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Schwerin: „Man müsste mal…“ – Podcast Folge 17

„Man müsste mal…“ über die Menschen in uns aus Schwerin berichten, die hier vor Ort etwas unternehmen und sich engagieren. Das dachten sich Alexander Lußky und Claus Oellerking. Gemeinsam setzten

  • Veröffentlicht Februar 11, 2021
In Folge 15 des Podcast „Man müsste mal…“ aus Schwerin dreht sich alles um Björn Stephan und sein neues Buch „Nur vom Weltraum aus ist die Erde blau“

„Man müsste mal…“ über die Menschen in uns aus Schwerin berichten, die hier vor Ort etwas unternehmen und sich engagieren. Das dachten sich Alexander Lußky und Claus Oellerking. Gemeinsam setzten sie sich zusammen, und luden eben diese Menschen  zum Gespräch. Es entstand der inzwischen belebte Podcast aus, über und für Schwerin mit dem beinahe logischen Namen „Man müsste mal…“. In Folge 16 haben beide einmal zurückgeblickt auf die ersten 15 Gespräche. Nun geht es weiter. Denn es gibt noch so manchen zu berichten. Zum Beispiel über Björn Stephan. Er lebt heute zwar in München, stammt aber aus Schwerin und ist der Stadt verbunden. Er dachte sich, „Man müsste mal…“ ein Buch schreiben, das in beinahe jedem Neubauviertel der einstigen DDR spielen könnte. Allerdings nicht zwingen nur dort. Auch in Schwerin – auf dem Dreesch, in Lankow oder dem entsprechenden Teil von Krebsförden. Überall dort hatte er einst gewohnt. 

 

„Nur vom Weltraum aus ist die Erde blau“ 

„Nein, an den Großen Dreesch habe ich beim Schreiben nicht gedacht. Ich habe dort zwar als Kind gewohnt und auch in Lankow und Krebsförden, aber die Geschichte könnte eigentlich in jeder ostdeutschen Stadt, in jedem Neubauviertel spielen. Vielleicht auch in einer westdeutschen Platte oder sogar in den Banlieues von Paris“, sagt Björn Stephan und räumt ein, dass dies besonders für die persönlichen Geschichten der Hauptfiguren im Buch gilt.

Und darum geht es im Buch „Nur vom Weltraum aus ist die Erde blau“: Vorbei ist die Zeit des „Blauen Würgers“. »Die Kumiaks«, Band 1 bis 3 stehen ungelesen im Bücherregal. Kosmonauten heißen jetzt Astronauten und der 13-jährige Sascha Labude, der im Plattenbau aufwächst, fragt sich, wie es sein kann, dass er in einem Land geboren war, das es nicht mehr gibt. Wie ein Land einfach verschwinden kann. Sascha sammelt einzigartige Wörter in einem Heft. Das Mädchen Juri weiß alles über das Universum und Sonny liebt Elton John. Gemeinsam besuchen sie die ehemalige POS „Johannes R. Becher“. Herrn Reza umwittert ein Geheimnis. Es ist zu klären, ob die Pawelke-Brüder aus dem 3. Stock einfach nur Schläger sind, die hier in „Klein Krebslow“ jeden abziehen, der ihnen in den Weg tritt. Oder ob sie echte Faschos sind. Sascha Labude und Juri, seine erste Liebe und sein bester Freund Sonny weichen ihnen lieber aus.“

 

Im Wohnblock gleich hinter der Lenin-Statue

Frau Kletsche, die in dem Wohnblock gleich hinter der Lenin-Statue wie immer gestützt auf ein pinkfarbenes Kissen auf ihrer Fensterbank lehnt, hat alles im Blick. Es riecht nach Wofasept in den Treppenhäusern der einstigen DDR-Neubausiedlung. Die Trabbis weichen gebrauchten, lippenstif-roten Mitsubishi Galants. Aus dem alten Land wird ein neues. Die Fahnenappelle und die Lieder von Friedenstauben verstummen ebenso wie das allmorgendliche „Für Frieden und Sozialismus! Seid bereit! – Immer bereit!“. Sascha Labude – gesprochen „la Bude“ wie Pommesbude und auf keinen Fall französisch „La büd“ – ist nicht länger Pionier, sondern einfach nur ein Schüler, der keine Halstücher und auch keine Wimpel mehr tragen muss. – Er ist der Held dieser Geschichte. Sascha vermutet, er sei „wahrscheinlich der einsamste Mensch der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik oder auch der Bundesrepublik“. Ein Junge auf dem Weg zum Erwachsenwerden.

 

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Autor Björn Stephan lebte und lernte in Schwerin

Das sind das Umfeld und die Zeit der Geschichte des Romans „Nur vom Weltraum aus ist die Erde blau“ von Björn Stephan. Geboren 1987 in Schkeuditz und aufgewachsen in Schwerin war Björn Stephan einst Schüler der Juri-Gagarin-Schule und des Fridericianums. Heute ist er Journalist. Er schreibt für DIE ZEIT und das SZ-Magazin und nun erscheint sein erster Roman.

Brüche in den Lebensläufen der Menschen findet man in Ost und West. Andere und ähnliche wie hier in „Klein Krebslow“, dem fiktiven Ort des Romans. Allerdings standen zu keiner Zeit überlebensgroße Lenin-Statuen in einer westdeutschen oder französischen Stadt. Frisco Kid und Harka, den Sohn der Bärin oder Walja, die erste Kosmonautin kennt dort damals wohl niemand. Auch „Die Kumiaks“ hat im Westen kaum jemand gelesen. Und wohl niemand, der nach 1949 im Westen Geborenen, musste je verstehen, dass er in einem Land geboren war, das es nicht mehr gibt, sich fragen, wie ein Land einfach verschwinden kann.

