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„Gefahr, von der sich jeder einzelne Teilnehmer der Demos ganz klar abgrenzen muss“

Der in der vergangenen Woche durch Landes-Innenminister Christian Pegel vorgestellte Verfassungsschutzbericht 2020 beleuchtet erneut die rechts- und linksextremistische Szene sowie den Islamismus im Nordosten Deutschlands. Zudem wirft er erstmals auch

  • Veröffentlicht Januar 22, 2022
Extremisten verschiedenster Couleur nutzen Corona-Proteste auch in M-V als eigenen Aktionsraum. | Foto: Rainhard Wiesinger

Der in der vergangenen Woche durch Landes-Innenminister Christian Pegel vorgestellte Verfassungsschutzbericht 2020 beleuchtet erneut die rechts- und linksextremistische Szene sowie den Islamismus im Nordosten Deutschlands. Zudem wirft er erstmals auch einen Blick auf den Einfluss der Corona-Pandemie auf Aktivitäten im Blickpunkt des Verfassungsschutz stehender, antidemokratischer Gruppierungen.

Speziell mit Blick auf den letzten Punkt zog Pegel dabei Parallelen zu den Protesten in der Flüchtlingskrise vor etwa 7 Jahren. „In Zeiten besonderer gesellschaftlicher Herausforderungen haben Extremisten Hochkonjunktur. Wie schon bei der Flüchtlingswelle 2015/2016 versuchen sie, eine Ausnahmesituation, die viele Menschen bewegt, zu nutzen, um Anschluss an die bürgerliche Mitte zu finden. Wir sehen bei den Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen weit überwiegend Menschen aus der bürgerlichen Klientel, die friedlich vom fest in der Demokratie verankerten Demonstrationsrecht und ihrem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch machen“, sagte Christian Pegel. Er betonte weiter: „Es geht den Verfassungsschützern nicht um diese große Menge der Menschen, die ihren Sorgen und Nöten auch mit Kritik an der Regierung friedlich Ausdruck verleiht. Es geht um einzelne Personen und kleinere Gruppierungen, die extremistischen Szenen zuzuordnen sind. Es geht es darum, Gewaltaufrufen und Angriffen gegen die Demokratie entgegen zu wirken.“

 

Corona-Proteste bieten extremistisch ausgerichteten Personen Aktionsräume

Die Äußerungen derjenigen, die Pegel als „Extremisten“ bezeichnete, gingen weit über das legitime Maß einer kritischen Sichtweise gegenüber der Corona-Politik hinaus. Dabei seien die einzelnen Akteure nicht zwingend speziell dem rechtsextremen oder anderen klassischen Extremismus-Strömungen zuzuordnen. „Hier sammeln sich sogenannte Querdenker, Verschwörungstheoretiker und andere, denen es unabhängig von der aktuellen Corona-Lage darum geht, die demokratischen Grundprinzipien unseres Landes – die parlamentarische Demokratie und das Gewaltmonopol des Staates – zu diskreditieren“, so Pegel in Schwerin. Drohung und Hetze gegen staatliche Institutionen und deren Vertreter und die Forderung nach einem radikalen Gesellschaftswandel jenseits demokratischer Prozesse und Strukturen stehe bei diesen Personen auf der Tagesordnung. Aus den bis heute stattfindenden Protesten leiteten sie eine Art „revolutionäres Potenzial“ ab.

Eben aufgrund der Ziele und vor allem der aggressiven Art und Weise des Weges, diese umsetzen zu wollen, erfolge bereits eine Beobachtung dieser Kreise als demokratiefeindliche oder sicherheitsgefährdende Delegitimierung des Staates. Mit Blick an all diejenigen, die ihren Protest aus der bürgerlichen Mitte friedlich zum Ausdruck bringen wollen, sagt Pegel sehr deutlich: „Hier liegt eine Gefahr, der sich jeder einzelne Teilnehmer der Demos bewusst sein und von der er sich ganz klar abgrenzen muss.“

 

Rechtsextremisten bleiben beunruhigend aktiv

Der grundsätzliche Schwerpunkt des Verfassungsschutzberichts 2020 liegt aber erneut auf rechtsextremistischen Bestrebungen. Die würden laut Pegel weiter zunehmen. „Im Bereich der Parteien wie ,Der III. Weg‘, ,Der Flügel‘ oder ,Junge Alternative‘ stiegen die Zahlen nur leicht bzw. gingen bei der NPD zurück, auf insgesamt etwa 400. Es steigt aber die Zahl derer, die – ohne einer Partei oder anderen Organisation zuzuordnen zu sein – rechtsextremistischem Gedankengut anhängen“, so Pegel. Deren Zahl war 2020 mit ca. 1.360 Personen fast viermal so hoch wie der der organisierten Rechtsextremisten. Von den insgesamt knapp 1.800 Rechtsextremisten bei uns im Land stufen unsere Verfassungsschützer ca. 700 als gewaltorientiert ein“, äußerte sich der Innenminister besonders besorgt.

