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Schwerin: 30. Jahrestag der Friedlichen Revolution

„Wir hatten alles geplant. Wir waren auf alles vorbereitet. Nur nicht auf Kerzen und Gebete.“ Diese Worte sagte das einstige Mitglied des Zentralkomitees der SED Horst Sindermann Jahre nach der

  • Veröffentlicht Oktober 24, 2019
Schwerin begeht den 30. Jahrestag der Friedlichen Revolution: In s/w ähneln sich die Bilder von 1989 und 2019 | Foto: Stephan Haring (schwerin-lokal)

„Wir hatten alles geplant. Wir waren auf alles vorbereitet. Nur nicht auf Kerzen und Gebete.“ Diese Worte sagte das einstige Mitglied des Zentralkomitees der SED Horst Sindermann Jahre nach der Friedlichen Revolution in der ehemaligen DDR. Bezog er sich eigentlich auch auf die erste große Demonstration am 9. Oktober 1989 in Leipzig, so gelten diese Worte doch für die gesamte ehemalige DDR im Herbst 1989. So auch für unsere Landeshauptstadt Schwerin, die gestern, genau 30 Jahre nach der ersten Demonstration vor Ort, mit einer bewegenden Feier der damaligen Geschehnisse gedachte.

Wiedereinweihung der Skulptur „Runder Tisch“

Der restaurierte „Runde Tisch“ in Schwerin | Foto: Stephan Haring

Den Auftakt zu einem mehrteiligen Gedanken macht die Wiedereinweihung des Denkmals „Runder Tisch“ an der Ecke Großer Moor/Puschkinstraße. Die metallene Skulptur des Lübecker Bildhauers Guillermo Steinbrüggen entstand während des ersten gesamtdeutschen Bildhauertreffens im Sommer 1990 in Schwerin. Es erinnert an die in der Wendezeit in Berlin aber auch vielen anderen Städten der damaligen DDR entstandenen Gesprächskreise, die über die Zeit bis zu Neuwahlen die Geschicke in der DDR und in zahlreichen Städten so demokratisch wie möglich lenken sollten. In diesem Rahmen bildete sich auch in der heutigen Landeshauptstadt und damaligen Bezirkshauptstadt Schwerin ein solcher „Runder Tisch“. Das Denkmal war für einige Tage von seinem festen Platz im Herzen der Altstadt entfernt und durch den Künstler noch einmal restauriert worden.

Oberbürgermeister und Künstler persönlich vor Ort

Bewegende Worte von OB Dr. Rico Badenschier“ | Foto: Stephan Haring (Schwerin)

An eben diese historischen Entwicklungen, aber auch an die sehr viel ältere Geschichte eines Runden Tisches, die bis in die Mitte des 12. Jahrhunderts zurückreichen soll, erinnerte Oberbürgermeister Dr. Rico Badenschier in seinen Worten zur Wiedereinweihung. Badenschier, der zuvor noch in Güstrow länger als geplant an einer Veranstaltung teilnahm, ließ es sich nicht nehmen, persönlich vor Ort dabei zu sein und zu sprechen. Denn, dies wurde in seinen Worten deutlich, dieser Tag hat auch für ihn persönlich einen hohen Stellenwert.

Im Anschluss an Badenschiers Rede ließ es sich auch der persönlich anwesende Guillermo Steinbrüggen nicht nehmen, den anwesenden Schwerinerinnen und Schwerinern ein paar Worte zu seinem Kunstwerk zu sagen. So habe er im Rahmen der Restaurierung keine tiefgreifenden Änderungen vorgenommen. Lediglich die Farbgebung habe er erneuert und dabei etwas angepasst. Als auch er seine Darstellungen beendet hatte, ergriff eine Schwerinerin unplanmäßig das Wort und bedankte sich sehr emotional bei dem Künstler dafür, dass er diese Skulptur der Stadt seinerzeit überlassen habe. Für sie sei dieser „Runde Tisch“ ein wichtiges Zeichen, das für die damalige Zeit stehe, und das sie immer wieder tief berührt.

