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Trinken vor der OP:
Neues Konzept bei den Helios Kliniken – Fachleute mit geteilter Meinung

Die Helios Kliniken Schwerin testen ein neues Konzept zur verkürzten Nüchternheit vor Operationen, das postoperative Risiken senken und das Wohlbefinden steigern soll. Von Experten wird der Vorstoß unterschiedlich bewertet.

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  • Veröffentlicht September 19, 2024
Dr. Lutz Moikow hat seinen Patienten Johannes Leschien über das Nüchternheitskonzept vor seinem Eingriff aufgeklärt. Die Karte über dem Bett zeigt dies auch fürs Personal deutlich an
Die Karte zeigt: Dr. Lutz Moikow hat Patienten Johannes Leschien zum Nüchternheitskonzept aufgeklärt. Foto: Oliver Borchert

 

Ein innovatives Konzept soll künftig das Wohlbefinden von Patientinnen und Patienten in den Helios Kliniken Schwerin verbessern und gleichzeitig postoperative Komplikationen reduzieren. Ab dem 1. Oktober startet eine Pilotphase, bei der das klassische Nüchternheitsgebot vor Operationen neu interpretiert wird. Ziel ist es, die bisher übliche lange Flüssigkeitsabstinenz vor Eingriffen zu verkürzen und damit gesundheitliche Risiken zu minimieren. Immer wieder kam es in der Vergangenheit, nicht nur bei den Helios-Kliniken, zu Beschwerden von Patienten, die teilweise einen halben Tag nichts zu Trinken bekamen, weil sie auf die OP vorbereitet werden sollen. Dem möchten die Helios-Kliniken nun Abhilfe schaffen.

Dr. Lutz Moikow, kommissarischer Chefarzt der Anästhesie in den Helios Kliniken Schwerin, sagt: „Viele Menschen hören bereits ab Mitternacht auf, Flüssigkeiten zu sich zu nehmen, auch wenn die Operation erst Stunden später stattfindet. Dies kann insbesondere bei älteren Patienten zu Kreislaufproblemen und Dehydration führen.“ Die medizinische Forschung zeigt, dass ein zu langes Nüchternsein vor einem Eingriff das Risiko für Komplikationen, wie etwa Kreislaufbeschwerden oder ein Delirium, sogar erhöht.

Ampelsystem sorgt für Klarheit

Das neue Konzept basiert auf einem Ampelsystem mit sogenannten Nüchternheitskarten. Patientinnen und Patienten werden je nach ihrer gesundheitlichen Vorgeschichte in drei Stufen eingeteilt: Grün, Gelb oder Rot. Wer eine grüne Karte erhält, darf bis kurz vor der Operation klare Flüssigkeiten wie Wasser, Tee oder Kaffee trinken – auf Wunsch auch leicht gesüßt oder mit wenig Milch. Die gelbe Karte sieht für Patienten mit bestimmten Vorerkrankungen individuelle Trinkzeiten und angepasste Nahrungsmittel vor. Nur in Ausnahmefällen wird die rote Karte ausgegeben, die eine strenge Nüchternheit ohne Flüssigkeitsaufnahme erfordert.

Oberärztin Lena Fröhlke hebt die Vorteile des neuen Ansatzes hervor: „Das Trinken bis kurz vor der OP reduziert nicht nur das Risiko von Komplikationen, sondern verbessert auch das Wohlbefinden der Patienten. Sie leiden weniger unter Durst, und der gewohnte Tagesablauf am Morgen wird weniger gestört.“

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Experten haben geteilte Meinung

Die Erlaubnis, klare Flüssigkeiten zu trinken, soll im Rahmen des Aufklärungsgesprächs klar kommuniziert werden, um Missverständnisse bei Patientinnen und Patienten sowie bei Angehörigen und Pflegepersonal zu vermeiden.

Der Vorstoß wird von der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin aufgrund einer noch unzureichenden Datenlage zurückhaltend bewertet. „Generell verweisen wir auf diese Empfehlungen: Für Erwachsene gilt eine Nüchternheitsgrenze von zwei Stunden für klare Flüssigkeiten vor einer Operation, während für Kinder eine Stunde empfohlen wird“, sagte eine Sprecherin auf Anfrage der „Ostsee-Zeitung“ (OZ).

Es gibt aber auch Lob für das Konzept.  Dr. Ursula Marschall, leitende Medizinerin der Barmer-Krankenkasse MV begrüßt das Pilotprojekt. „Gerade Patienten, die am OP-Tag weiter hinten im Plan stehen, profitieren davon, dass sie bis kurz vor dem Eingriff trinken dürfen“, so Marschall.

Vorteile besonders für Risikopatienten

Dank moderner Anästhetika und fortschrittlicher Narkoseverfahren ist es möglich, von den traditionellen Vorgaben abzuweichen, ohne die Sicherheit der Patienten zu gefährden. Das Ampelsystem erlaubt es zudem, gezielt auf die besonderen Bedürfnisse von Risikopatientinnen und -patienten einzugehen – beispielsweise bei Schwangeren vor einem geplanten Kaiserschnitt oder bei Menschen mit einem unvollständigen Darmverschluss. In diesen Fällen werden die Nüchternheitszeiten vor einer Vollnarkose entsprechend verlängert, um das Risiko von Erbrechen zu minimieren.

 

 

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Stefan Rochow

ist Journalist, Unternehmer und Gründer von SNO | Schwerin-Lokal. Mail: redaktion@sn-o.de

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