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Interview mit Daniel Trepsdorf: Die Sicherheitslage in Schwerin im Fokus

Daniel Treps­dorf  betont, dass Armut, Arbeit­slosigkeit und Dro­gen­ab­hängigkeit die Ursachen für Krim­i­nal­ität und Demokratiever­drossen­heit sind. Er schlägt langfristige Maß­nah­men wie Präven­tion und Stadt­pla­nung vor, ein­schließlich der Unter­stützung von Vere­inen, dem

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  • Veröffentlicht April 5, 2023

Daniel Treps­dorf  betont, dass Armut, Arbeit­slosigkeit und Dro­gen­ab­hängigkeit die Ursachen für Krim­i­nal­ität und Demokratiever­drossen­heit sind. Er schlägt langfristige Maß­nah­men wie Präven­tion und Stadt­pla­nung vor, ein­schließlich der Unter­stützung von Vere­inen, dem Ein­satz von Sozialpäd­a­gogen und der Finanzierung von Tre­ff­punk­ten und Stadt­teilzen­tren.

Daniel Trepsdorf | Foto: S. Warsakis
Daniel Treps­dorf, Ober­bürg­er­meis­terkan­di­dat der Linken Schw­erin Foto: S. Warsakis

 

Wie beurteilen Sie die derzeit­ige Sicher­heit­slage in Schw­erin?

Solche Über­griffe sind immer schlimm, beson­ders für das Opfer, dem ich gute Besserung wün­sche, und eben­falls für die Ange­höri­gen. Indes sollte uns dieser Über­griff nicht dazu ver­leit­en, die Lan­deshaupt­stadt sowie deren poli­tis­che und admin­is­tra­tive Ver­ant­wor­tungsträger in Bausch und Bogen zu ver­dammen.

Aus mein­er Arbeit in der Stadtvertre­tung weiß ich, dass in der Stadtver­wal­tung viele Men­schen mit hohem per­sön­lichen Ein­satz alles tun, um diese Stadt jeden Tag ein Stück voranzubrin­gen.

Die kür­zliche Veröf­fentlichung der Krim­i­nal­itätssta­tis­tik zeigt, dass wir hier ein großes Hand­lungs­feld haben. Man muss allerd­ings auch berück­sichti­gen, dass in Schw­erin jede Schwarz­fahrt beim Nahverkehr zur Anzeige gebracht wird. Woan­ders gibt es das nicht. Natür­lich spiegelt sich das auch in ein­er solchen Sta­tis­tik wider.

Nichts­destoweniger führt Schw­erin die Krim­i­nal­itätssta­tis­tik an, wenn auch auf – im bun­desweit­en Ver­gle­ich – ver­hält­nis­mäßig über­schaubarem Niveau.

Sicher­heit ist ein Gefühl und keine Sta­tis­tik. Daher sollte man sich immer bewusst machen, dass solche Tat­en nicht zum All­t­ag gehören. Obwohl auch ich über­rascht, wie die Bru­tal­ität bei solchen Über­grif­f­en zunimmt. Ein Mess­er war früher die große Aus­nahme, heute scheint es zum All­t­ag fast dazuzuge­hören. Trotz­dem denke ich, dass solcher­lei Über­griffe nicht den Kern des Lebens in unser­er Stadt aus­machen. Die Frage ist, wie wir diese Sit­u­a­tion verän­dern kön­nen.

 

Welche Maß­nah­men müsste die Stadt Schw­erin aus ihrer Sicht pla­nen, um die Krim­i­nal­ität­srate in der Stadt zu reduzieren?

Erst ein­mal ist das The­ma vielschichtig. Wir kön­nen nicht auf diesen Fakt schauen, ohne andere Dinge zu berück­sichti­gen. Armut, Arbeits- und Per­spek­tivlosigkeit, Dro­gen- und Abhängigkeit­serkrankun­gen – all das ist Nährbo­den für Krim­i­nal­ität und Demokratiever­drossen­heit.  In Schw­erin lebt mehr als jedes vierte Kind in Armut und unsere Stadt hat in Ost­deutsch­land lei­der die höch­ste Suchtkranken­quote. Das ist der Punkt, an dem wir anset­zen müssen.

Diese Ver­hält­nisse sind nach der Wende gewach­sen und Poli­tik und Ver­wal­tung haben viel zu lange weggeschaut. In der Stadt wurde geduldet, dass es Stadt­teile gibt, in denen unver­hält­nis­mäßig viele Men­schen mit finanziellen und sozialen Prob­lem­la­gen leben. Das nen­nt man Seg­re­ga­tion und das ist ver­heerend für eine Stadt. Dies hat man in Schw­erin viel zu spät erkan­nt und aus­ge­sprochen.

