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Ein Wohnungsgesuch, das es in sich hat

Seit dem Eintreffen der ersten Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine haben die kommunale Wohnungsgesellschaft in Schwerin (WGS), die Wohnungsgenossenschaften und auch die Stadt viel getan, um die Ankömmlinge in Schwerin unterzubringen.

  • Veröffentlicht April 26, 2022
Wohnung gesucht aber bislang nicht gefunden heißt es auch immer öfter in Schwerin. | Foto: privat

„Private Wohnungsangebote für Geflüchtete gesucht.“ Es klingt fast wie eine der vielen „normalen“ Wohnungsannoncen, deren Anzahl auch in Schwerin in den vergangenen Wochen und Monaten deutlich anstieg. Denn auch in der Landeshauptstadt sind in der jüngeren Vergangenheit die Wohnungsmieten teilweise überdurchschnittlich gestiegen. Immer mehr Menschen fällt es daher schwer, eine geeignete Wohnung zu finden. Menschen mit kleinen Einkommen oder gar auf staatliche Zuschüsse angewiesene Personen sehen schon länger kaum noch Land. Aber zunehmend trifft es auch Normalverdiener.

 

Wohnungsmarkt Schwerins in einigen Bereichen stark angespannt

Und bislang scheint diese Tendenz auch kein Ende zu finden. Hinzu kommen nun deutlich steigende Preise für Gas, Öl und mehr. In der Folge dürften die Betriebskosten spürbar in die Höhe schießen. Manch knapp berechnete Wohnungsanmietung der Vergangenheit könnte ins Wackeln kommen. Noch mehr Wohnungssuchende könnten auf den Markt drücken. Für das Innenministerium des Landes allerdings scheint es diese Realität nicht zu geben.

 

Innenministerium sieht keinen per se angespannten Markt in Schwerin

Auf eine Anfrage im Zusammenhang mit der Unterbringung von Kriegsflüchtlingen in Schwerin bewies das am Pfaffenteich angesiedelte Ministerium zumindest keine wirkliche Kenntnis der Situation. Denn in der Antwort hieß es: „In Schwerin von einem per se angespannten Wohnungsmarkt auszugehen, deckt sich nicht mit den Annahmen der ebenfalls im Ministerium für Inneres, Bau und Digitalisierung angesiedelten Abteilung für Bauen und Wohnen. Dies würde eher in den Universitätsstädten angenommen.“ Das mag eventuell für preisintensivere Wohnungen für besser bezahlte Beamte sowie Pensionsempfänger gelten. Dann mag „per se nicht angespannt“, meint man es gut, irgendwie stimmen. Aber inzwischen sieht die Situation in verschiedenen Segmenten in Schwerin schon ganz anders aus.

 

Als die ersten Flüchtlinge eintrafen stellte die WGS sofort die möblierten Notwohnungen zur Verfügung. | Foto: WGS

 

Stadt sucht nun auch Privatwohnungen – Etwa 300 Personen brauchen Wohnraum

Hinter der Annonce, die wie ein „normales“ Gesuch klingt, steckt aber sehr viel mehr. Denn gesucht wird Wohnraum „zur dezentralen Unterbringung von Geflüchteten aus der Ukraine“. Bislang war es der Stadt überwiegend gelungen, die Kriegsflüchtlinge in Wohnungen der kommunalen Wohnungsgesellschaft Schwerin (WGS) und einiger Genossenschaften unterzubringen. In einem Kraftakt hatte die WGS dabei schnell damit begonnen, vorhandene Wohnungen zu möblieren und weitere Wohnungen für die Vermietung herzurichten. Auch die Notwohnungen standen unmittelbar zur Verfügung. Dieser Prozess läuft auch noch. Dennoch aber ist die Stadt nun auf Wohnungssuche. Denn auch die WGS kann ebenso wenig wie die Genossenschaften bezugsfertigen Wohnraum herbeizaubern. Aktuell würden um 300 Plätze in Wohnungen benötigt, so die Verwaltung.

 

Entwicklung ist ungewiss

Eine genaue Prognose, wohin sich der Bedarf noch entwickeln könnte, wagt die Stadt derzeit noch nicht abzugeben, wie die Pressesprecherin Michaela Christen gegenüber schwerin-lokal darstellte. Derzeit stehe man vielmehr vor der Situation, dass die Jugendherberge nun freigezogen werden müsse und auch eine Reduzierung der Notunterkunft in der Brahmsstraße anstehe. Ansonsten aber gäbe es noch verschiedene Variablen, die die Situation beeinflussen würden.

