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Schwerin: Die Diskussion um Amazon läuft

Gerade in den vergangenen Monaten konnte man hier und da den Eindruck gewinnen, dass eine Art „Amazon-Bashing in Deutschland zum „guten Ton“ gehört. Gerade auch Teile der Politik wurden nicht

  • Veröffentlicht Februar 3, 2021
Amazon-Pakete sollen schon bald in einem eigenen Verteilzentrum in Schwerin verladen werde. | Foto: privat / José Miguel

Gerade in den vergangenen Monaten konnte man hier und da den Eindruck gewinnen, dass eine Art „Amazon-Bashing in Deutschland zum „guten Ton“ gehört. Gerade auch Teile der Politik wurden nicht müde, den international agierenden Konzern aus den USA stets in eine eher negativ klingendes Licht zu rücken. Dabei ging es – speziell in den Corona-Monaten – weniger um Arbeitsbedingungen. Vielmehr hätte man den Eindruck gewinnen können, Amazon hätte, ginge es nach dem Wunsch so mancher, am besten den Betrieb einstellen sollen. Denn der Versandriese wurde wieder und wieder als Untergangsszenario des geschlossenen deutschen Einzelhandels beschworen. Dabei stand das Unternehmen symbolhaft für den gesamten Internethandel, der, logischerweise, gerade in Zeiten geschlossener Geschäfte boomte. Aus Teilen der CDU Deutschland kam gar die Forderung nach einer Sonderabgabe für Internetkäufe.

 

Steht Amazon-Debatte nicht für ein Versagen in Deutschland?

Die eigentliche Problematik und Thematik aber sollte all das offenbar nur überspielen. Denn in den vergangenen zwölf Monaten hat sich auf verheerende Art und Weise gezeigt, wo Deutschland im internationalen Vergleich tatsächlich steht. Digitaler Unterricht in Schulen? Fehlanzeige. Fehlende Technik auf Seiten aller Beteiligten, keine oder unzureichende Internetverbindungen der Schulen, schlecht ausgebautes Internet in ländlichen Bereichen – und auch Methoden und Software fehlten faktisch komplett. Offenheit und moderne Regelung zum Homeoffice? Fehlanzeige. Arbeitgeber klammern an historischen Büroarbeitsplätzen und Arbeitnehmer richten es sich zu schnell zu häuslich am heimischen PC ein. Zudem fehlten auch hier technische Voraussetzungen. Ein Blick auf den deutschen Einzelhandel fällt dabei nicht besser aus. Nur wenige Unternehmen sind wirklich modern aufgestellt – stationär wie im Netz, und das auch entsprechend verbunden. Vielerorts findet man, wenn überhaupt, schlecht gepflegte Online-Shops. Meist aber gar keine. Vor diesem Hintergrund dem Internethandel und konkret Amazon den Kampf anzusagen, zeugt schon von Kapitulation.

 

Immer wieder werden  Arbeitsbedingungen und Steuermoral thematisiert

Amazon steht allerdings in Deutschland auch aus anderen Gesichtspunkten in der Kritik. Immer wiederkommt die Diskussion um keine oder zu geringe Steuerzahlungen auf. Das mag sein. Denn der Konzern macht es recherchierenden Menschen auch nicht leicht, wirkliche Zahlen zu ermitteln. Da fehlt es tatsächlich an etwas mehr Transparenz. Aber auch so ein Vorwurf hat zwei Seiten. Wer wenig Steuern zahlt, investiert entweder sehr viel, und kann entsprechend „verrechnen“. Oder aber – beziehungsweise und – der jeweilige Staat macht es dem Unternehmen auch sehr leicht, wenig Steuern zu zahlen. Die allerwenigsten der Kritiker, das darf man sicherlich unterstellen, nutzen nicht auch selbst alle ihnen bekannten Möglichkeiten, die eigene Steuerlast zu drücken. Nicht anders macht es ein Unternehmen wie Amazon – und übrigens auch der Einzelhändler an der Ecke. 