Darum muss der neue OB all‘ seine Energie darauf richt­en, diese Zustände abzustellen. Aber seien wir real­is­tisch, dies ist keine Auf­gabe, die kurzfristig lös­bar ist. Ein solch­er Prozess braucht lange Zeit. Die in Jahrzehn­ten ent­standene Seg­re­ga­tion kön­nen wir nicht in zwei oder drei Jahren abschaf­fen.

 

Präven­tion und eine Stadt­pla­nung, die die soziale Ent­mis­chung der Stadt­teile befördert sind langfristige Auf­gaben. Allerd­ings müssen wir heute Geld dafür in die Hand nehmen.

  • Inner­halb der Ver­wal­tung müssen wir das Per­son­al z.B. im Jugend­bere­ich vorhal­ten und die Vere­ine so unter­stützen, dass sie den Her­aus­forderun­gen gerecht wer­den kön­nen.
  • Neben Straßen­ju­gend­sozialar­beit benöti­gen wir aber auch Sozialpäd­a­gogen, die erwach­sene Men­schen, jen­seits des Jugen­dal­ters begleit­en und zurück in die Gesellschaft holen kön­nen.
  • Wir brauchen endlich gut aus­fi­nanzierte soziale Tre­ff­punk­te und Stadt­teilzen­tren vor Ort.
  • Wir müssen auch bere­it sein, in die Gebäude zu finanzieren. Der OST 63 ist seit sein­er Grün­dung ein pro­vi­sorisch gebauter Jugendtr­e­ff. Im Jugend­haus am Platz der Frei­heit oder dem Wüsten­schiff gibt es seit Jahren einen Sanierungsstau.

Ich werde mich mit den Trägern der Jugend­hil­fe an einem run­den Tisch zum The­ma „ver­lässliche Per­spek­tiv­en der Jugen­dar­beit in Schw­erin“ zusam­menset­zen. Der kom­mu­nale Rat für Krim­i­nal­ität­spräven­tion soll ger­ade wieder belebt wer­den. Es wird auch endlich Zeit. Wir müssen die gute Ausstat­tung der Schulen mit Schul­sozialar­beit erhal­ten und auch hier den Schw­er­punkt stärk­er auf Krim­i­nal­ität­spräven­tion aus­richt­en.

Ich werde, sollte ich zum OB gewählt wer­den, das The­ma Sicher­heit und Ord­nung mit dem Land und dem Innen­min­is­teri­um neu und mit Pri­or­ität erörtern. Wir benöti­gen in der Tat auch eine stärkere Präsenz von

Polizeibeamt:innen auf unseren Straßen und Plätzen. Sie sind Ansprechpartner:innen für die Men­schen. Ihre Präsenz wirkt präven­tiv und gle­ichzeit­ig steigt das sub­jek­tive Sicher­heit­sempfind­en der Men­schen.

 

Bei der Messer­at­tacke von Don­ner­stag ist der ver­mut­liche Täter ein 16-jähriger Jugendlich­er gewe­sen. Das ein junger Men­sch in Tötungsab­sicht auf einen anderen Men­schen ein­sticht, hat erschreckt. Wie soll­ten ihrer Mei­n­ung nach junge Men­schen in Schw­erin vor Krim­i­nal­ität und Radikalisierung geschützt wer­den? Welche Ange­bote müsste es geben (oder unter­stützen sie aus­drück­lich, weil es diese schon gibt), um sie von straf­baren Hand­lun­gen abzuhal­ten?

Eben habe ich die Rah­menbe­din­gun­gen für eine bessere präven­tive Arbeit benan­nt. Mir ist klar, dass das Geld kostet. Jed­er hier ges­parte Euro wird aber dazu führen, dass sich die Sit­u­a­tion weit­er ver­schlechtert. Dazu kommt: Jeden Tag den wir warten, wer­den wir dop­pelt und dreifach bezahlen. Seit Jahren arbeite ich im Bere­ich Beratung und Gewalt­präven­tion in Meck­len­burg-Vor­pom­mern. Aus mein­er beru­flichen Erfahrung halte ich in Schw­erin konkret auch fol­gende Punk­te für wichtig:

 