Hunderte Schweriner bei Festakt im Dom

Bis auf den letzten Platz gefüllt: Der Dom Schwerin | Foto: Stephan Haring

Am Ende dieser Wiedereinweihung lud der Oberbürgermeister die Anwesenden sehr herzlich ein, mit ihm zum Schweriner Dom zu kommen. Dort sollte gegen 18 Uhr die eigentliche Festveranstaltung stattfinden. Während am Großen Moor noch etwas weniger viele Teilnehmer der Veranstaltung folgten, sollte sich das am Dom schlagartig ändern. Schon eine gute halbe Stunde vorher stand eine große Menschentraube vor dem zentralen Kirchengebäude der Stadt. Und mit Öffnen der Eingangspforte begann ein bis 18 Uhr nicht enden wollender Strom an Menschen, sich den Weg in das Gottenhaus zu bahnen. Am Ende reichten die vielen hundert Sitzplätze nicht ansatzweise aus. Zahlreiche Besucher standen in den Gängen und folgten so der Veranstaltung, zu der Bundespräsident a.D. Joachim Gauck als Ehrengast und Festredner eintraf.

Badenschier erinnert bewegend an Wendezeit 

Oberbürgermeister Rico Badenschier spricht zum 30. Jahrestag der Friedlichen Revolution | Foto: Stephan Haring (schwerin-lokal)

Die erste Rede aber hielt auch hier Schwerins Oberbürgermeister Dr. Rico Badenschier. Er blickte dabei auch zurück auf seine ganz persönliche Situation vor 30 Jahren. Badenschier war damals 11 Jahre und erlebte in Karl-Marx-Stadt, wie die Menschen bei einer Demonstration zusammengetrieben wurden. Er spannte den Bogen nach Schwerin, wo glücklicherweise alles ruhig verlief. Dennoch aber, so erinnerte er, standen am 23. Oktober 1989 dennoch 245 bewaffnete Sicherheitskräfte für einen Einsatz gegen das eigene Volk. Zusätzlich waren zahlreiche Parteifunktionäre unter Waffen. Badenschier wandte sich an „seine“ Schweriner als er sagte, dass die damalige Zeit sicherlich „die aufregendsten Monate Ihres Lebens waren.“

Man spürte bei diesen Worten, dass auch er, obwohl damals noch so jung, diese Zeit ähnlich erlebte. Er erinnerte aber auch daran, dass alles hier im Norden sicherlich etwas später als im Süden der DDR begann. Dennoch aber hatte die Friedliche Revolution auch hier in Umweltbewegungen, Initiativen gegen den Abriss der Altbausubstanz und in anderen Kreisen bereits durch die 1980er Jahre verschiedene mutige Vorläufer gehabt. Man spürte die Bewunderung und den Respekt des Schweriner Oberbürgermeisters, als er dann davon sprach, dass die Menschen auch hier ihre Angst vor dem Kontrollstaat überwunden und ihren Willen zur politischen Mitbestimmung klar artikuliert hatten.

Sehr persönliche und mahnende Rede Gaucks

Emotional, bewegend und mahnend spricht Joachim Gauck | Foto: Stephan Haring (Schwerin)

An diese tiefgehenden Worten Badenschiers schloss sich unmittelbar die offizielle Festrede des Ehrengastes Joachim Gauck an. Eine keinesfalls minder emotionale Rede, in der seine kirchliche Vergangenheit als Pastor , seine staatstragende Verantwortung als einstiger Bundespräsident und seine ganz persönlichen Wünsche und Erfahrungen eine bemerkenswerte Einheit wurden. Erinnernd, deutlich mahnend und fordernd aber nicht zuletzt auch hier und da mit einem Augenzwinkern, das die Zuhörer zum Lachen animierte, füllte der einstige Bundespräsident den Dom mit seinen Worten aus. Er sprach mit Blick auf 1989 von einer Zeit des Aufstehens und des  Hoffens. Gerade auch Christen hätten seinerzeit besonders lange und intensiv geglaubt und gehofft. Nicht zuletzt auch, weil sie eben in in ihrem christlichen Glauben einen ganz eigenen Weg dafür fanden. Gauck spricht hier nicht zuletzt von ganz persönlichen Erfahrungen, war er doch in den 1980er Jahren Pastor in einem sozialistischen Neubaugebiet in Rostock.