Bleibt die Frage der Arbeitsbedingungen und der Bezahlung. Da scheint es so, dass Amazon tatsächlich noch Luft nach oben hat. Denn in beiden Bereichen scheint der Konzern eher die Mindest- als Maximalstandards zu erfüllen. Aber zumindest etwas Vorsicht gehört auch in diesem Bereich dazu. Denn immer wieder hört man auch Stimmen noch Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die Gegenteiliges sagen. Und doch eilt auch dieser Ruf dem amerikanischen Versand- und Logistikriesen voraus. Bis nach Schwerin, wie sich in diesen Wochen zeigt. Denn seit Kurzem ist klar, dass Amazon auch in der Landeshauptstadt investieren möchte. Zwar nicht, wie eine regionale Tageszeitung zuerst schrieb, in ein Logistik- und Verteilzentrum. Aber immerhin in ein Verteilzentrum mit wohl etwa 130 Arbeitsplätzen. 

 

CDU/FDP und SPD stimmen für Amazon-Ansiedlung

Schon im Vorfeld der gestrigen Hauptausschuss-Sitzung, in der das Thema des Grundstückserwerbs im Industriepark Göhrener Tannen durch den Konzern erneut im nichtöffentlichen Teil behandelt wurde, hatten sich die CDU/FDP-Fraktion und auch die SPD-Fraktion öffentlich zum Ansiedlungsvorhaben geäußert. In den Reihen der CDU/FDP sieht man dabei das Ansiedlungsinteresse in Verbindung mit den 130 Arbeitsplätzen als weitere Stärkung des zuletzt coronabedingt ein wenig krisengeschüttelten Industrieparks.

 

CDU/FDP: Sachlichkeit statt Ideologie

Gert Rudolf bleibt Fraktionsvorsitzender der CDU/FDP-Fraktion Schwerin | Foto: Fotostudio Sylvana Warsakis

Auch aus dieser Fraktion kommen aber die bereits beschriebenen Stimmen zur grundsätzlichen Frage des Online-Handels, wie eine Aussage des Fraktionsvorsitzenden Gert Rudolf zeigt: „Man kann zum Online-Handel geteilter Meinung sein, aber er ist da und wird von vielen Menschen in unserer Stadt genutzt“. Rudolf unterstreicht aber auch, dass die Ansiedlung, gelingt sie nicht in Schwerin, ganz sicher im Umland der Stadt stattfinden wird. „Ich hoffe deshalb, dass bei der Entscheidung im Hauptausschuss Sachlichkeit und nicht Ideologie im Mittelpunkt steht“. Und neben der von ihm erneuerten Grundsatzfrage zum Onlinehandel blickt er auch noch auf die Frage der Bezahlung der Arbeitsplätze: „Auch wir unterstützen eine faire Entlohnung. Tarifverträge müssen aber zwischen den Sozialpartnern ausgehandelt werden und nicht durch uns als ehrenamtliche Kommunalpolitiker“.

 

SPD: Ziel für Schwerin müssen mehr gut bezahlte Jobs sein

Mandy Pfeifer, Vorsitzende SPD-Fraktion Schwerin | Foto: Susie Knoll

Des Themas Arbeitsbedingungen und Bezahlung nimmt sich auch die SPD-Fraktion in Schwerin direkt an und spricht vom „schlechten Ruf“ der Amazon in diesen Punkten vorauseilen würde. Grundsätzlich wird die Fraktion der Ansiedlung zustimmen. „130 neue Arbeitsplätze sind wichtig für Schwerin und seine Bürgerinnen und Bürger. Da kann man nicht wählerisch sein. Die Verantwortung der Stadt darf jedoch mit der Befürwortung der Ansiedlung neuer Unternehmen nicht enden. Erst recht nicht, wenn es sich um Unternehmen handelt, die im Niedriglohnsektor beschäftigen“, so die Fraktionsvorsitzende Mandy Pfeifer. Sie betont aber auch, dass in Schwerin unbedingt nicht nur zusätzliche sondern vor allem gute Arbeitsplätze benötigt werden. Jobs, die ein selbst bestimmtes Leben ermöglichen. Dass allerdings Verteilzentren von Amazon – ebenso wie von DHL, Hermes, UPS etc. – in denen eingehende Pakete auf die Ausliefer-Fahrzeuge verteilt werden, diese eher nicht schaffen, ist sicherlich allen klar.