  • Stadt­teilkon­feren­zen, die es teil­weise schon gibt, müssen in ihrer Arbeit befördert wer­den. Sie ver­net­zen die Akteure vor Ort, die Schulen, den Stadt­teil­tr­e­ff, Jugen­dein­rich­tun­gen, hier tätige Vere­ine und Ini­tia­tiv­en.
  • Ini­tia­tiv­en aus dem Sport­bere­ich, wie z.B. von Pierre Con­gard (Aiki­doschule) oder dem SC Trak­tor (Box­en) müssen ver­stetigt wer­den.
  • Die Schaf­fung von öffentlichen Räu­men, die Jugendliche nutzen kön­nen, um sich auszu­tauschen und zu tre­f­fen. Dabei geht es ein­fach um das Recht von Jugendlichen, das wir umzuset­zen haben.
  • Eltern und Erziehungs­berechtigte müssen in die Präven­tion­sar­beit ein­be­zo­gen wer­den.
  • Wichtig ist der Aus­bau der Straßen­ju­gend­sozialar­beit, um die direk­te Ansprache von Jugendlichen zu ermöglichen und so Risikosi­t­u­a­tio­nen zu minimieren.Die Jugend­beteili­gung und Mitbes­tim­mungsmöglichkeit­en in kom­mu­nalen Entschei­dung­sprozessen müssen gestärkt wer­den.
  • Die Öffentlichkeit muss für das The­ma Gewalt­präven­tion bei Jugendlichen stärk­er sen­si­bil­isiert wer­den.
  • In Schulen muss die Stärkung der sozialen Kom­pen­ten­zen in den Vorder­grund rück­en. Dazu gehört auch die Ver­mit­tlung von Konfliktlösungsstrategien.Zum Schluss hätte ich auch noch Ideen zur Durch­führung von Präven­tion­skam­pag­nen und Pro­jek­ten zum The­ma „Gewalt und Aggres­sion“.

 

Welche Unter­stützung wün­scht­en Sie sich von Land und Bund, um die Krim­i­nal­itäts­bekämp­fung zu verbessern und welche langfristi­gen Strate­gien müsste es aus Ihrer Sicht geben?

Poli­tik in Stadt, Land oder Bund muss sich bewusst sein: Diese Jugend ist unsere Zukun­ft. Gle­ichzeit­ig ist die Jugend so wie sie ist, weil wir als Erwach­se­nen­gener­a­tion ihre Welt gestal­tet haben. Dies ist der alt­bekan­nte Gen­er­a­tio­nenkon­flikt. Er ist nichts Ungewöhn­lich­es. Allerd­ings hat sich in den let­zten drei Jahrzehn­ten eine wesentliche Änderung ergeben. Früher immer klar war, dass es der jun­gen Gen­er­a­tion bess­er geht als den Alten. Das entspricht dem natür­lichen Bestreben der Eltern. Mit dem ras­an­ten Abbau sozialer Rechte in den let­zten Jahrzehn­ten hat sich dies geän­dert. Dies führt in der Gesellschaft zu ein­er tiefen Verun­sicherung und zum Ver­trauensver­lust in die Poli­tik und Demokratie.

Die Gestal­tung ein­er sozialen Mark­twirtschaft ist Auf­gabe aller Ebe­nen der Poli­tik. Die soziale Kom­po­nente muss in der Poli­tik wieder einen Stel­len­wert erlan­gen. Mil­liar­den wer­den für Bürg­ergeld aus­gegeben und dann erk­lärt, wie wichtig der Sozial­bere­ich ist und wie stark er gefördert wird. Nur ändern diese für die Men­schen notwendi­gen und wichti­gen Mil­liar­den nichts an der Lebenssi­t­u­a­tion der Men­schen. Sie ermöglichen den Men­schen kaum das nack­te Über­leben. Es muss eine echte Sozialpoli­tik her, die den Men­schen einen Wiedere­in­stieg in die Gesellschaft und ein Vor­wärt­skom­men in ihr ermöglichen. Eine solche Sozialpoli­tik wäre für mich eine große Hil­fe. Dieses neue (vor der Wiedervere­ini­gung selb­stver­ständliche) sozialpoli­tis­che Denken würde näm­lich dazu führen, dass wir in der Stadtkasse für all die genan­nten Dinge mehr Geld haben.

Damit kön­nten wir den sozialen Vere­inen und Ver­bän­den und den Men­schen, die dort arbeit­en, langfristige Sicher­heit geben. Investi­tio­nen in Beton und Asphalt allein wer­den das Prob­lem aber nicht lösen.

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