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Schwerin: Streit um IPads für Schulen

Wer es nicht schon vorher bemerkte hatte, oder es nicht wahrhaben wollte, musste wohl im ersten Lockdown im Frühjahr erkennen, dass das deutsche Bildungssystem nur äußerst suboptimal im Digitalzeitalter angekommen

  • Veröffentlicht November 9, 2020
Wir schreiben das Jahr 2020 und nicht nur in Schwerin fehlt es u.a. an digitalen Endgeräten an den Schulen. | Foto: Symbolbild

Wer es nicht schon vorher bemerkte hatte, oder es nicht wahrhaben wollte, musste wohl im ersten Lockdown im Frühjahr erkennen, dass das deutsche Bildungssystem nur äußerst suboptimal im Digitalzeitalter angekommen ist. Auch für Schwerin muss(te) man diese bittere Erkenntnis ziehen. Und das ist noch vorsichtig ausgedrückt. Die Probleme beginnen bei gänzlich nicht vorhandener Technik an den Schulen, fehlenden Endgeräte gerade in finanzschwächeren Haushalter mit Kindern, zu geringer Erfahrungen zahlreicher Lehrkräfte im Umgang mit konkreter Technik, mangelhafter Software und nicht zuletzt auch wenig geeigneten oder bislang nie angewandten methodisch-didaktischen Konzepten bezogen auf die digitalen Unterrichte. Etwas überspitzt ausgedrückt, wird in Deutschland noch viel zu oft mit Kreide an Wände (Tafeln) geschrieben. Eine Situation, die eher in den Geschichtsunterricht als in moderne Klassenzimmer gehören sollte.

 

Statt Digital-Boards zu arbeiten schreiben Lehrer weiter mit Kreide an Tafeln

Als plötzlich auch in Schwerin alle Schulen schließen mussten, stand man vor genau dieser Realität. Eine in MV geführte Diskussion, ob und in welchem Umfang Lehrkräfte private Computertechnik einsetzen sollten oder dürften kam eher einem Armutszeugnis als einer Lösungssuche gleich. Dabei aber war genau das die harte Realität. Aber eben nicht nur in MV. Inzwischen haben Bund und Länder reagiert – oder zumindest damit begonnen. Man möchte aus der Beinahe-Kapitulation im Frühjahr lernen, und endlich auch im Bildungswesen im Digitalzeitalter ankommen.

Fairerweise allerdings muss man dazu sagen, dass dafür eigentlich bereits am 17. Mai 2019 die Weichen gestellt wurden. Denn da startete der „DigiPakt Schule“, mit dem Ziel von Bund und Ländern, eine bessere Ausstattung der Schulen mit digitaler Technik zu realisieren. Über einen Zeitraum von fünf Jahren stellt der Bund dabei fünf Milliarden Euro zur Verfügung. Kommunale und private Schulträger bzw. die Länder bringen dazu einen finanziellen Eigenanteil auf. Mindestens 5,5 Milliarden Euro sollen zu zur Investition bereitstehen.

 

Bund und Länder beschlossen 2019 DigiPakt Schule

Das Land Mecklenburg-Vorpommern veröffentlichte eine entsprechende Förderrichtlinie am 23. Oktober 2019. Seither stand demnach die Möglichkeit, Gelder abzurufen. Dabei gab es sogar die Möglichkeit eines s.g. vorzeitigen Maßnahmebeginns unter entsprechend klar definierten Voraussetzungen. Zu diesen gehörten u.a. auch das Vorhandensein von Medienbildungskonzepten und -entwicklungsplänen. Im August setzte das Land dann, wie die Fraktion Unabhängige Bürger in Schwerin anmerkt, ein Sofortausstattungsprogramm im Rahmen des DigiPakts Schule in Kraft. Bereits mit Datum 19. Juni 2020 informierte der zuständige Staatssekretär im Bildungsministerium MV alle Schulträger mit Budgetübersicht, dass dafür im Land insgesamt 11 Millionen Euro zur Verfügung stünden. Im Schreiben, das im Internet veröffentlicht ist, heißt es: „Damit möglichst zum Schuljahresstart die ersten Geräte an den Schulen zur Verfügung stehen, wird den Schulträgern mit dem anliegenden Schreiben der vorzeitige Vorhabenbeginn genehmigt“.

Allerdings galt es zu diesem Zeitpunkt noch, die entsprechende Förderrichtlinie mit dem Finanzministerium und dem Landesrechnungshof abzustimmen. Offenbar aber war es dem Bildungsministerium sehr wichtig, so früh wie möglich die Schulträger (z.B. Stadt Schwerin) über diese Möglichkeit und die damit verbundene Zielstellung zu informieren.