In Teilen zöge sich der Rechtsextremismus dabei eben auch in die Bereiche der Proteste gegen die Corona-Maßnahmen hinein. So würden durchaus auch bekannte Personen der Szene bis heute an den Demonstrationen teilnehmen und in der Folge Messengerdienste und soziale Netzwerke nutzen, um über die Veranstaltungen aus ihrer Perspektive zu berichten sowie im gleichen Atemzug den Untergang des bestehenden demokratischen Systems zu beschwören. Dabei käme es, unter Nutzung einer zunehmend aggressiveren und menschenverachtenderen Sprache, zur Verbreitung demokratiefeindlicher Inhalte und einer Mobilisierung für die eigenen Bestrebungen – fernab von denen der friedlich Demonstrierenden. Verschwörungstheorien und ein zunehmender Antisemitismus seien kennzeichnend für diese Entwicklung.

Auch während der Pandemie beschränkten sich die Rechtsextremisten in Mecklenburg-Vorpommern zudem nicht allein auf ihre Anwesenheit bei den angesprochenen Demonstrationen und entsprechendes Agieren im Internet. „Sie praktizierten auch 2020 ihnen wichtige Rituale wie ihr ausschließliches Gedenken der deutschen Opfer am Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs an verschiedenen Orten bei uns im Land“, nannte Christian Pegel ein Beispiel. Die rechtsextremistische Kampfsportszene hingegen habe Events wie zum Beispiel den „Kampf der Nibelungen“ als Live-Stream ins Internet verlegt, sei aber dort rege aktiv.

 

Auch Reichsbürger nutzen Corona-Proteste für ihre Zwecke

Neben der klar rechtsextremen Szene profitierten, wie es der Verfassungsschutzbericht 2020 darstellt, auch die Reichsbürger von den anhaltenden Corona-Protesten. Dabei käme es inzwischen zu einem Verschwimmend er einstigen Abgrenzung beider Gruppen, was zu erkennbar gewachsenen Überzeugungs-Überschneidungen führt. Auch die Reichsbürger nutzen bis heute die Demonstrationen zur Verbreitung ihrer Verschwörungstheorien. Zudem brächte speziell auch die Ablehnung der politischen Entscheidungen rund um die Corona-Maßnahmen viele durch Nutzung „alternativer“ Informationskanäle direkt mit den Denkmustern der Reichsbürger in Berührung.

 

Linksextremismus situationsbedingt rückläufig – Islamismus im Blick

Während der Verfassungsschutzbericht 2020 also ein Anwachsen des Rechtsextremismus sieht, verzeichnet er für 2020 gleichzeitig einen Rückgang im Bereich des Linksextremismus. Dies gilt sowohl für die Anzahl der Straftaten, als auch für die Personenzahl, „von denen die Hälfte als gewaltbereit eingestuft wird.“ Den verzeichneten Rückgang führt der Verfassungsschutzbericht allerdings nicht auf eine grundsätzlich rückläufige Entwicklung in diesem Bereich zurück. Vielmehr dürften, aufgrund des Ausfalls von zahlreichen Veranstaltungen, die linksextremistisch ausgerichteten Personen entsprechenden Raum bieten, die Aktionsmöglichkeiten deutlich eingeschränkte gewesen sein.

Hinsichtlich des Islamismus, der in der Bundesrepublik aktuell als wohl größte Gefahr nach dem Rechtsextremismus gilt, sieht der Verfassungsschutz in Mecklenburg-Vorpommern nur wenige bedeutsam organisierte Strukturen und benennt im Bericht 2020 erneut etwa 190 islamistisch ausgerichtete Personen, die unter Beobachtung stünden.

 

 

Written By
Stephan Haring

Stephan Haring ist freier Mitarbeiter unserer digitalen Tageszeitung. Er hat ein Bachelor-Studium der Kommunikationswissenschaften an der Universität Erfurt mit den Nebenfächern Sozialwissenschaften & Politik absolviert. Im Nachhinein arbeitete er in leitenden Funktionen der Presse- & Öffentlichkeitsarbeit, im Leitungsbereich eines Unternehmens sowie als Rektor einer privat geführten Hochschule. Zudem entwickelte, organisierte und realisierte er mit der durch ihn entwickelten LOOK ein Fashionevent in Schwerin. Heute arbeitet er freiberuflich als Texter, Pressesprecher und Textkorrektor sowie als Berater in verschiedenen Projekten. In einem Schweriner Ortsbeirat ist er zudem ehrenamtlich als Vorsitzender kommunalpolitisch aktiv.

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