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Initiativgruppe Suizidprävention lädt ein an den „Baum des Lebens“

25 Menschen nehmen sich Tag für Tag in Deutschland das Leben. 25 Menschen, deren Schicksale ebenso wie die ihrer Angehörigen und Freunde noch immer viel zu wenig Raum in unserer

  • Veröffentlicht April 25, 2022
25 Menschen sehen in Deutschland täglich keinen anderen Ausweg als den Suizid. | Foto: Symbolbild

Ein Blick in die Zahlen des Statistischen Bundesamtes zeigt: Auch weiterhin nehmen sich deutschlandweit Jahr für Jahr viele Menschen selbst das Leben. Die Gründe dafür sind zweifelsfrei in jedem Fall etwas anders gelagert. Und dennoch: Wohl in praktisch jedem Fall sind sie mit Verzweiflung sowie dem Gefühl einer Ausweglosigkeit verbunden. Häufig sind Depressionen, eine noch immer viel zu stark tabuisierte Erkrankung, unter der geschätzt 16 bis 20 von 100 Menschen in Deutschland in ihrem Leben zeitweise oder auch langfristig erkranken, der Hintergrund. Nicht wenige dieser Betroffenen, die einen letztlich gescheiterten Suizidversuch hinter sich haben, berichten im Nachhinein davon, dass der Weg in den selbst gewählten Tod plötzlich vollkommen rational und logisch erschien. Nicht immer also ist es eine bewusste „Flucht“ aus dem scheinbar Unveränderbaren. Häufig scheint ein Suizidversuch auch eine von der eigenen Psyche vorgegaukelte Logik zu sein.

 

Täglich etwa 25 Suizide in Deutschland

Ein Blick auf die Zahlen aus dem Jahr 2020 offenbart zwei Seiten einer Medaille. 9.206 Suizide – oder noch klarer dargestellt: 25 Suizide je Tag – sind eine nicht wegzuredende oder zu ignorierende Zahl. Sie stehen in beinahe jedem einzelnen Fall für individuell gespürtes, unfassbares Leid der unmittelbar Betroffenen. Sie stehen aber in nicht wenigen Teilen auch für ein versagen der Gesellschaft. Andererseits natürlich muss die Diskussion erlaubt sein, ob und inwieweit jeder Mensch für sich auch das Recht haben muss, einer ihn lange quälenden Phase, die nach zig Versuchen und Anläufen eher Verschlechterung als Besserung erfuhr, selbstbestimmt ein Ende zu setzen. Der Umstand, dass wir nicht allein entscheiden, auf die Welt zu kommen, muss nicht zwingend die Folge haben, dass wir das Ende nicht selbst bestimmen dürfen.

 

Überdurchschnittlich viele Männer beenden ihr Leben selbst

Was viele vielleicht nicht wissen: Unter den Suiziden in Deutschland ist der Anteil an Männern überdurchschnittlich groß. Das vermeintlich „stärkere“ Geschlecht findet demnach viel häufiger keinen anderen Ausweg, als das selbstbestimmte Ende. Vielleicht auch, weil es für Männer mit psychischen Erkrankungen in unserer Gesellschaft noch immer sehr viel schwieriger ist, als für Frauen. Schon die Reaktion nicht weniger auf einen Mann mit Tränen in den Augen spricht Bände. Wieviel schwieriger dürfte es da sein, sich selbst und vor allem anderen gegenüber eine Depression einzugestehen und sich Hilfe zu holen. So sind es also 75 Prozent aller Selbsttötungen in Deutschland, die Männer verüben.

Beim durchschnittlichen Alter hingegen liegen Männer (58,5 Jahre) und Frauen (59,3 Jahre) letztlich nah beisammen. Die andere Seite der angesprochenen Medaille: Im Vergleich zu 1980 hat sich die Zahl der Suizide in Deutschland halbiert. Durchaus ein vermutlicher Erfolg einer zumindest bedingten Endtabuisierung so mancher Erkrankungen und auch der fortgeschrittenen medizinischen Behandlungen.

 

Wie aussichtslos muss eine Situation sein, wenn nur der Suizid bleibt. | Foto: privat

Schmerzhafte und schwierige Situation auch für Angehörige und Freunde

Betroffen von einem Suizid – in gewisser Weise durchaus auch im direkten Sinne – sind allerdings nicht nur diejenigen, die keinen anderen Ausweg mehr sahen. Auf deren Ausweglosigkeit, die sie vor diesem Schritt empfanden, folgt in den meisten Fällen die Trauer ihrer Familie und Freunde. Dort bleiben Verzweiflung, Fassungslosigkeit und Ohnmacht. Es kommen Fragen auf, wie es soweit kommen konnte, ob man nicht doch hätte mehr tun können. Und vor allem: Wie soll es ohne den geliebten Menschen, den Freund oder die Freundin nun weitergehen. Denn auch es wenn viele derjenigen, die den Weg in den Suizid wählten, aufgrund quälender Gefühle von Alleinsein und vor allem von innerlich auffressender Einsamkeit und Leere gar nicht bewusst war, da ihre Erkrankung ihnen den Blick verdunkelte: Sie waren ein wichtiger Teil des Lebens anderer und sie hinterlassen mit dem selbstbestimmten Tod eine Lücke in deren Leben.