 

Seit Juni war bekannt, dass schnell Gelder für digitale Endgeräte fließen können

Auch auf diese frühzeitige Information weist die Fraktion der Unabhängigen Bürger (UB) Schwerin aktuell hin. Der Hintergrund dieser Darstellungen ist die Erkenntnis, dass bislang in Schwerin keine entsprechenden Geräte zur Verfügung stehen. Da aktuell aber die IGS Bertold Brecht per Allgemeinverfügung der Stadt geschlossen ist und Lehrer wie Schüler sich in Quarantäne befinden, wären diese dringend erforderlich. Im Hauptausschuss am vergangenen Dienstag thematisierten die UB diese Situation daher. „Da ein vorzeitiger Maßnahmebeginn zugesagt war, hätten noch vor dem Beginn des neuen Schuljahres Geräte bestellt und bestenfalls geliefert sein können“, so Fraktionsvorsitzender Silvio Horn. „Wie am Dienstag dieser Woche im Hauptausschuss offenbar wurde, hat Oberbürgermeister Dr. Badenschier bislang keinen Auftrag zur Beschaffung ausgelöst“.

Und Horn, der sich mit seiner Fraktion ebenso wie die Fraktionen von CDU/FDP und DIE LINKE für die mehrere hunderttausend Euro teure Schaffung eines neuen Dezernats stark macht, in dem auch das Digitalisierungsthema angesiedelt sein soll, greift die Verwaltung dann entsprechend an. „Das unkoordinierte Vorgehen zeigt leider einmal mehr, dass wir beim Thema Digitalisierung und IT-Infrastruktur in der Stadtverwaltung schlecht aufgestellt sind und dringender Handlungsbedarf besteht.“

 

UB-Fraktion greift Oberbürgermeister an – Badenschier reagiert scharf

Diese Vorwürfe allerdings ließ der Hauptangegriffene, Oberbürgermeister Dr. Rico Badenschier dann doch nicht auf sich sitzen. Sie seien „falsch und bewusst irreführend“, wie es in einer Pressmitteilung der Stadt heißt. „Herrn Horn sollte bekannt sein, dass Aufträge dieser Größenordnung nicht freihändig vergeben, sondern ausgeschrieben werden müssen. Die Ausschreibung und, nach Ablauf der Widerspruchsfrist, der Zuschlag sind unmittelbar nach Erscheinen der Förderrichtlinie durchgeführt worden“, so Dr. Badenschier. Damit sei der Beschaffungsprozess bereits im Gang. „Ich habe den Hauptausschuss am Dienstag informiert, dass Schwerin jetzt 1550 schulgebundene mobile Endgeräte nach der Zuschlagserteilung abgerufen hat“, stellt Badenschier klar. „Aus dem Umstand, dass ich die Gremien der Stadtvertretung über den Fortgang des Prozesses informiert habe, jetzt eine angebliche Nichtbestellung zu konstruieren, ist berechnend und durchschaubar.“

 

Misstöne zwischen Teilen der Kommunalpolitik und Verwaltung werden zunehmend deutlicher

Damit scheint sich zwischen einem Teil der Kommunalpolitik und der Verwaltungsspitze der Ton weiter zu verschärfen. Bereit um den Beschluss der Stadtvertretung zur Einführung eines kostenfreien Schülernahverkehrs in Schwerin kam und kommt es zu kaum überhörbaren Misstönen. Dass zuletzt mehrere Ausschüsse der Stadtvertretung den Wunschzeitplan Dr. Badenschiers zur schnellen Haushaltsverabschiedung kippten, war eher zusätzliches Öl ins Feuer. Und offenbar möchte die Kommunalpolitik den Oberbürgermeister auch an anderer Stelle nicht ohne näheres Nachfragen weitermachen lassen. Denn um die seinerzeit von Dr. Badenschier im Alleingang beauftragte Corona-App der Stadt und die damit verbundenen Kosten, brauen sich auch immer dunklere Wolken zusammen.

 

 

Written By
Stephan Haring

Stephan Haring ist freier Mitarbeiter unserer digitalen Tageszeitung. Er hat ein Bachelor-Studium der Kommunikationswissenschaften an der Universität Erfurt mit den Nebenfächern Sozialwissenschaften & Politik absolviert. Im Nachhinein arbeitete er in leitenden Funktionen der Presse- & Öffentlichkeitsarbeit, im Leitungsbereich eines Unternehmens sowie als Rektor einer privat geführten Hochschule. Zudem entwickelte, organisierte und realisierte er mit der durch ihn entwickelten LOOK ein Fashionevent in Schwerin. Heute arbeitet er freiberuflich als Texter, Pressesprecher und Textkorrektor sowie als Berater in verschiedenen Projekten. In einem Schweriner Ortsbeirat ist er zudem ehrenamtlich als Vorsitzender kommunalpolitisch aktiv.

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