 

Schwerin übererfüllt Vorgabe des Landes deutlich

So sei beispielsweise nicht abschließend bekannt, wie viele Personen derzeit noch in Privatunterkünften leben, aber dann doch demnächst eigenen Wohnraum suchen könnten. Auch sei nicht abzusehen, wie es mit den Zuweisungen weiterer Kriegsflüchtlinge nach Schwerin aussehe. „Obwohl wir bereits fast 2000 Ukrainerinnen und Ukrainer in der Stadt aufgenommen haben und das Ein-Prozent-Ziel des Landes bereits erfüllt haben“, so die Stadtsprecherin. Auch sei ungewiss, ob es eventuell auch eine bedarfsverstärkende Zuwanderung aus dem Umland oder eine Abwanderung in die großen Ballungszentren wie Hamburg oder Berlin geben könnte, die dann den Bedarf wiederum reduzieren könnten.

 

Notwohnungen wie zahlreiche weitere möblierte Wohnungen hat die WGS schnell und unbürokratisch aktiviert. | Foto: WGS

 

Orientierungsmiete: 5,28 € je Quadratmeter

Klar ist allerdings, und hier sei die Antwort des Innenministeriums zur Wohnungssituation in Schwerin in Erinnerung gerufen, dass sich die Mieten der seitens der Stadt für die Kriegsflüchtlinge auf dem privaten Wohnungsmarkt gesuchten Wohnungen im Bereich des KdU-Satzes (Kosten der Unterkunft = Mietkostenübernahme Hartz IV) orientieren sollen. So die Aussage der Stadt. Das sind derzeit 5,28 €/qm kalt. Genau in diesem Segment ist das Angebot aber – freundlich ausgedrückt – besonders gering. Für 5,28 €/qm allerdings ist in Schwerin aktuell wenig bis gar nichts zu bekommen. Von „angespanntem Markt“ in diesem Segment zu sprechen wäre daher sogar noch deutlich untertrieben. Ziehen mehr Personen eine eine Wohnung ein, kann die Quadratmeter-Kaltmiete bei entsprechend geringer Wohnungsgröße allerdings auch etwas höher sein. Aber auch in diesem Segment ist der Markt in Schwerin recht überschaubar.

 

Situation wird Auswirkungen auf den Wohnungsmarkt haben

Vor diesem Hintergrund fiel die Aussage der Stadt hinsichtlich der Auswirkungen des nun vorhandenen Nachfragedrucks auch logisch aus: „Natürlich hat die große Nachfrage nach günstigem Wohnraum Auswirkungen auf den Wohnungsmarkt.“ Eine nette Umschreibung der Pressestelle für eine vermutlich knallharte und schmerzhafte Realität: Gerade in den Segmenten, in denen schon vor Kriegsbeginn in der Ukraine einer doch größeren bis großen Nachfrage ein eher kleines bis dürftiges Angebot gegenüber stand, dürfte es nun zu deutlicheren Verschiebungen kommen. Und dort, wo die Nachfrage das Angebot übersteigt, passiert nahezu immer das Selbe: Der Preis steigt. Es dürfte also zukünftig noch viel schwerer für diejenigen werden, die ohnehin sehr wenig haben, eine preiswerte Wohnung in Schwerin zu finden.

 

KdU-Satz stellt Realität längst nicht mehr dar

Nun könnte man sagen, der KdU-Satz, auf den beispielsweise auch diejenigen angewiesen sind, die wenig verdienen und aufstocken müssen, orientiere sich doch am Mietspiegel. Und dieser bilde ja die Marktlage ab. Damit sei das Problem gelöst. Dem allerdings ist nicht so. Denn schon im vergangenen Jahr passten KdU-Satz und Marktpreise kaum zusammen. Zu gering war, weshalb auch immer, die letzte Anpassung ausgefallen. Das allerdings auch ist nur die halbe Wahrheit. Denn einerseits gibt es derzeit gar keinen aktuellen Mietspiegel. Dessen Aktualisierung hatte sich nämlich verzögert. Ende 2021 wäre das Papier fällig gewesen. Nun spricht die Verwaltung vom „ersten Halbjahr“ 2022. Danach allerdings muss dann auch der KdU-Satz realitätsgetreu angepasst werden. Eigentlich.

 

Höhere KdU-Miete wäre auch im Kampf gegen Segregation erforderlich

Möchte man, wie es Stadtvertretung und Stadtverwaltung stets beteuern, zusätzlich der Segregation nachhaltig entgegen wirken, wird man bei der Anpassung nicht den alleruntersten Wert nehmen dürfen. Oder gar darunter bleiben, beziehungsweise eine entsprechende Preiskategorie organisieren. All das hatte es in Deutschland schon gegeben. Man muss kein Prophet sein, dass schon vor dem Ziel-Hintergrund von Politik und Verwaltung eine Anhebung auf mindestens 6 €/qm – eher sogar mehr – erforderlich ist. Auch wenn Schwerin vor einem Wahlkampf um das Amt des Oberbürgermeisters bzw. auch einer Oberbürgermeisterin steht, in dem so manch Wahlgeschenk traditionell versprochen wird, ist eine so deutliche Steigerung doch eher fragwürdig.