Joachim Gauck fordert Übernahme von Verantwortung ein

Mit einem Augenzwinkern fährt Gauck in seiner Rede fort und stellt fest, seine Generation habe damals den heute jungen – wie Oberbürgermeister Badenschier, so fügt er ein – den Weg geebnet. Einen Weg – und eben dies wird einer der Hauptpunkte seiner sehr emotionalen Rede sein – in Freiheit und Verantwortung. Denn eben diese Freiheit, die die Menschen damals so ersehnt haben, ist laut Gauck ein „eigentümliches Geschenk“. Ist sie doch gerade in der Welt der Erwachsenen untrennbar mit Verantwortung verbunden. Für so viele seien gerade die ersten Demonstrationen geheimnisvolle und zauberhafte Momente der Freiheit gewesen. Mit Begeisterung habe man sich damals von der bis dahin vorherrschenden Angst befreit. Aber, und an diesen Punkt kommt der ehemalige Bundespräsident immer wieder in seinen Worten, eben das allein sei nicht Freiheit. Denn auf dieses Glücksgefühl folge eben Verantwortung.

Ehrengast und Festredner: Bundespräsident a.D. Joachim Gauck | Foto: Stephan Haring (Schwerin)

Joachim Gauck schildert, wie er persönlich bei manchen seiner einstigen Mitstreiter einige Jahre später bemerkte, dass sie eben nicht in der Lage waren, diese Verantwortung zu übernehmen. Zwar blickten sie schon bald nach der Wende eher negativ darauf, wer plötzlich so alles „etwas geworden“ war. Aber selbst wollten sie lieber nur beobachten und eben keine eigene Verantwortung übernehmen. Gauck rief dazu auf, eben nicht mit dem Finger auf andere zu zeigen, sondern selbst bereit zur Verantwortung zu sein. Neben der engen Verbindung von Freiheit und Verantwortung räumte Gauck zudem auch mit der häufig geäußerten Utopie auf, es könne eine Gesellschaft geben, in der alle in purem Glück leben. Dies sei ein Glaube ans Paradies, politisch sei das aber keinesfalls realistisch. Es gäbe kein perfektes politisches System, das alle glücklich macht. Und Gauck übt scharfe Kritik an einem weiterhin bestehenden „Frust Ossis gegen Wessis“.  Derartiges Argumentieren sei „politisch und moralisch unmöglich“. Viel zu viel sei doch längst erreicht.

Beide Redner fordern zu Kampf um Demokratie auf

Joachim Gauck, Rico Badenschier, Sebastian Ehlers (v.l.n.r.) | Foto: Stephan Haring (Schwerin)

Sowohl der einstige Bundespräsident als auch der Schweriner Oberbürgermeister fanden in ihren Reden zudem sehr klare Worte in Richtung aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen. So stellte Badenschier klar, dass Meinungsfreiheit ein hohes Gut sei. Heute aber diene sie viel zu oft „als Feigenblatt von Extremisten“. Eindringlich rief er dazu auf, diesen Entwicklungen entgegenzutreten. Badenschier verwies auf ein bekanntes Zitat des einstigen Bundeskanzlers Willy Brandt: „Wir stehen nicht am Ende unserer Demokratie, wir fangen erst richtig an.“ Joachim Gauck schloss an diesen Ausspruch an und rief die Anwesenden im Schweriner Dom dazu auf, für die Demokratie zu kämpfen und eben dabei auch selbst Verantwortung zu übernehmen. Lang anhaltenden und deutlichen Applaus erntete er dann, als er sagte „Wir wollen nicht, dass irgendwelche Okkupanten uns das Wort ‚Wir sind das Volk‘ wegnehmen.“ Eine klare Ansage an diejenigen, die sich heute des Hauptslogans der Friedlichen Revolution für ihre ideologischen Zwecke bedienen.

Mit Kerzen zogen die zahlreichen Gäste des Festgottesdienstes im Anschluss auf den Schweriner Markt. Hier fand der Abschlussteil der Feierlichkeiten statt. Junge Schwerinerinnen und Schweriner hatten sich in Schulprojekten mit dem Thema der Friedlichen Revolution befasst. Zudem kamen Protagonisten von damals zu Wort.

 

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Redaktion

der digitalen Tageszeitung Schwerin-Lokal. Kontakt: redaktion@schwerin-lokal.de

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