Und nun, da sie verstorben sind, wiederholt sich eine schmerzhafte Wahrheit: Hatten sie mit ihrer Situation schon das Gefühl – und leider oftmals auch die Gewissheit – in dieser Gesellschaft keinen oder keinen geeigneten Platz (mehr) zu haben, so trifft es nun ihre Angehörigen. Denn viel zu oft haben auch deren Trauer und Gefühle, wie Selbstzweifel und Selbstvorwürfe, nach dem Suizid eines geliebten, wichtigen Menschen wenig bis keinen Raum in der Gesellschaft.

 

Initiativgruppe will in Schwerin für Thematik sensibilisieren

Aus genau dieser Erkenntnis heraus fand im Jahr 2014 die Schweriner „Initiativgruppe Suizidprävention“ zusammen. Deren Vertreterinnen und Vertreter aus verschiedenen Organisationen, sozialen Trägern und der Stadt Schwerin haben es sich zum Ziel gemacht, alljährlich auf die Problematik der Selbsttötung aufmerksam zu machen. Während traditionell am 10. September, dem weltweiten Suizidpräventionstag, bisher bereits verschiedene Aktionen stattfanden, sind in diesem Jahr drei Veranstaltungen geplant.

 

Der „Baum des Lebens“ – ein Gingkobaum – steht in Schwerin am Spielplatz am Schelfmarkt. | Foto: privat

Morgen erstmals „Begegnung am Baum des Lebens“

So lädt die Initiativgruppe bereits am morgigen Dienstag (16. April 2022) von 12.30 bis 14 Uhr lädt die Initiativgruppe zur ersten „Begegnung am Baum des Lebens“ ein. Als Symbol für Kraft und immerwährende Veränderung, aber auch für das feste verwurzelt Sein im Leben wurde durch Unterstützung der Sparkassenstiftung Schwerin im vergangenen Jahr gemeinschaftlich ein Gingkobaum gepflanzt. Bewusst und symbolträchtig steht er nun an einem sehr lebendigen, oft sogar quirligen Ort: Auf dem Spielplatz am Schelfmarkt. Nach einem kleinen, stimmungsvollen Programm mit Texten der Ermutigung zum Leben und musikalisch untermalt durch den Saxofonisten Warnfried Altmann, besteht hier am Dienstag die Möglichkeit zum Innehalten, zum Austausch und zur Begegnung. Die Initiativgruppe wünscht sich, dass der „Baum des Lebens“ für betroffene Angehörige oder Menschen mit hohem Leidensdruck zu einer Begegnung mit dem Leben wird.

 

Baum als Kraftort hin zum Leben

Vielleicht kann sein behütendes Blätterdach in schweren Stunden Trost spenden oder seine immerwährende Lebendigkeit dazu ermutigen, sich bei einer der Kontaktstellen für Betroffene zu melden. Uta Krause, die Leiterin der Telefonseelsorge in Schwerin, weiß: „Ist der erste Schritt gemacht, gibt es viele Unterstützungsmöglichkeiten. Wir hoffen, dass der Baum des Lebens für viele Mensch ein Kraftort ist, um genau diesen Schritt wieder hin zum Leben zu gehen.“

 

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Written By
Stephan Haring

Stephan Haring ist freier Mitarbeiter unserer digitalen Tageszeitung. Er hat ein Bachelor-Studium der Kommunikationswissenschaften an der Universität Erfurt mit den Nebenfächern Sozialwissenschaften & Politik absolviert. Im Nachhinein arbeitete er in leitenden Funktionen der Presse- & Öffentlichkeitsarbeit, im Leitungsbereich eines Unternehmens sowie als Rektor einer privat geführten Hochschule. Zudem entwickelte, organisierte und realisierte er mit der durch ihn entwickelten LOOK ein Fashionevent in Schwerin. Heute arbeitet er freiberuflich als Texter, Pressesprecher und Textkorrektor sowie als Berater in verschiedenen Projekten. In einem Schweriner Ortsbeirat ist er zudem ehrenamtlich als Vorsitzender kommunalpolitisch aktiv.

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