 

Für Menschen mit niedrigen oder gar keinen Einkommen – krankheitsbedingt oder aus anderen Gründen – wird Wohnen in Schwerin zunehmend ein Problem. | Foto: Klaus-Uwe Gerhardt

 

Mietspiegel kommt eh zu spät  – Aktuelle Entwicklungen nicht berücksichtigt

Hinzu kommt, dass der Mietspiegel natürlich die nun durch den nun vorhandenen, massiven Zusatzdruck gerade auf preiswerte Wohnungen ebenso nochmals anzunehmend steigenden Mieten gar nicht berücksichtigen kann. Wenn er erscheint, hat ihn die Realität mehr als deutlich überholt. Das bedeutet, dass der Markt, den der Mietspriegel gerade für preiswerte Wohnungen beschreiben dürfte, vermutlich schon bei Erscheinen des Papiers nicht mehr existiert. Man wird also um eine Betrachtung der realen Lage des Wohnungsmarktes, die durch die Flüchtlingssituation verschärft wird, nicht umhin kommen. Das allerdings kann teuer werden.

 

Stadt und Kommunalpolitik in der Pflicht

Droht Schwerin also ein noch größerer Wohnungs-Verteilungs-Kampf gerade im Bereich „preiswerterer“ Wohnungen, als es ihn ohnehin schon vor Beginn des Ukraine-Kriegs gab? Es ist bemerkenswert, wie groß die Hilfsbereitschaft gerade auch der Schwerinerinnen und Schweriner derzeit ist. Nun allerdings dürfte es an Stadtverwaltung und auch Kommunalpolitik sein, die richtigen Weichen zu stellen, diese Hilfsbereitschaft nicht durch zusätzliche soziale Probleme, die dem Wohnungsmarkt entspringen, zu gefährden.

 

Land muss Verantwortung übernehmen

Hier gilt es, mehrgleisig zu fahren. Denkbar ist eine doch spürbare Anhebung des KdU-Satzes – was dem Eigenanspruch eines Gegensteuern zur spürbaren Segregation und einer Berücksichtigung der tatsächlichen Marktlage entgegen kommen würde. Es scheint zudem sinnvoll zu prüfen, ob nicht vor allem das Land in die Pflicht genommen werden kann, Containerlösungen o.ä. zumindest vorübergehend zu schaffen, und zeitgleich Unterkünfte für die Kriegsflüchtlinge zu bauen, die bleiben wollen. Dieser Wohnraum könnte durchaus später auch als preiswerter Wohnraum der Allgemeinheit zur Verfügung stehen. Die Stadt steht, nicht zuletzt auch durch die Aktionen des Landes, unmittelbar jetzt vor einem wirklichen sozialen Problem.

 


Informationen für private Vermieter

Für private Vermieter, die Flüchtlinge unterstützen wollen und über Wohnraum verfügen, den sie zur Nutzung anbieten möchten, wurde unter wohnungsangebote@schwerin.de eine zentrale Mailanschrift eingerichtet.

Folgende Daten wären wichtig, die entweder gleich mitgeteilt oder in einem anschließenden Gespräch geklärt werden können. Mitarbeiter der Landeshauptstadt nehmen dazu mit den Vermietern telefonisch Kontakt auf. Für das Wohnungsangebot benötigt die Stadt folgende Eckdaten:

  • Größe der Wohnung und Anzahl der Zimmer
  • Kaltmiete je m²
  • Lage der Wohnung und Etage
  • Zeitpunkt der Verfügbarkeit
  • Ausstattung: möbliert oder nicht möbliert
  • Erreichbarkeit des Vermieters (Mobil- oder Festnetznummer)

 

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www.schwerin-lokal.de | www.wgs-schwerin.de

Written By
Stephan Haring

Stephan Haring ist freier Mitarbeiter unserer digitalen Tageszeitung. Er hat ein Bachelor-Studium der Kommunikationswissenschaften an der Universität Erfurt mit den Nebenfächern Sozialwissenschaften & Politik absolviert. Im Nachhinein arbeitete er in leitenden Funktionen der Presse- & Öffentlichkeitsarbeit, im Leitungsbereich eines Unternehmens sowie als Rektor einer privat geführten Hochschule. Zudem entwickelte, organisierte und realisierte er mit der durch ihn entwickelten LOOK ein Fashionevent in Schwerin. Heute arbeitet er freiberuflich als Texter, Pressesprecher und Textkorrektor sowie als Berater in verschiedenen Projekten. In einem Schweriner Ortsbeirat ist er zudem ehrenamtlich als Vorsitzender kommunalpolitisch aktiv.

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