 

Auch UB-Fraktion sieht „mehr Vor- als Nachteile für Schwerin“

Heiko Schönsee, Unabhängige Bürger Schwerin

Ebenso wie auch die anderen Fraktionen befassten sich auch die Mitglieder der Unabhängigen Bürger in der Stadtvertretung Schwerin mit den offenbar vielfältigen Möglichkeiten der Betrachtung des Investitionsvorhabens von Amazon. So ging es dabei nicht allein um die 130 angekündigten Arbeitsplätze. Vielmehr diskutierte man auch Umweltbelastungen durch den Versandhandel, einen möglichen Zuwachs an Verkehr und eventuell rückläufige Umsätze für den lokalen Einzelhandel. Man geht in der UB-Fraktion davon aus, dass man mit einem „Nein“ zur Ansiedlung weder die strukturellen Probleme des Einzelhandels lösen und auch nicht den „Weltkonzern Amazon in die Knie zwingen“ kann. Vielmehr würde es letzten Endes nur zu einer Ansiedlung Amazons in einem Gewerbegebiet außerhalb von Schwerin kommen, so Heike Ehrhardt für die UB-Fraktion.  

„Nach Abwägung aller Argumente sind wir zu der Auffassung gekommen, dass die Ansiedlung mehr Vor- als Nachteile für die Landeshauptstadt bringt. Überzeugt hat uns vor allem, dass allein bei Amazon 130 Arbeitsplätze geschaffen werden sollen“, so UB-Stadtvertreter Heiko Schönsee. „Hinzu kommt, dass Amazon das Vorhaben ohne Fördermittel stemmt.“

 

Grüne verknüpfen ihre Zustimmung mit Bedingungen

Zustimmung für die Ansiedlung kommt auch von der Grünen-Fraktion. Hier aber geht man über die schon beinahe handelsübliche Kritik an Amazon noch einen Schritt weiter. Die Grünen verbinden ihre Zustimmung mit Bedingungen. So soll Amazon gemäß der Grünen-Forderung „seinen steuerlichen Verpflichtungen transparent nachkommen“, so der stellvertretende Grünen-Fraktionsvorsitzende Arndt Müller. Im mehr oder minder selben Atemzug aber erklärt er, das Unternehmen würde derzeit eine „Fehlkonstruktion der deutschen Gewerbesteuer“ nutzen. Anders ausgedrückt bedeutet dies nicht weniger als die Aussage, dass Amazon entsprechend des deutschen Gewerbesteuerrechts seine Steuern entrichtet. Der Fehler liegt im System, nicht beim Unternehmen. Damit kommt der Konzern also, das Argument weiter gedacht, an dieser Stelle durchaus seinen Verpflichtungen nach. Zudem fordert die Grünen-Fraktion in der Stadtvertretung Schwerin eine bessere Bezahlung der Arbeitnehmer „als derzeit bei Amazon üblich“ sowie eine Mitbestimmung für Betriebsräte.

Und auch der Umweltaspekt kommt nicht zu kurz. „Die Umweltfolgen der großen Verkehrsströme des Amazon-Versandhandels sollten durch den konsequenten Einsatz von E-Fahrzeugen gemildert werden. Auch sollte Schwerin für das Verteilzentrum den Einsatz energieeffizienter und ressourcenschonender Bauweisen fordern.“ Zumindest in Sachen E-Mobilität scheint die Forderung schon länger durch die Realität überholt. Denn längst bereitet der Weltkonzern eine breite Umstellung auf E-Fahrzeuge vor. Bis 2030 will man 100.000 elektrisch betriebene Transporter im Einsatz haben. 

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Redaktion

der digitalen Tageszeitung Schwerin-Lokal. Kontakt: redaktion@schwerin-lokal.de

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