Instinkt, Vor­sicht, Neugi­er, numerisches Denken, Kreativ­ität und Demut. Während Com­put­er kom­plexe Berech­nun­gen durch­führen kön­nen, sind sie nicht in der Lage, Entschei­dun­gen basierend auf „Was-wäre-wenn“-Szenarien zu tre­f­fen und Intu­ition zu nutzen, um opti­male Chan­cen zu erken­nen.

Akademis­che Forschung unter­stützt dieses Konzept. Erik Bryn­jolf­s­son und Andrew McAfee vom Mass­a­chu­setts Insti­tute of Tech­nol­o­gy (MIT) stell­ten fest, dass die Befürch­tun­gen, dass alle Auf­gaben oder Jobs von Robot­ern über­nom­men wer­den, wahrschein­lich nur zur Hälfte wahr sind. Das MIT kommt zu dem Schluss, dass Men­schen weit­er­hin in kreativ­en Bere­ichen, sozialen Inter­ak­tio­nen und physis­ch­er Geschick­lichkeit und Mobil­ität bess­er abschnei­den. In sozialen Inter­ak­tio­nen, bei denen Ver­hand­lun­gen stat­tfind­en, besitzen Robot­er nicht die emo­tionale Intel­li­genz, die Men­schen haben, und motivierte Men­schen, die sen­si­bel auf die Bedürfnisse ander­er reagieren, sind großar­tige Ver­han­dler.

Während die Entwick­lung von kün­stlich­er Intel­li­genz und maschinellem Ler­nen es automa­tisierten Ver­hand­lungsagen­ten möglicher­weise irgend­wann ermöglichen wird, einige Eigen­schaften men­schlich­er Ver­han­dler zu erwer­ben, ist eine weitver­bre­it­ete Ein­führung in großen Unternehmen wahrschein­lich noch weit ent­fer­nt. Inwieweit automa­tisierte Ver­hand­lun­gen in kom­plexere Szenar­ien expandieren wer­den, hängt von zukün­fti­gen Entwick­lun­gen in der KI, im maschinellen Ler­nen und im Deep Learn­ing ab. So wie Sci­ence-Fic­tion einst Tech­nolo­gien vorher­sagte, die wir heute als selb­stver­ständlich eracht­en, kön­nten die näch­sten fün­fzig Jahre über­raschende Fortschritte im Bere­ich der Ver­hand­lung brin­gen. Für den Moment bleibt der men­schliche Ein­fluss jedoch in vie­len Ver­hand­lungsszenar­ien uner­set­zlich.

 

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