Agenda 2010: Aktionsausstellung erinnert an „Vergessene und Verdrängte“
(stm). Noch bis heute Abend erinnert eine Ausstellung aus Berlin am Schweriner Pfaffenteich an die „Vergessenen und Verdrängten“ im Zusammenhang mit der Agenda 2010. Noch bis Samstag Abend können Schwerinerinnen
(stm). Noch bis heute Abend erinnert eine Ausstellung aus Berlin am Schweriner Pfaffenteich an die „Vergessenen und Verdrängten“ im Zusammenhang mit der Agenda 2010.
Noch bis Samstag Abend können Schwerinerinnen und Schweriner sich an einer besonderen Ausstellung beteiligen. Gut 60 weiße Kreuze zieren den Pfaffenteich. Auf jedem der Kreuze ein gelbes Schild, ein Name, ein Ort und eine Geschichte. Jede Geschichte ein Schicksal. Initiator und Aktionskünstler Michael Fielsch aus Berlin ist mit Freunden angereist, um in Schwerin ein absolutes Tabuthema anzusprechen. Fielsch der auch schon Gast in diversen Polit-Talkshows wie Maischberger war, wirkt informiert und abgebrüht.
Selbstmord und Suizid aus Not
„In Gedenken an die Opfer der Agenda 2010!“ steht auf einem großem Banner. dahinter die Kreuze. „Die Menschen kommen auf uns zu.“ sagt Michael Fielsch. „Es ist ein sehr stiller Protest, keine laute Musik, keine Parolen.“ Das ist so gewollt. Der laute Protest mag Aufmerksamkeit erregen, doch bei einem solch sensiblen Thema, da hilft nur Ruhe. „Wir wollen darauf aufmerksam machen, das unser System, wo es ums Gewinnen, Mithalten, Durchsetzen geht, zwangsläufig auch Verlierer erzeugt. Und einige zerbrechen erst psychisch, und einige sogar letztendlich körperlich.“ sagt Frigga, die in Schwerin groß geworden ist und nun in Berlin lebt.
Traurige Wahrheiten
Die Schicksale sind vielfältig. Immer ist aber ein Zusammenhang zum Sozialsystem, zur Agenda 2010 herstellbar. Die Geschichten machen traurig, schwermütig. Da ist der Familienvater, 3 Söhne. Aufgrund einer Sanktion ist er zahlungsunfähig und gerät mit den Stromkosten in Verzug. Da der Strom bald abgestellt ist, weiß er sich nicht anders zu helfen und stellt ein Stromaggregat im Keller auf. Die Abluft ist falsch abgeleitet und über Nacht vergast er sich und seine Kinder im Schlaf.
Oder da ist die junge Frau, die ihre Schwangerschaft aus Angst vor Hatz IV und dem sozialen Abstieg vor ihrem Arbeitgeber und Kollegen verheimlicht. Das Kind dann in der eigenen Wohnung zur Welt bringt und erdrosselt. Einen Tag später springt sie aus dem Fenster ihrer Wohnung.
„Einzelschicksale, ja mag sein, aber unnötige in einem reichen Land wie Deutschland.“ sagt Fielsch und deutet mit einer Armbewegung über das kleine Schildermeer. “ Die Welt ist groß genug, und könnte jeden satt machen und jedem eine Existenz sichern.“ ergänzt ihn Frigga. „Doch irgendwann ist da etwas aus den Fugen geraten.“
Gespräche die Welten aufeinander prallen lassen
Ein netter älterer Herr, der sich einige der Schilder angesehen hat kommt auf einen der Aktionskünstler zu und versucht zu erklären, dass sich niemand abschreiben braucht. „Jeder kann einen Job finden. Wer sich nur genug anstrengt, und wer bereit seinen Heimatort zu verlassen, sich weiterbildet, der hat Chancen.“ Die Reaktion kommt ruhig und verhalten, als sei man dieser Argumente bei den rund 100 Ausstellungen in über 10 Städten langsam dran gewöhnt. „Wissen Sie.“ sagt Fielsch, „es gibt Menschen die jede Verantwortung der Gesellschaft und des Sozialsystems an Suiziden abwehren. Doch wenn jemand erfolgreich ist und ein gutes Leben hat, schiebt man das genau dem gleichen System zu. Und das lernt man schon in der Schule. Wo es vermeintliche Gewinner gibt, da gibt es auch vermeintliche Verlierer.“
Die Ausstellung ist auch am Samstag von 12:00 Uhr bis 20:00 Uhr am Pfaffenteich vor der Treppe aufgebaut. Die Berliner die sich selbst als „die, die noch kein Kreuz haben“ vorstellen, gestalten und betreuen die Ausstellung ehrenamtlich. Interessierte sind eingeladen.