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Buchtipp bei schwerin-lokal: „Sturm und Stille“ von Jochen Missfeldt

Die Teenagerin Doris und der 11 Jahre ältere Theodor stammen beide aus den besten Familien ihrer Heimatstadt. Sie verlieben sich heftig ineinander, obwohl er schon mit Constanze verlobt ist. Auch

  • Veröffentlicht Mai 20, 2021
Jochen Missfeldt, „Sturm und Stille“ | Rowohlt Verlag

Die Teenagerin Doris und der 11 Jahre ältere Theodor stammen beide aus den besten Familien ihrer Heimatstadt. Sie verlieben sich heftig ineinander, obwohl er schon mit Constanze verlobt ist. Auch die baldige Heirat hindert Doris und Theodor nicht an ihrer leidenschaftlichen Liaison. Erst als die Affäre publik wird, muss Doris die Stadt verlassen. Die beiden halten Kontakt über viele Jahre, sie geht den verschiedensten Jobs an verschiedenen Orten nach und glaubt beharrlich an ihre einzige große Liebe. Und tatsächlich: als Constanze nach der Geburt ihres 7. Kindes verstirbt, kann Doris nach fast 20 Jahren und dem obligatorischen Trauerjahr endlich ihren Theodor heiraten. Mit ihr bekommt er sein 8. Kind, und sie leben glücklich und zufrieden bis an sein Lebensende.

 

Die Lebensgeschichte der Doris Jensen

Das klingt wie eine neue Netflix-Serie? Weit gefehlt! Wir befinden uns in der Mitte des 19. Jahrhunderts in Schleswig-Holstein. Es handelt sich um die Lebensgeschichte der Doris (Dorothea) Jensen, die wie auch Theodor Storm in Husum aufwächst. Deren Leben hat sich der Autor Jochen Missfeldt anhand von erhaltenen Briefwechseln, aber nur spärlich vorhandenen biografischen Fakten literarisch ausgemalt. Wie könnte es gewesen sein?

Den Rahmen um die Erinnerungen Doris Jensens bildet der Erzähler Gustav Hasse, der ganz in der Gegenwart lebt und als Alter Ego Missfeldts zu verstehen ist. Hasse hat eine kleines Gedenktischchen mit seiner Storm-Biografie, einem Foto von Doris und einer entzündeten Kerze aufgebaut und fordert Doris Jensen auf „Erzählen Sie uns von Ihrer Liebe zu Storm…Es wäre schön, wenn etwas Licht in dieses Dunkel käme.“

 

Eine besondere Liebe zu und mit Theodor Storm

So wird also von Doris Jensen selbst berichtet, wie sie all diese langen Jahre zwischen den ersten beglückenden Begegnungen mit Theodor Storm als sehr junge Frau, die Zeit der unfreiwilligen „Wanderjahre“ kreuz und quer durch Schleswig-Holstein nach Bekanntwerden der außerehelichen Beziehung bis hin zur kaum noch für möglich gehaltenen Hochzeit erlebt hat.

“Wenn es für unser Leben etwas Ewiges geben soll, so sind es die Erschütterungen, die wir in der Jugend empfangen haben.“

Wir lernen eine sehr klare, standhafte Persönlichkeit kennen, die ihre Unsicherheiten nicht verbirgt. Große Themen wie „die Schuld und die Liebe, die Eifersucht und die Scham“ werden in einem ganz ruhigen Erzählton und Gedankenfluss aus Doris Jensens Sicht behandelt. Theodor Storm ist wahrlich kein unkomplizierter Mensch. Doch nie sieht sie sich als Opfer. Obwohl sie ihre Heimatstadt verlassen muss und von ihrem Geliebten getrennt wird, akzeptiert sie ihr Leben, wie es ist. Sie liebt die Musik (ebenso wie Storm) und findet auch Halt im Glauben (wovon Storm überhaupt nichts hält). Doch gibt es nicht zuletzt in vereinzelten heimlichen Treffen mit Theodor immer wieder freudige Erlebnisse und große Leidenschaft. Bei ihren Rendezvous wird es ein Ritual, dass Doris ihm hinterher eine kleine Erzählung schenkt. Diese nennt Jochen Missfeldt Après und hat sie kunstvoll in den Roman eingefügt, ebenso wie Gedichte oder Fragmente aus Theodor Storms Werk.

 

Ein Roman voller Facetten

So beinhaltet dieser Roman ganz viele Facetten: Man erlebt eine Zeitreise mit schlammigen Kutschfahrten auf rumpeligen Wegen. Die holsteinische Natur und das Wetter sind allgegenwärtig (Doris liebt ihr Barometer) und die politischen Wirren der 1860er Jahre sind ganz präsent im Leben der Protagonisten. Kurz: Man bekommt Appetit, sich das Werk Theodor Storms erneut vorzunehmen und die frühere Schullektüre aus der hinteren Ecke des Bücherregals hervorzukramen. Und Appetit auf Rübenmus bekommt man auch.

 

Ein Blick auf den Autor

Jochen Missfeldt hat Anfang dieses Jahres seinen 80. Geburtstag gefeiert und blickt nicht nur auf ein reiches Autorenleben zurück, sondern hat in jungen Jahren als Starfighter-Pilot gedient und die Welt von oben betrachtet. Das Schreiben hat ihn schon damals begeistert, und deshalb kann man zum Glück auf viele weitere Romane zurückgreifen. „Solsbüll“, „Gespiegelter Himmel“ und „Steilküste“ sind ausgesprochen lesenswerte, sehr besondere norddeutsche Geschichten. Ebenso seine lebendige, detailgenaueTheodor-Storm-Biografie „Du graue Stadt am Meer“, die in diesem Frühjahr in einer neuen Ausgabe im Hanser Verlag erschienen ist.

Jochen Missfeldt
„Sturm und Stille“
Rowohlt Verlag
344 S., 12,-€

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Redaktion

der digitalen Tageszeitung Schwerin-Lokal. Kontakt: redaktion@schwerin-lokal.de

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