Sascha Labude wächst in der Plattenbausiedlung auf. DDR-typisch leben dort Kabelwerker und Kulturschaffende Tür an Tür. Sascha findet es „sehr komisch (komisch im Sinne von seltsam, nicht von lustig), dass das alte Land einfach untergegangen sein sollte. Das konnte ich nicht begreifen. Denn ich war ja noch da, genauso wie die Siedlung, die Straßen und die Häuser und die Bäume. Auch die ganzen anderen Menschen schienen nicht ertrunken oder von einem Erdbeben oder meinetwegen einem schwarzen Loch (was das ist, hatte ich von Juri gelernt) verschluckt worden zu sein. Ich konnte sie doch sehen“, schreibt Björn Stephan im ersten Kapitel. Und Sascha fragt sich, wieso seine Mutter es dort plötzlich „Assi“ findet und gar nicht schnell genug von dort fortkommen kann.

 

„Es hat mich gereizt, eine fiktive Geschichte zu erzählen“

„Zu recherchieren, was ist, das ist als Reporter ja mein Beruf“, sagt der 33jährige Autor Björn Stephan. „Es hat mich allerdings gereizt, eine fiktive Geschichte zu erzählen. Über das, was gewesen sein könnte, was sich jemand denkt, vorstellt oder fühlt.“ Zwei Jahre lang macht sich Björn Stephan immer wieder Notizen, beschäftigt sich mit seiner Herkunft, mit Ostdeutschland. Eigene Erinnerungen und Recherche in Sachen Nach-Wende-Zeit. „Dann hatte ich irgendwann die Stimme von Sascha Labude, dem Erzähler, im Kopf und habe angefangen zu schreiben“, so Stephan. Damit beginnt er im Herbst 2018. Jetzt sind die 352 Seiten des Romans gedruckt und bereits als Hörbuch eingesprochen.

„Wie bei jedem Roman ist manches selbst erlebt oder beobachtet, vieles recherchiert und der größte Teil natürlich erfunden. Der Titel „Nur vom Weltraum aus ist die Erde blau“ sagt ja, dass nicht so ist, wie es scheint. Je näher du den Dingen kommst, desto vielschichtiger werden sie“, sagt Björn Stephan, der in seinem Roman zeigt, dass in „der Platte“ keineswegs alles grau und trist ist, sondern dass dort ganz normale, talentierte, musisch begabte, neugierige Menschen wohnen, die voller Hoffnungen, voller Träume sind und in denen ein gewisser Zauber steckt. Das ist das Universelle.

  

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Wer „die Platte“ von innen kennt, findet sich vermutlich wieder

Es ist auch die Gleichzeitigkeit der Umbrüche: Jugendliche an der Schwelle von der Kindheit zum Erwachsenwerden, der politische und gesellschaftlichen Wandel in der Rest-DDR, die Entwertung, die Arbeitslosigkeit, der Zwang sich den neuen Verhältnissen anzupassen. All das lässt sich besonders gut anhand der Veränderungen in den DDR-Neubaugebieten beschreiben. „Vor der Wende waren Neubau-Wohnungen heiß begehrt. Das hat sich nach der Wende bald geändert. Plötzlich wurden sie an vielen Orten zum Symbol für sozialen Abstieg und Zerfall“, so Björn Stephan.

Jemand, der „die Platte“ von innen kennt, findet sich und seine eigene Geschichte in dem einfühlsam geschriebenen Roman vermutlich wieder. Alle anderen Leser, auch die in Westdeutschland und Frankreich, werden zumindest die inneren Konflikte der Beteiligten und ihre Suche nach Antworten auf die Fragen des Lebens kennen. Sie bekommen obendrein beim Lesen eine Idee vom individuellen Umgang mit einschneidenden Veränderungen und Krisen auch außerhalb der Siedlung und der Wladimir-Komarow-Straße und der Lomonossow-Allee in der Nach-Wende-DDR der Neunziger Jahre. Bis zum Schluss bleibt der Roman spannend, sogar ein bisschen länger. Er bleibt in Erinnerung und die Bilder der Geschichte begleiten den Leser vielleicht bei dem nächsten Gang durch die Neubausiedlung, die heute nur „DIE PLATTE“ heißt.

 

Ergänzende Illustrationen 

Illustrationen, schwarz-weiß Fotos aus dem Weltall und der Platte sowie handschriftliche Einschübe unterbrechen das Lesen. Sie laden zum Nachsinnen ein. Vielleicht finden ja die Leser dabei das Wort, nach dem Sascha Labude bis zum Ende des Romans vergeblich sucht: Das Wort, das beschreibt, wie es ist, wenn du den Ort, den du am meisten liebst verlassen musst.

Der Reporter Björn Stephan, geboren in Schkeuditz, aufgewachsen in der Landeshauptstadt von Mecklenburg-Vorpommern, lebt heute in München und besucht regelmäßig seine Familie in Schwerin. Seine Reportagen und Texte wurden vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Deutschen Sozialpreis, dem Axel-Springer-Preis und dem Reporterpreis.

 

Jetzt den Roman kaufen

Den Roman von Björn Stephan bekommst Du in allen Schweriner Buchhandlungen.

Björn Stephan, „Nur vom Weltraum aus ist die Erde blau.“, erscheint am 11. Februar 2021, Roman, gebunden mit Schutzumschlag, 352 Seiten, Galiani, 22 €, ISBN 978-3-86971-229-1
Hörbuch ISBN 978-3-86484-689-2, gelesen vom Schauspieler Oliver Wnuk

Written By
Carl Otte

Carl Otte ist freier Journalist. Mail: redaktion@sn-o.de

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